: Für die Wirklichkeit des Unverwirklichten
Jahrelang ist um das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas gestritten worden. Die Frage aber bleibt: Lässt sich das Gedenken ästhetisieren? Ein Resümee zum Baubeginn im Herbst
von KLAUS THEWELEIT
Because something is shown here But you don’t know what it is Do you, Mr. Bones?
. . . Frauenhände über einer Schreibmaschine . . . artifizielle Geräusche auf dem Soundtrack . . . nicht einfach: Schreibmaschinengeklapper . . . in Nahaufnahme das eingespannte Papier . . . Listen, Kolonnen, Zahlen.
Die Hände einer Sekretärin füllenvorgedruckte Spalten aus.Rubrik Zahnfüllungen:15.371 in Gold . . . Haare: 469 Kilo . . . Schuhe ca. 30.000 Paar . . .
Sie scherzt mit einer Kolleginpackt ihr Frühstücksbrot aus –dann eine Reemtsma zwischen die Lippen . . .
. . . und: die Arbeiter in den Schuppen . . . das Einpacken, Adressieren, Verschicken . . . die Fahrzeuge, die Post, die Empfänger . . . die Weiterverwerter in den Alltagsindustrien:
– ein paar hingeworfene Bemerkungen Jean-Luc Godardszu einem nie gemachten Film über die Lager.Wie anders das Unzeigbare zeigen?Den unternehmerischen Großversuch der Deutschen,Arbeiter sich überall zu nehmen,aber weder zu bezahlen noch zu ernährenund alles, was nicht „passt“, hinwegzuselektionieren.
Nochmal die Leichenberge aus Nacht und NebelMit Eislers elegischer Musik? . . .
Es blieb bei Überlegungen.(. . . wohl auch, weil Lanzmann dann zeigte,was zu zeigen war.)
Oder Jerry Lewis’ Idee – Ein Clown in den CampsAuf seiner OdysseeZwischen Treblinka und Ithaca.Sicher hätte es was zu lachen gegeben.– wie ein Mahnmal„zu denken“ geben soll, sicher.
„Aber wie das Uninszenierbare inszenieren?“Nicht einmal seinem Körper war dies abzuringen.Nie gedreht.
Es blieb bei der Idee.
Oder Hitchcock.Seinen schönsten Mord zeigte er nie:. . . den Toten, der am Ende des Fließbandsaus dem fertig montierten Auto fälltIn Detroit bei Ford.
. . . &, natürlich, Jochen Gerz, der Schlaue:Mahnmäler in die Unsichtbarkeit versenkt.
KONZEPT:DAS UNSICHTBAREODER DASNIE PRODUZIERTE WERK.
Bernd Völkles kleines Würfelpaket:sieben quadratische Leinwände,gespannt auf Holzrahmen,die Oberflächen zueinander gedreht,fest miteinander verklebt,nur die Rückseiten und die Ränder,farbverschmiert, sind zu sehen.Außendrum zusätzlich ein Stahlband,wie in der Spedition.
Wer wissen wollte, was „auf den Leinwänden war“,müsste mit der Zange da ran,mit Messer und Sägeund würde nur erhaltenden eigenen Akt der Zerstörung.
Glauben Sie denn, Gerz’ Vorschlag der 39 Säulenmit 39-mal „Warum“in 39 europäischen Sprachenplus Eingravierung der ausgewählten Antwortenim Beton des Platzes– zu komplettieren im Lauf der nächsten 50 Jahre –zielte auf so etwas wie „Verwirklichung“?Nie und nimmer. So klugKann keine Jury sein.
Nun Rudolf Herz und Reinhard Matz:Dass etwas erfahrbar gemacht werden solldurch eine Art Unsichtbarmachen sagt schon ihr Titel: „Überschrieben“.
Was soll „überschrieben“ werden?Nicht jüdische Vermögen(wo es noch einiges zu entziffern gäbe)Nein, AutobahninschriftenDamit sie lesbar würdenAls GrabinschriftenFür die ermordeten Juden Europas.
Was man eine „bestechende Idee“ nennt, also – Aber „realisieren“?
Sie werden doch nicht wollen,nicht im Ernst, meine Herren,dass Millionen deutscher Autofahrerdie Millionen umgebrachter Judenmit ihrem Flücheschwallnoch einmal neu bedenken
Wenn sie, gezwungenermaßen,Ihr allerliebstes KindIhr gleitendes AutotechnomobilÜber 1 km GranitpflasterQuälend holpern lassen sollten?
Das geht an die Stoßdämpfer,die geschichtlichen,das geht an die Bewältigungs-Nieren& ist gewiss nicht ganz der Wegvorzustoßen ins deutsche Hirnoder gar das autonome dt. Herz.
– um dann wieder aufs Pedal zu gehenwenn das Holperstück vorüber ist.
Das können Sie nicht wollen,Matz & Herz, nein, das nicht – – –.
Aber ein besonders schönes Stückauf der Liste der nie zu verwirklichenden Werkewerden Sie geliefert haben:ein Schlag in die Psyche der Lenkernation,in den flotten Neuronenkernund seine Bahnungen,hinein in der Deutschen weg-asphaltierte Emotion.
– exakt wie Godards SekretärinnenhändeWie Jerry Lewis’ polnischer Clown an der Rampe.
Schon die Betonplatte mit den Namen der Opfer,projektiert und nicht gebaut,– verworfen vom Schönheitsempfindeneines empfindsamen Saunafans –:Ist nicht gerade sieeingelassen dadurch in unsere Vision?& zusätzlichversehen mit passendem Namen:als „fußballfeldgroßes Mal unserer Schande“,kreiert von einem mondkratermäßigen Dichterfürstenist sie nun Denkmal für die Abgründeeines tennisfeldgroßen Kanzler-Kloßes„Kohls place for ever“mit einer Latteewig unleserlicher Dunkelnamen drauf.
Es ist eben nicht das „Now Or Never“beim Errichtender sog. Denk- oder Mahnmäler.
Zu Walsers Fußballfeld– über das Ignatz Bubis davonging in die Unsichtbarkeit,selber ein Denkmal – schlug ich vor Jahren vor,man möge die Namen von Tätern dort eingravieren
– statt die Platte mit den Namender Gefolterten, Vergasten und Verbrannten zu beschriften.
Das Namenspotenzial also der Anschriftenregisterder reichsdeutschen Einwohnermelde-und Ordnungsämter.4.000-mal Koch, 6.000-mal Müller,wie im Verkehrs-Sünden-Register Flensburg.Das käme einer „Wahrheit“ nahe.Zwar auch Himmler, Heinrich, persönlich zu vermerken,aber ca. 769 weitere Himmlers ebenso.Nicht jede(n) H., selbstverständlich,es gibt auch Unbeteiligte dieses Namens.Aber nun nachzulesen hier,Von deutschen Füßen zu begehen,Ein Berliner Betonweg in ein Gefühl,die Scham.
Auch dieser Vorschlag war völlig „ernst gemeint“Wie die von Herz, Matz, Gerz und manchen anderen.Aber:Zu verwirklichen doch nichtIm Sinn einer Bauausführung.Bewahre!
Dies Denk-Mal existiert bereitsIn meinem KopfIn ein paar anderen.In diesem Moment in einigen mehr.
Die Autobahnschilder „Überschrieben“Sind längst schon in BetriebOder aber nie.
Wer sie gesehen hatBringt sie unterVon nun an bis immerIn jedem blauweißen AutobahnschildVor jedem tatsächlichen Autobahnkreuz.
Ernst wars mir auch, lange her, mit dem Satz:„Nur noch Gedichte nach Auschwitz“.
Aber „umzusetzen“ doch nicht.Auch Fußballergebnisse und GehaltslistenStrafzettel und Liebesbriefe müssen seinUnd der weitere Schrott der GutenberggalaxisVon wem zu stoppen denn –?
Denkmalssätze nun. SätzeVon (un)angebrachten VerdiktenOder falschen FundamentalismenWie mans nimmt:Jedenfalls etwas zuAdornos relativity.
Etwas anderes alsMahnmale für StaatsbesucherDie Bittburgen für die Reagans und KohlsDie Schröders und Clintons, Diepgens und Al(b)rights – Die Zwangs-SichtbarenMit den steinernen SeelenAn den WortabwurfstellenOffizieller Trauer-Deponien.
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Dabei gibt es VerwirklichbaresAuch im Sichtbarenganz einfachund deshalbnicht gemacht:
– das Kino-Denk-Maldas Lanzmanns Shoah zeigt24 Std. am Tag das ganze Jahr,möglich in vielen Städten, und sogar bezahlbar.Daneben das Kino mit Syberbergs Hitlerfilm,ebenfalls 24-stündig, immer von vorn
– ein drittes zeigt, Tag und Nacht,Aufzeichnungen von Überlebenden der Shoah,aus Spielbergs und anderen Foundations,unbearbeitet.– um nur einen kleinen Anfang zu machenmit der Liste der wünschenswertenund machbaren Dinge.
So viele vernünftigeauf der Hand liegendeund leicht zu realisierende Formender Forderung Primo Levis nachzukommen:„Zeugnis abzulegen“vom Unzeigbaren.
Dass es, auch wenn gezeigt,
unzeigbar bleibt,liegt in der (Un)Natur der Sache:liegt im Versuch so vieler Menschen des 20. Jhds.,Deutscher u. Österreicher,die „Idee Mensch“ selber auszurotten.Dies ist der Schirm, der Monitor,
Vor dem sich alles Denken,Alle Wahrnehmung, Alles EmpfindenDerer abspielt, die das angeht.
Wer all das „realisiert“ haben möchteIn Eisen, Stein, Beton, Farbe, BlechIn Kommissionsvoten & RegierungsbeschlüssenSoll auch verewigt werdenIn Tafeln auf dem PlatzIn einer Liste Neuerer TäterUnschuldiger TäterDie nichts tatenAls an das Gedenken zu denkenDas sie den ermordeten Juden zu geben bereit warenIn einem Mahn- und Denkmal großen Stils.Damit dieser leidigen AngelegenheitNun endlich Genüge getan wäreNach Zwangsarbeiter-„Entschädigungs“-Modell –„Und keine weiteren Ansprüche, bitte,Aus Amerika oder sonst woher“Sonst lassen wir das DingNoch platzen.
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Im Wort IsraelSteckt eine Antwortdie das Wort sich selber gibt:
Israel is real
Unsere Realität dagegenLiegt im UnverwirklichtenLiegt im BleibenlassenDessen was Bleiben willUnd sehen, ob es hier leben kannUnbe(ob)achtet.
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And you say „impossible“As (s)he hands you a bone.
Freiburg, Juni 2000
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