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„Der Westen war erleichtert“

Interview RALPH BOLLMANN

taz: Herr Steininger, Sie vertreten die These, der Westen habe den Osten 1961 zum Mauerbau geradezu „eingeladen“. Wie ist das zu verstehen?

Rolf Steininger: Die letzte Einladung kam von William Fulbright, dem Vorsitzenden des außenpolitischen Senatsausschusses. Zwei Wochen vor dem Mauerbau warf er in einem Interview die Frage auf, warum die DDR die Grenze nicht schon zugemacht habe – wo sie doch das Recht dazu besitze. Außerdem wurde aus der Garantie des Viermächtestatus für ganz Berlin im ersten Halbjahr 1961 ganz still und heimlich eine Garantie für West-Berlin.

Damit gaben die USA dem Osten das Signal: Im sowjetischen Sektor könnt Ihr machen, was Ihr wollt?

Solange Ihr unsere Rechte in West-Berlin nicht berührt. Und die hatte der Osten beim Mauerbau nicht angetastet. Beide Großmächte versuchten aus der Krise herauszukommen, ohne lebenswichtige Interessen des anderen massiv in Frage zu stellen.

Hatten die Westmächte konkrete Hinweise auf den Mauerbau in dieser Form und zu diesem Termin?

Das ist das Dokument, das ich noch suche – einen Hinweis von Chruschtschow an den amerikanischen Botschafter: Das machen wir, ist das für euch okay? Wenn es dieses Dokument tatsächlich geben sollte, dann wird es wahrscheinlich nie für die Öffentlichkeit freigegeben. Das würde der Bündnistreue des Westens aus der Sicht der Bundesrepublik den Todesstoß versetzen.

Wie haben die Westmächte reagiert, als die Fakten geschaffen waren?

Mit Erleichterung. Amerikaner und Briten atmeten auf. Aus ihrer Sicht war die Krise mit dem Mauerbau zu Ende. Erst als die Amerikaner gemerkt haben: In Deutschland wird ein Vertrauensverlust erkennbar, die Bundesrepublik droht sich vom westlichen Bündnis abzuwenden – erst da gab es psychologische Hilfe. 1.500 Soldaten wurden nach Berlin geschickt, Clay und Johnson kamen in die geteilte Stadt. Die Westberliner waren begeistert.

Das war nur Propaganda zur Beruhigung der Berliner?

Das war reine Kosmetik. Mit der Mauer wurde die Teilung Deutschlands im wahrsten Sinne des Wortes zementiert. Das war für viele die Lösung der deutschen Frage.

Damit waren die Weichen für die spätere Ostpolitik gestellt?

Willy Brandt schreibt in seinen Erinnerungen: Nachdem sich die Großen auf Kosten der Deutschen arrangiert hätten, sei ihm der Gedanke gekommen, dass die Deutschen nun für sich aktiv werden müssten. Er ahnte aber nicht, dass genau dies das Ziel der Westmächte war.

Warum ist Adenauer damals nicht nach Berlin gefahren?

Dazu äußert er sich in seinen Memoiren: „Man“ habe ihm gesagt, er solle nicht fahren. Wer ist „man“? Ich bin überzeugt: die Amerikaner. Wenn Adenauer geflogen wäre – dann wäre das möglicherweise ein Signal gewesen für einen Aufstand wie am 17. Juni. Dann hätten die USA reagieren müssen, und das war deren größte Befürchtung.

Ging die Initiative zum Mauerbau von Ost-Berlin aus – oder von Moskau?

Ulbricht hatte schon 1954 darauf gedrängt, die Grenze zu schließen. Aber Chruschtschow ließ sich nie darauf ein – und er war es, der die Vorgaben machte. Deshalb kann das grüne Licht am Ende nur von ihm gekommen sein.

Welche Rolle spielt Ulbrichts berühmter Satz, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten?

Er wollte den Bewohnern der DDR klar machen: Es passiert irgendwas. Jetzt müsst ihr eure Koffer packen. Anschließend stiegen die Flüchtlingszahlen dramatisch an. Damit wollte Ulbricht die Sowjetunion unter Druck setzen, dem Mauerbau endlich zuzustimmen.

Er wollte die Öffentlichkeit gar nicht hinters Licht führen?

Da würde man ihn für dümmer halten, als er gewesen ist. Das Wort „Mauer“ kam in der Frage gar nicht vor, das hat er von sich aus gesagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm das versehentlich herausgerutscht ist.

Sie sagen: Der Mauerbau war eine Angelegenheit zwischen Washington und Moskau und hat dem Weltfrieden gedient. Fürchten Sie nicht, dass Sie mit solchen Thesen den Gestrigen in der PDS Argumentationshilfe leisten?

Ich lasse mich nicht zum Kronzeugen der SED oder der PDS machen – nach dem Motto: Wir sind nicht verantwortlich. Der „antifaschistische Schutzwall“ ist nicht von Adenauer und den Westmächten gebaut worden. Die Flüchtlinge sind nicht aus der Bundesrepublik abgehauen, sondern aus der DDR. Für die Menschen, die es direkt betroffen hat, war die Mauer furchtbar. Aber als Historiker muss man die Dinge in größerem Zusammenhang sehen: Die Großmächte arrangieren sich immer auf Kosten anderer – diesmal auf Kosten der Berliner und der DDR-Bevölkerung.

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