: „Geringe Kampflust beim Bund“
Jörg Oehlmann hat in Versuchen mit Schnecken die Schädlichkeit von TPT nachgewiesen. Es veränderte ihren Hormonhaushalt. Der Zoologe kritisiert die abwartende Haltung der zuständigen Biologischen Bundesanstalt
taz: Herr Oehlmann, Agrarministerin Renate Künast redet gern vom vorsorgenden Verbraucherschutz. Genügt ihre Behörde, die Biologische Bundesanstalt (BBA), dieser Vorgabe?
Jörg Oehlmann: Das kommt auf den Standpunkt an. Als Verbraucher muss man sich fragen, warum eine Substanz, für die es einen Anfangsverdacht gibt, dass sie hormonähnlich wirkt, als zugelassenes Pflanzenschutzmittel mit einem unserer hauptsächlichen Lebensmittel in Kontakt kommt.
Also genügt die BBA der Vorgabe nicht?
Die Kollegen von der BBA führen an, dass auch der Hersteller und Vertreiber des Mittels, Aventis, Rechtssicherheit genießen muss. Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist nur dann zu widerrufen oder einzuschränken, wenn es gerichtsverwertbare Hinweise darauf gibt, dass ein nicht akzeptables Risiko für die Verbraucher oder die Umwelt vorliegt.
Gibt es diese Hinweise?
Ja, wir haben im letzten Jahr im Auftrag des Umweltbundesamtes Triphenylzinn, also den Wirkstoff aus Brestan, im Test mit Schnecken eingesetzt. Dabei stellte sich heraus, dass der Stoff zumindest bei einer Schneckenart hormonartig wirkt und eine Vermännlichung der Weibchen hervorruft, also eine Herausbildung eines Penis und eines Samenleiters.
Das kennt man vom berüchtigten TBT.
Ja. Wir haben das Umweltbundesamt und die BBA davon informiert, verbunden mit der Forderung, aufgrund dieser neuen Kenntnisse die Zulassung für Brestan auszusetzen.
Warum wurde die Zulassung wieder erteilt?
Laut BBA genügte unsere Studie nicht den Kriterien bei Zulassungsverfahren. Das ist in gewisser Weise nachvollziehbar, weil wir einen Forschungsauftrag hatten und die formalen Hürden eines Zulassungstests nicht erfüllt haben. Nach Aussage der BBA waren diese Versuche nicht gerichtsfest.
Trotzdem hätte die BBA das Mittel erst einmal verbieten können.
Es gab keine Not, das Ruhen der Zulassung wieder aufzuheben. Man hätte vom Hersteller weitere Test mit Schnecken fordern müssen. So etwas gab es nicht.
Beim Verbot von TBT in der EU ist Deutschland Vorreiter, bei TPT Bremser. Warum?
Das ist mir schleierhaft. Toxizität und Umweltverhalten der beiden Substanzen sind in weiten Teilen identisch. Beide Substanzen zeigen bei gleicher Konzentration vergleichende Effekte auf Tiere. Ich kann nicht nachvollziehen, warum beide Substanzen so unterschiedlich von der Risikobehandlung gehandhabt werden.
Vielleicht hat TPT eine stärkere Lobby, weil die Agrarchemie dahinter steht.
Mögicherweise ist das ein Grund, aber bei TPT werden nur etwa 60 Tonnen in die Umwelt entlassen, bei TBT sind es etwa 3.000 Tonnen. Ich finde es nicht hinnehmbar, dass sich eine Substanz regelmäßig in potenziellen Speisefischen wiederfindet.
Umso einfacher sollte es sein, TPT zu verbieten.
Ja, vor allem gibt es Alternativen. Substanzen, die weit weniger problematisch sind.
Das bestreitet Aventis.
Die BBA sagt, man würde ein derartiges Mittel bei einem Anfangsverdacht auch regulieren, wenn es keine Alternative gäbe. Gleichzeitig wurde gesagt, dass es durchaus Alternativen zu Brestan gebe. Aber offensichtlich lieben die Bauern das Brestan, weil es wirkt, auch wenn die Fäule schon die Kartoffeln befallen hat.
Schützt die BBA eher die Bauern vor den Verbrauchern als die Verbraucher vor dem Gift?
Den Eindruck kann man haben. Meine persönliche Meinung ist, dass es eine viel zu geringe Kampfeslust bei der BBA gibt. Man ist viel mehr darauf aus, seine eigene Position zu sichern und gerichtsverwertbar zu machen. Die BBA nimmt weitaus weniger den Hersteller des Pestizids in die Verantwortung und stellt konkret Forderungen nach dem Nachweis der Unbedenklichkeit.
INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER
Fotohinweis: Jörg Oehlmann (40) ist Zoologe mit Schwerpunkt Ökotoxikologie. Er lehrt in Frankfurt am Main.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen