: „Adrienne rennt“
Dieses Interview ist Teil eines Feldversuchs über sadomasochistischen Charakter von Institutionen, sagt Adrienne Goehler. Die Berliner Kultur- und Wissenschaftssenatorin will keinen Wettlauf in der Stammzellenforschung und Professoren auf Zeit
Interview CHRISTIAN FÜLLER und RALPH BOLLMANN
taz: Frau Goehler, bevor Sie überraschend zur Kultursenatorin berufen wurden, wollten Sie eigentlich aus dem Berufsleben aussteigen – und in Berlin eine Doktorarbeit schreiben. Welche der drei Universitäten hätten Sie sich denn ausgesucht?
Adrienne Goehler: Ich habe gelernt: Den Namen meiner Doktormutter muss ich geheim halten.
Wer behauptet denn das?
Das hat mir ein Wissenschaftler gesagt.
Aber die Hochschule dürfen Sie uns doch verraten?
Es ist die Humboldt-Universität.
Warum dort?
Weil ich an der Doktormutter interessiert war.
Sie wollten also nicht an eine besonders gute Universität?
Für mich ist nicht in erster Linie die Institution wichtig gewesen. Aber es spricht für die Humboldt-Universität, dass sie eine Einrichtung wie das kulturwissenschaftliche Institut besitzt. Dort sitzen bedeutende Leute – wie meine Doktormutter.
In nächster Zeit wird Ihre Doktorarbeit kaum Fortschritte machen. Stattdessen haben Sie mit eigenen Worten einen „Feldversuch mit sadomasochistischen Zügen“ angetreten.
Es ist bereits der dritte Feldversuch – zuerst das Parlament in Hamburg, dann die dortige Kunsthochschule, und jetzt die Kulturverwaltung in Berlin.
Was heißt das genau?
Da müssen Sie warten, bis meine Doktorarbeit fertig ist, Titel: „Die sadomasochistischen Grundlagen von Institutionen“.
Sie benutzen Ihr Amt . . .
. . . als Erweiterung einer in 15 Jahren Praxis gewonnenen Erfahrung. Auch dieses Interview ist Teil des Feldversuchs.
Was sind denn Ihre Ziele für die Berliner Hochschulen?
Ich will die Vielfalt der Berliner Forschungslandschaft erhalten.
Das ist noch kein Reformansatz.
Oh, das ist mehr, als man in der heutigen Zeit erwarten kann. Alle setzen auf Konzentration, weil das angeblich Geld spart.
Und daran glauben Sie nicht?
Wir müssen darüber reden, ob man die Berliner Kasse in einem so kurzen Zeitraum sanieren kann, wie die SPD sich das vorstellt. Wenn Sparpolitik dazu führt, dass die wissenschaftliche Einrichtungen nicht mehr finanziert werden können – dann richtet das auch einen großen volkswirtschaftlichen Schaden an.
Sie stellen also die Berliner Sparpolitik, die auch die Grünen immer verfochten haben, plötzlich in Frage?
Den Zeitraum, den sich die SPD für einen ausgeglichenen Haushalt vorgenommen hat, würde ich in Frage stellen.
Aber was nützt es, immer weiter Geld in die Hochschulen hineinzupumpen, ohne sie gleichzeitig zu reformieren?
Es ist kompliziert, Institutionen gleichzeitig zum Sparen und zu einem Reformansatz zu bringen. Vor allem, wenn sie – wie die Hochschulen – seit den Siebzigern auf Wachstum eingerichtet waren. Deshalb habe ich an der Hamburger Kunsthochschule zu dem Mittel einer externen Expertenkommission gegriffen.
Sie trauen den Hochschulen selbst die Reform nicht zu?
Das ist eine sehr grobschlächtige Interpretation meiner Worte. Das A und O der Hochschulreform ist für mich der Abschied vom Professor auf Lebenszeit. Lebenslänglichkeit ist nicht nur im Gefängnis keine besonders gute Option. Die Hochschulen brauchen ein neues Verhältnis von Kontinuität und Wechsel, damit sie schnell auf Veränderungen reagieren können. Damit meine ich übrigens weniger die Anforderungen des Marktes, sondern neue Erkenntnisse in der Wissenschaft und veränderte Anforderungen aus der Gesellschaft. Die ersten Schritte mit Juniorprofessuren werden gerade von der Humboldt-Universität eingeleitet.
Ihre Vorgänger haben die Zahl der Studienplätze in Berlin um fast ein Drittel verringert. Werden Sie diesen Trend umkehren?
Berlin ist attraktiv für Studierende weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Zahl der Studienplätze zu senken, ist die verkehrte Politik. Wir haben einen dringenden Bedarf an Akademikern. Dem müssen wir nachkommen – auch wenn das Geld kostet.
Worin besteht die Anziehungskraft der Berliner Hochschulen – außer dass sie in einer hippen Stadt liegen?
Berlin ist nicht in erster Linie für Leute interessant, die sagen: Ich möchte möglichst schnell und unter möglichst guten Studienbedingungen zum Examen kommen. Für Berlin entscheiden sich Studierende, weil sie die Vielfalt der Hochschullandschaft interessiert und weil sie sich mit dem Neuen auseinander setzen wollen.
Gute Bedingungen für ein schnelles Studium sind zweitrangig?
Ein kurzes Studium ist kein Wert an sich – ebenso wenig wie ein langes Studium. In einer Welt, die sich schnell verändert, brauchen wir Leute mit breitem Horizont. Das erlebt gerade sehr schmerzhaft die EDV-Branche.
Also finden Sie es gar nicht gut, dass die Berliner Hochschulen gerade dabei sind, neue Kurzzeitstudien zu entwickeln – die „Bachelor“-Studiengänge?
Man muss bei solchen Studiengängen sehr darauf achten, ob sie die nächste Mode im Markt überleben. Das Studium muss Grundlagen vermitteln, die über Konjunkturen hinweghelfen. Das hat sich in den letzten Jahren bei der Informatik gezeigt.
Was in den Neunzigern die Informatik war, sind heute die Biowissenschaften – ein Modefach. Bezieht sich Ihre Skepsis auch darauf?
Wie tragfähig die Biowissenschaften sind, müssen sie erst noch beweisen. Ich lasse mir gerade sämtliche Projekte auflisten, die genetische Zellforschung betreiben. Damit ich später keine Überraschungen erlebe.
Ihr persönlicher Ethikrat?
Dafür brauche ich keine Kommission. Ich will selber eine Haltung entwickeln.
Sie wollen sich die Projekte der Berliner Genforscher genauer ansehen?
Ja. Ich will ganz einfach Bescheid wissen – und ich möchte nicht, dass wir uns am Wettlauf um den Import embryonaler Stammzellen beteiligen, den sich die Ministerpräsidenten Gabriel und Clement gerade liefern.
Auch bei den Berliner Genforschern in Buch, Dahlem und Adlershof gibt es Befürworter dieser Technik. Wollen Sie nachsehen, ob die embryonale Stammzellen im Kühlschrank haben – oder wollen Sie Philosophen dorthin entsenden, um die ethischen Probleme zu diskutieren?
Warum das eine gegen das andere ausspielen? Der Dialog zwischen Forschern und Kritikern kann keine einmalige Begegnung sein. Das muss weitergehen. Im Augenblick, so unsere Kenntnisse, werden in Berlin keine Forschungsprojekte mit menschlichen embryonalen Stammzellen durchgeführt. Im Herbst stehen auf Bundesebene Entscheidungen an. Wir werden dazu im September eine Diskussionsveranstaltung durchführen.
Frau Goehler, wir möchten mit Ihnen noch über die Kulturpolitik reden.
Wie spannend.
Da spielen Sie die Wahlkampf-Feuerwehr: Sie haben das Theater des Westens vor dem fälligen Konkurs gerettet und gerade noch verhindert, dass Simon Rattle als neuer Chef der Berliner Philharmoniker abspringt. Warum ist von den überfälligen Reformen, etwa bei den Opern, keine Rede mehr?
Da hat der Fusionsplan meines Vorgängers Christoph Stölzl viel Porzellan zerschlagen. Jetzt beginnen wir neu, über gemeinsame Werkstätten oder eine abgestimmte Programmplanung zu verhandeln.
Also alles auf Anfang?
Das würde ich nicht sagen. Wir sind gerade dabei, die Intendanz der Staatsoper zu besetzen. Da ist eine der entscheidenden Fragen: Wie grenzen die Häuser ihr Profil ab? Wie kann eine Kooperation aussehen?
Sie entscheiden die Intendantenfrage erst, wenn die inhaltlich-konzeptionellen Fragen geklärt sind?
Ich suche eine Intendanz, die ein Profil für dieses Haus verspricht. Aber ich frage mich, warum sich Journalisten nur für Fragen der Hochkultur interessieren.
Wir haben den Eindruck, dass sich die Politik nur für diese Fragen interessiert.
Ich habe als erste Maßnahme die Millionen wieder zurückgegeben, die Herr Stölzl der Off-Szene genommen hatte. Für die Berliner Kultur gilt das Gleiche, was ich für die Wissenschaft gesagt habe: Der Reiz liegt in der Vielfalt.
Bisher galt die Parole: Reformen in der Hochkultur sind nötig, um Geld für die anderen Bereiche freizuschaufeln. Jetzt reicht das Geld plötzlich für alles. Liegt das am Wahlkampf?
Ich lasse mich nicht von der Nervosität unter Druck setzen, die das Feuilleton verbreitetet. Ich fordere ein Moratorium zwischen Medien und Politik: Beide Seiten müssen sich Zeit geben.
Den Zeitdruck haben Sie sich selbst zuzuschreiben. SPD und Grüne haben den CDU-Bürgermeister abgewählt, um zu zeigen, dass sie es besser können.
Das wollen wir, in der Tat. Ich komme mir schon vor wie im Film: „Adrienne rennt.“
Nach den Umfragen werden die Grünen für die Berliner Regierungsbildung im Herbst nicht mehr gebraucht. Widmen Sie sich dann wieder Ihrer Doktorarbeit?
Wenn es rechnerisch möglich ist, würde ich mein Amt sehr gerne behalten. Ich finde das Feld zwischen Kunst und Wissenschaft hocherotisch.
Wo wir schon über den Niedergang der Grünen reden – warum sind Sie selbst aus der Partei ausgetreteten?
Ich war stinksauer – aber das ist schon lange her. Ich empfinde keine Treue gegenüber einer Partei, sondern gegenüber Prinzipien. Zum Beispiel war die Rotation ein hohes Gut, das die Grünen verschleudert haben. Da gilt das Gleiche wie bei den Professoren: Man muss sich den Blickwinkel auf die Realität auch mal von einer anderen Seite eröffnen.
Ist es vorstellbar, dass Sie diese Prinzipien auch als parteilose Senatorin in einem rot-roten Senat verwirklichen können?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber die Frage wird sich nicht stellen. Warum soll die SPD nicht 33 Prozent bekommen und die Grünen 17 Prozent? Darauf arbeite ich hin.
Im ersten Monat Ihrer Amtszeit haben Sie vor allem eines versucht: Verlässlichkeit zu demonstrieren.
Verlässlichkeit ist für mich per se keine Tugend. Aber ich donnere nicht los, ohne einen Zusammenhang in seiner Komplexität erspürt zu haben. Ich habe Respekt vor dem, was ich übernommen habe – und lasse Institutionen nicht einfach gegen die Wand fahren.
In Hamburg waren Sie höchst umstritten. Kaum sind Sie in Berlin, werden Sie sogar von der Bild- Zeitung gelobt.
Das Label „streitbar und umstritten“ langweilt mich. Wenn man mit einer solchen Erwartung konfrontiert wird, dann kann es subversiv sein, zu sagen: Die erfülle ich gerade mal nicht.
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