: Mielkes Nachlass und die Angst des Westens
Von Anfang an haben Politiker versucht, den Zugriff auf Stasiakten einzuschränken. Sie scheiterten bislang an Journalisten und Verlegern
BERLIN taz ■ Der Schreck saß tief bei den Politikern in Bonn. Das Magazin Focus – damals noch ein Newcomer auf dem Medienmarkt – wartete im Herbst 1993 mit einem mehrteiligen Exklusivreport auf. Titel: „Der Stasi-Schatz“. Das Blatt präsentierte längst vernichtet geglaubte Akten, so genannte „Zielkontroll-Aufträge“ – Karteikarten der Staatssicherheit, die jede Menge Details über Mitarbeiter bundesdeutscher Geheimdienste oder über die Liebschaften diverser Politiker der alten Bundesrepublik enthielten. Es waren Informationen, die nach Meinung einer Mehrheit unter den Bundestagsabgeordneten nichts in der Öffentlichkeit zu suchen hatten. Zweieinhalb Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Stasi-Unterlagen sollte deshalb eine Novellierung verhindern, dass ähnliche „Schätze“ gehoben werden durften.
Die Innenpolitiker der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD verständigten sich auf einen Entwurf, der einen „Missbrauch“ der Stasi-Hinterlassenschaft unterbinden sollte. Das Verbot der „unbefugten Veröffentlichung“ von Informationen über „Betroffene oder Dritte“ sollte durch ein Verbot der „unbefugten Übermittlung“ ergänzt werden. Strafandrohung: bis zu drei Jahre Haft. Nach der Focus-Serie dämmerte den Politikern, dass noch manche publizistische Bombe aus dem Stasi-Nachlass gefischt werden könnte.
Unbequeme Enthüllungen hatte es bis dahin reichlich gegeben. Belegt wurde anhand der Stasiakten etwa die grenzüberschreitende Strauß-Schalck-Connection. Man erfuhr, wie sich westdeutsche Politiker bei ihren DDR-Besuchen gegenüber ihren Gastgebern benahmen. Aber auch Journalisten, die nach kompromittierenden Details aus dem Privatleben prominenter Politiker suchten, wurden fündig.
Neben der unbefugten Weitergabe sollte deshalb auch die „sinngemäße Wiedergabe“ des Inhalts von Stasiakten unter Strafe gestellt werden. Es wäre ein perfekter Maulkorb geworden. Doch die Vorlage wurde fallen gelassen. 1994 war Wahljahr – und die Politiker wollten sich nicht mit den Verlegerverbänden anlegen, die sich heftig gegen die geplanten Zensurregeln zur Wehr setzten.
Die Geschichte des Gesetzes war von Anfang an von Versuchen begleitet, die Akten für Forschung und Medien zu verschließen. Schon im Gesetzgebungsverfahren hatten die Mitglieder des Bundestages parteiübergreifend versucht, unbequemen Recherchen einen Riegel vorzuschieben. Eine Veröffentlichung von Informationen aus Stasi-Unterlagen sollte an die Erlaubnis der Gauck-Behörde oder des Innenministeriums gekoppelt werden. Die Veröffentlichung von „personenbezogenen Informationen, die nicht offenkundig sind“, sollte mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Auch dieser erste Anlauf rief unter Journalisten- und Verlegerverbänden einen Sturm der Entrüstung hervor.
Zehn Jahre danach ist es der Altkanzler Helmut Kohl, der mit seiner Klage gegen die Stasi-Aktenbehörde erneut die Debatte in Gang setzt, wie weit Medien der Zugang zu Stasiakten gewährt werden soll. WOLFGANG GAST
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