: „Nicht immer nur dieselbe Soße“
Bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen am Sonntag dürfen die Sender nicht ins Rathaus. Ein Gespräch mit Stefan Raue vom ZDF über den Unterschied zur ARD, die innere Sicherheit und warum Wahlsendungen auf allen Kanälen ähnlich aussehen
taz: Am Sonntag wird in Hamburg gewählt, dann in Berlin. Bei den letzten Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg war sich die Berichterstattung aller Sender zum Verwechseln ähnlich. Wozu das immer Gleiche auf verschiedenen Kanälen?
Stefan Raue: Die öffentlich-rechtlichen Sender haben bei Landtagswahlen rund zehn Millionen Zuschauer, ZDF und ARD allein jeweils drei bis vier Millionen. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass wir in einer Zeit leben, in der es schwierig ist, mit innenpolitischen Themen Zuschauer zu gewinnen. Es gibt ein Desinteresse an diesen Themen. Kein einfaches Unterfangen also, Zuschauer zwei Stunden am Schirm zu halten, ohne große Schwankungen, mit großer Konzentration und Anteilnahme.
Trotzdem: Einheitsbrei bei ARD und ZDF . . .
Wir unterscheiden uns. Das ZDF setzt seinen Schwerpunkt verstärkt auf Bundespolitik. Frau Merkel und die Generalsekretäre aus Berlin werden bei uns frühzeitig geschaltet. Auf diese Weise setzen wir uns von der ARD ab. Die ARD hat durch ihre Regionalstudios mehr lokale Nähe als das ZDF und zudem ein spezielles Publikum, das Lindenstraßen-Anschluss-Publikum. Wir hingegen werden uns beispielsweise der Frage widmen, was das Hamburger Wahlergebnis für die Bundestagswahlen bedeutet: Bis um zwanzig vor sieben werden wir das Geschehen in Hamburg spiegeln, dann stärker auf die Bundespolitik eingehen.
Werden Sie die Wahlen im Zusammenhang mit den Terroranschlägen und Reaktionen in den USA sehen?
Wir werden weitgehend am üblichen Konzept der Wahlsendungen festhalten, falls es nicht zu einer neuen Nachrichtenlage kommt. In dieser Woche ist unsere „Forschungsgruppe Wahlen“ zur Vorbereitung in Hamburg, unterwegs. Dort wird die Stimmungslage insgesamt abgefragt. Es wird abgefragt, wie wichtig dem Wähler außenpolitische Dispositionen, das Thema „innere Sicherheit“ oder „Einwanderung“ sind. Meiner persönlichen Meinung nach wird zumindest das bundespolitische Publikum die Wahlen als Exempel sehen. Bei diesem werden dann auch – vermutlich anders als in Hamburg selbst – spezielle Themen im Vordergrund stehen: Fragen über Krieg, militärische Maßnahmen, Terror –und was auf die Deutschen zukommen kann.
Stichwort „innere Sicherheit“: Es ist zu befürchten, dass der Ruf nach einem „starken Staat“ laut wird . . .
Bundesweit kann man bereits jetzt feststellen, dass die Bürger sich verunsichert fühlen und das Thema „innere Sicherheit“ in der Prioritätenliste nach oben rutscht. In Hamburg gibt es jedoch – unabhängig von den Geschehnissen in den USA – seit längerem eine Diskussion um den Zustand der Sicherheit der Stadt. Nur so ist das Aufkommen eines Mannes wie Ronald Schill zu verstehen. Dennoch – ein Programm, das der Wähler den Politikern quasi in Auftrag gibt, kann man aus diesen Stimmungsbildern nicht herauslesen.
Die rechtspopulistische Partei des Amtsrichters Schill bedient reaktionäre Tendenzen: Für eine Verschärfung des Ausländerrechts, für die Aufrüstung der Polizei. Werden Sie das kritisch hinterfragen?
Auf jeden Fall. Wir haben einen Reporter bei der Wahlparty der Schill-Partei, Vertreter dieser Gruppierung werden sehr früh in unserer Wahlsendung sein und sich dort mit ihren politischen Gegnern auseinander setzen müssen. Wir werden natürlich auch hinterfragen, ob eine so monothematisch ausgerichtete Partei überhaupt in der Lage sein wird, Schicksal oder Zünglein an der Waage in Hamburg zu spielen. Wir versuchen bei solchen Überraschungsparteien – die es in der Vergangenheit gerade in Hamburg öfter gegeben hat – herauszubekommen: Wer steht dahinter, welche Argumente werden vertreten? Wir wollen fragen, wie wird es in Hamburg weitergehen, sollte diese Partei tatsächlich so viele Stimmen bekommen wie bei letzten Umfragen prognostiziert.
Sind die Interviewer nicht oft zu brav, um Politiker mit kritischen Fragen aus ihrem Konzept zu reißen?
Geschmackssache. Mit einer provokativen Frage können Sie ein tolles Ergebnis haben, aber auch blockieren. An Wahlabenden geht es – anders als in Hintergrundsendungen – um originäre Reporterfragen: „Hier ist die Prognose, was sagen Sie dazu?“ Zu Recht würde man den Reporter um den Block jagen, wenn er diese Frage nicht stellen würde. Das klingt trivialer, als es ist. Im ZDF gibt es häufig ein „Spezial“ zu den Wahlergebnissen. Am Wahlabend selbst wäre die Sendung damit heillos überfrachtet. Generell wehre ich mich gegen den Vorwurf, dass es immer nur dieselbe Soße sei. Aber ich gebe zu, die anderthalb Stunden oder zwei Stunden Sendung sind nicht die alles erklärende Fernsehveranstaltung.
Steigern die Sender Wahlmüdigkeit, indem sie die Selbstdarstellung der Politiker zulassen?
Wir können Politiker nicht trainieren, ihnen sagen, ihr müsst substanziell werden, etwas zu den notwendigen Themen sagen, die Menschen wirklich angehen. Wir sind nicht die Gouvernanten der Politiker. Man tut auch den Reportern Unrecht, wenn man ihnen das ganze kritische Gepäck auf den Rücken schnallt. Es sind die Parteien, die sich gegenseitig annähern, sich kaum mehr unterscheiden.
Ein Verschiebebahnhof: Wir Journalisten sind es nicht, es sind die Politiker. Brauchen wir vielleicht generell ein neues Konzept für Wahlsendungen?
Sicherlich denken wir darüber nach, wie wir unkonventionelle Leute und Nichtwähler stärker berücksichtigen können. Aber ich will auch die Schwierigkeiten nicht verheimlichen: Wer Ihnen bei Interviews auf der Straße entgegenstürzt, den dürfen Sie auf keinen Fall befragen. Solche Menschen hören sich meist selbst gern reden, haben aber nicht viel zu sagen. Und die, die etwas zu sagen hätten, scheuen häufig Kameras. Das ist viel Arbeit, geeignete Leute zu finden.
Bei der Hamburg-Wahl an diesem Wochenende gibt es eine Besonderheit . . .
Bei der letzten Bürgerschaftswahl hat der Präsident der Bürgerschaft entschieden, dass wir – anders als in allen anderen Bundesländern – nicht ins Rathaus dürfen. Das ist mehr als nur eine Petitesse, weil wir ja auch davon leben, im politischen Zentrum unsere Studios aufzubauen. Jetzt senden wir aus einem Kongresszentrum. Wir werden daher stärker zu den Reportern bei den zahlreichen Wahlpartys in der Stadt schalten. Damit ist quasi vorprogrammiert, aus der Routine zu fallen, neue Wege zu gehen.INTERVIEW: GITTA DÜPERTHAL
(So., ab 17.45 Uhr auf ZDF, ARD u. N 3)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen