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Entschlossen und gelassen

Die Bundesregierung rätselt, wie eine deutsche Beteiligung an einem Nato-Einsatz aussehen könnte. Kritiker aus der SPD-Fraktion halten sich bedeckt

„Die Frage ist: Was ist eine angemessene Antwort?“

aus Berlin JENS KÖNIG und SEVERIN WEILAND

George Bush wird zuschlagen, das weiß in der rot-grünen Regierung jeder. Die militärische Vergeltungsaktion der USA als Reaktion auf die verheerenden Terroranschläge in Washington und New York steht unmittelbar bevor. Die Bundesregierung kann und will sich einer Beteiligung an einer solchen Militäroperation nicht entziehen, die konkreten Möglichkeiten dazu werden derzeit geprüft. Der Kanzler beriet darüber gestern den ganzen Tag mit dem Bundessicherheitsrat, dem Außen- und Verteidigungsminister sowie seinen engsten Mitarbeitern.

Es schlägt also zunächst die Stunde des Militärs – und die Bundesregierung hofft, dass bald danach wieder die Politik zu ihrem Recht kommt. Diese Zwiespältigkeit der gegenwärtigen Situation war am gestrigen Tag aus allen Äußerungen von Schröder, Fischer oder Scharping herauszuhören. Der Verteidigungsminister warnte sogar davor, nur mit militärischen Mitteln auf die Terroranschläge zu reagieren. „Wir stehen nicht vor einem Krieg“, sagte Scharping. „Wir stehen vor der Frage: Was ist eine angemessene Antwort?“ Das meine er nicht im Sinne von Rache und Vergeltung. Es gehe um die Dimension des internationalen Terrors – darum, seine Brutalität und Wirksamkeit auf Dauer bekämpfen und brechen zu können.

Man muss mehr tun, als nur militärisch zu handeln – das ist die klare Botschaft von Scharping. Allerdings vergaß er nicht darauf hinzuweisen, dass man „in einzelnen Fällen auch militärisch handeln muss“.

Inwieweit das Deutschland konkret betrifft, ist noch nicht klar. Die Bundesregierung hatte sich am Mittwochabend zwar zur deutschen Beistandspflicht im Rahmen der Nato bekannt, aber noch nicht erklärt, wie die Unterstützung aussehen soll. „Über den Inhalt und über das Ausmaß eines möglichen deutschen Beistandsbeitrages werden wir noch zu entscheiden haben, und dies in unserer eigenen Verantwortung“, hatte Schröder nach der Nato-Entscheidung in Brüssel erklärt. Einen Automatismus für deutsche Militäreinsätze gebe es nicht.

In Sicherheitskreisen gilt es als sicher, dass die Bundesrepublik bei dem erwarteten Gegenschlag vor allem logistische Unterstützung leisten wird. Dazu könnte auch die Zusage gehören, deutsche Stützpunkte für Militärschläge zu nutzen. Die Kapazität, um Ziele im Mittleren Osten anzugreifen, hätten neben den USA nur Großbritannien und Frankreich, hieß es.

Joschka Fischer fasste die Haltung, mit der die Bundesregierung, die gesamte Nato der jetzigen Herausforderung begegnen sollte, in drei klare Formeln: Sie müsse mit Entschlossenheit handeln, einen kühlen Kopf bewahren und Gelassenheit demonstrieren. Entschlossenheit – das gilt wohl eher für den militärischen Gegenschlag. Kühler Kopf – das zielt auf den Zeitpunkt, wo die Politik zurückkehrt. Gelassenheit – das meint, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht in zwei, drei Jahren erledigt ist.

Noch am Mittwochabend hatte Gerhard Schröder auf die Haltung des Bundestags hingewiesen, als er kurz nach halb zehn im Kanzleramt den Nato-Beschluss zum Bündnisfall begründete. Die Solidaritätserklärung mit den USA sei „nicht umsonst“ gewesen. Gestern Morgen war es mit der Einmütigkeit bereits vorbei. Zumindest die PDS machte klar, dass sie trotz der Solidarität mit den USA den Beschluss der Nato für „rechtlich fragwürdig, vor allem aber politisch eher eskalierend statt deeskalierend“ halte. Union und FDP begrüßten den Beschluss hingegen ebenso wie die Grünen. Doch mischten sich bei allen Beteiligten sorgenvolle Töne unter die Solidaritätsbekundungen. Von einer „sehr ernsten Lage“ sprach FDP-Chef Guido Westerwelle.

Dass manchen Konservativen ebenfalls ein ungutes Gefühl beschleicht, zeigte sich an den Äußerungen des Ex-Verteidigungsministers Volker Rühe. Wenn man könnte, dann würde man am liebsten die Bilder zurückdrehen, meinte er auf einer Pressekonferenz und warnte davor, die Bevölkerung über das Ausmaß der neuen Situation im Unklaren zu lassen. Der Nato-Beschluss sei mehr als eine politische Entscheidung; er beinhalte auch militärische Maßnahmen.

Unterschiedlich wurde bei der Opposition die Informationspolitik bewertet. Während FDP-Chef Guido Westerwelle erklärte, seine Partei sei „mehr als zufrieden“, wies Merz darauf hin, dass Schröder die Fraktionschefs am Mittwochabend erst nach dem Beschluss des Nato-Rates informierte. Eine Feststellung, die allgemein als indirekte Kritik verstanden wurde.

Von einem Vorratsbeschluss, der die Bundesregierung mit einer De-facto-Blankovollmacht für Einsätze der Bundeswehr ausstellen würde, hält Merz nichts. Es verbiete sich aber auch, jetzt schon eine „filigrane Grenzziehung“ über die Art und Form der militärischen Mittel vorzunehmen. Die Bundesregierung müsse zunächst feststellen, was militärisch erforderlich sei, bevor sich der Bundestag damit befasse. Im Übrigen könne die Bundesregierung bei „Gefahr im Verzuge“ auch sofort handeln und sich nachträglich die Zustimmung des Parlaments holen, betonten Merz und Rühe.

Bei den Grünen war es kaum überraschend, dass mit Christian Ströbele ein Vertreter des linken Flügels vor voreiligen Schritten warnte. Kriegerische Aktionen und Kriege gegen Länder seien das „völlig falsche Mittel“, meinte der Anwalt. Etwas anderes sei es, gegen Terroristen vorzugehen. Die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast verteidigte zwar den Nato-Beschluss, mahnte aber zu besonnenem Handeln. Die Zurückhaltung drückte sich auch in der Erklärung des grünen Parteirates aus: Die Grünen würden der „Inanspruchnahme des Bündnisfalles nicht widersprechen“, hieß es dort. Zugleich wurde festgehalten, dass sich dadurch nicht schon eine „Entscheidung für die Teilnahme an militärischen Planungen oder Aktionen der USA“ ergebe.

In der SPD-Fraktion, die sich heute Vormittag zu einer Sondersitzung trifft, wurde von führender Seite auf den Ernst der Lage hingewiesen. Fraktionschef Peter Struck meinte vor Beginn einer SPD-Arbeitnehmerkonferenz in Berlin, die Maßnahmen der USA und der Nato könnten die Beteiligung der Bundeswehr einschließen und die Bundesrepublik ingesamt in Mitleidenschaft ziehen. Die Bündnisfall heiße aber nicht, dass „wir im Krieg sind“.

Die offenen Bemerkungen Strucks waren umso bemerkenswerter, als noch vor zwei Wochen beim Beschluss über den Mazedonieneinsatz 19 Abgeordnete mit Nein gestimmt hatten. Harald Friese, der als eine Art Sprecher der Kritiker in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt war, vermied gestern jeden öffentlichen Kommentar. Er wolle sich nicht äußern, solange kein Antrag der Bundesregierung vorliege, hieß es aus seinem Büro.

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