: Ohne Pass kein Gipfel-Spaß
Mit Meldeauflagen und Strafandrohungen versuchen die Innenminister, die Ausreise potenziell gewalttätiger Demonstranten zum G-8-Gipfel nach Genua zu verhindern. Republikanischer Anwaltsverein kritisiert „Einschränkung elementarer Grundrechte“
von HEIKE KLEFFNER
Potenzielle Globalisierungsgegner, die schon einmal polizeilich aufgefallen sind, erhielten dieser Tage in mehreren Bundesländern Post von der Polizei. Das Ziel: ihre Ausreise zu den Protesten während des G-8 Gipfels in Genua zu verhindern. In Berlin müssen sich seit vergangenem Freitag mindestens sieben polizeibekannte Personen bis zum Ende des Gipfeltreffens in Italien täglich vor 12 Uhr mittags persönlich bei der Polizei melden. Andernfalls droht ihnen eine Strafe von 2.000 Mark.
Über das Landeseinwohneramt wurden zudem die Ausweisdokumente der Betroffenen für zehn europäische Staaten – darunter neben Italien auch Ungarn, die Schweiz und Frankreich – gesperrt. Als Erklärung schrieb das Landeseinwohneramt den Betroffenen, sie seien „in der Vergangenheit mehrfach durch gewalttätiges Verhalten auffällig geworden“ und gehörten somit „zum Kreis der Globalisierungsgegner.“ Über die Kriterien für die Auswahl des Personenkreises und die Anzahl der Betroffenen will man beim SPD-geführten Innensenat der Hauptstadt „aus polizeitaktischen Erwägungen“ bis zum Ende des G-8 Gipfels keine Angaben machen. Rechtliche Grundlagen für die Maßnahme ist die Verschärfung des Passgesetzes, die Anfang 2000 im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft für Hooligans beschlossen wurde. Danach können Reisebeschränkungen in die Pässe bekannter Fußballrandalierer eingetragen werden. Voraussetzung ist eine „erhebliche Gefährdung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland“.
Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte am Freitag erklärt, es gebe „kein Grundrecht auf Ausreise“. Körting befindet sich damit auf einer Linie mit seinem CDU-Amtskollegen Jörg Schönbohm in Brandenburg, wo 15 junge Linke durch Meldeauflagen an einer Reise nach Genua gehindert werden sollen. Demgegenüber bezeichnete Wolfgang Kaleck, Bundesvorsitzender des Republikanischen Anwaltsvereins, das Vorgehen der Innenminister als „Einschränkung elementarer Grundrechte wie Reise- und Meinungsfreiheit“. Der Anwalt hofft, dass das Verwaltungsgericht Berlin diese Ansicht teilt. Die Erste Kammer des Gerichts sollte gestern am späten Nachmittag über zwei Eilanträge gegen die polizeilichen Meldeauflagen entscheiden.
Auch wenn Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bei der Mehrheit seiner europäischen Amtskollegen mit seiner Idee einer „europaweiten Gewalttäterdatei“ und koordinierten Ausreiseverboten scheiterte, über mangelnden Zugriff auf das heimische Protestpotenzial kann sich der Innenminister nicht beklagen. Ein wichtiges Instrument ist dabei die so genannte Landfriedensbruchdatei beim Bundeskriminalamt. Gespeichert werden hier nach dem Polizeirecht nicht nur Verurteilungen wegen klassischer Demonstrationsdelikte wie „Landfriedensbruch“, sondern auch einschlägige Ermittlungsverfahren. Die Meldung ans BKA erfolgt durch die jeweiligen Landeskriminalämter, die dann anlassbezogen – etwa im Vorfeld von Demonstrationen – Zugriff auf die Datensammlung erhalten. Einige der gespeicherten Personen wurden von den LKAs aufgefordert, wenn überhaupt, in Italien bitte schön „friedlich“ aufzutreten.
Wie schon während des EU-Gipfels in Göteborg sorgen auch in Genua Verbindungsbeamte des BKA dafür, dass die italienischen Kollegen bei Festnahmen von deutschen Demonstranten mit Informationen aus den deutschen Dateien versorgt werden.
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