piwik no script img

Merkel greift Schröder an

In Berlin begann das Gedenken an den Mauerbau vor 40 Jahren. Die Spitze der Union versammelte sich am Checkpoint-Charlie, um den Wahlkampf Frank Steffels zu unterstützen und der SPD das Vergessen aller Ideale vorzuwerfen

von SEVERIN WEILAND

An diesem Sonntag hat die Berliner Polizei vorgesorgt. Diesmal will man sich nicht vorhalten lassen, die Unionsprominenz, die dem 40. Jahrestag des Mauerbaues gedenkt, schutzlos den Demonstranten ausgesetzt zu haben. Ein 2. Juli 2001, an dem sich ein Frank Steffel auf dem Berliner Alexanderplatz im Rücken von Edmund Stoiber Wurfgeschossen erwehren mußte und ein Michael Glos von Eiern besudelt wurde, soll es nicht wieder geben.

So erlebt denn der Checkpoint Charlie, wo lediglich ein nachgebauter Kontrollposten auf westlichem Gebiet und ein ebensolches Schilderimitat an die Teilung erinnert, wofür er einst stand: Kontrollen. Diesmal nicht in der strengen Art der DDR-Grenzer, die hier bis 1989 Ausländer beim Übergang in den Ostteil der Stadt mit oftmals strengem Blick überprüften. Sondern mit der Lässigkeit des Berliner Polizisten, der weiß, daß Trillerpfeifen und Rufchöre bei solcherart Veranstaltungen ohnehin nie gänzlich zu verhindern sind. Und so gelingt er einer kleinen und wütenden Schar junger Menschen, sich im Sperrgebiet zu postieren. Doch auch die Schüler-Union und die Junge Union sind an diesem Sonntag wachsam: das Terrain vor dem Podium haben sie vorsorglich besetzt. Schilder für Steffel, den Berliner Spitzenkandidaten der CDU, werden hochgehalten, eine Deutschlandfahne geschwungen. Und so dringt an diesem Tag nur gedämpft der Lärm der Gegendemonsranten zur Riege der Unionspolitiker hinauf, die sich am historischen Ort eingefunden haben, zu Angela Merkel, der CDU-Vorsitzende, ihrem Konkurrenten Stoiber, der jeden ihrer Sätze beklatscht, zum lächelnden thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, zu Steffel und dem abgewählten Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen.

Wohl kein Zufall ist es, daß das CDU-Video über den Mauerbau, untermalt mit dramatischer Musik, am Ende mit Bill Clinton und seinem Satz endet:„Alles ist möglich. Berlin ist frei.“ Das klingt wie ein Versprechen - und so ist es wohl auch gemeint, als Angela Merkel die SPD angreift. Was die Partei unter ihrem Vorsitzenden Gerhard Schröder betreibe sei das „Vergessen aller Ideale in der Politik.“ Wer die Erinnerung an den Mauerbau verdrängen wolle, „vergeht sich an der Freiheit“, sagt Merkel und ihre Anhänger applaudieren. Merkel versucht den Bogen zu spannen von den Opfern im Osten zu jenen im Westen - auch der Westberliner habe leiden müssen, sagt sie und ruft die Unmöglichkeit ins Gedächnis, als Westberliner einen 50 Kilometer entfernten Wald aufzusuchen. In diesem Augenblick lachen die Gegendemonstranten und rufen laut: Angela, Angela. Der Wahlkampf, er ist an diesem Sonntag im August gar nicht zu überhören. Fast jeder zweite Satz wird mit der Gegenwart verknüpft. Und in der droht eine PDS-Regierungsbeteiligung, die die CDU zu verhindern hofft. Eine Entschuldigung der PDS für den Mauerbau, den der Regierende SPD-Bürgermeister Wowereit gefordert hat? Merkel, der Ostdeutschen, ist das nicht ausreichend. Ja, sagt sie, es sei ihr „egal“, solange die PDS in ihrem Programm nicht einer Änderung des Gesellschaftssystems der Bundesrepublik abschwöre, solange sie kein Bekenntnis ablege, daß Privateigentum und Freiheit untrennbar zusammengehörten. Als Edmund Stoiber das Wort ergreift, kommen die Gegendemonstranten erst richtig in Wallung. Pfiffe gellen, Fäuste werden geballt, Stinkefinger in die Luft gehalten. Manch älterer CDU-Anhänger versucht ein Gespräch mit den Jugendlichen - vergebens. Wer mit der PDS koaliere, ruft Stoiber, der „paktiert mit dem Sozialismus der SED“. Die Schüler-Union hält wacker ihre Plakate hoch - dahinter verhallen die Rufe der Linksgesinnten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen