: „Der Joschka will nicht in die SPD“
Daniel Cohn-Bendit sieht Rot-Grün und seinen alten Freund Joschka Fischer in Gefahr: Bricht die Koalition, könne Fischer nicht bei den Grünen bleiben
Interview JENS KÖNIG
taz: Herr Cohn-Bendit, alle rätseln über die Zukunft der rot-grünen Regierung, aber Sie wissen es ganz genau. Sie halten es für wahrscheinlich, dass Deutschland in drei Wochen von einer großen Koalition regiert wird. Joschka Fischer würde dann die Grünen verlassen, behaupten Sie. Sind das Ahnungen oder Gewissheiten?
Daniel Cohn-Bendit: Nun mal halblang. Ich verkaufe hier keine Gewissheiten. Ich analysiere die schwierige Lage der Grünen und mache auf Gefahren aufmerksam. Ich habe in den vergangenen Tagen mehrmals mit Joschka Fischer gesprochen. Aber er hat mir keine Geheimnisse verraten.
Aber Sie sind überzeugt davon, dass die rot-grüne Koalition zerbrechen wird?
Die rot-grüne Regierung muss an der Frage, ob man den Terrorismus auch mit militärischen Mitteln besiegen kann, nicht kaputtgehen. Aber wenn die Diskussion bei den Grünen so weiterläuft wie bisher, ist die Koalition nicht mehr zu retten.
Warum?
Ich habe ja schon vor ein paar Tagen gesagt, dass die Grünen in einer teuflischen Falle sitzen. Während die Mehrheit der deutschen Bevölkerung den aufrechten Gang ihres Außenministers würdigt, trauern immer mehr Grüne um ihren pazifistischen Joschka. Aber mittlerweile bekommt die ganze Diskussion etwas Projektives: Viele tun so, als würden die Amerikaner schon seit einer Woche Afghanistan bombardieren.
Vielleicht haben sie einfach nur Angst?
Viele von uns sind ängstlich, und das kann ich nur zu gut nachvollziehen. Aber wir werden auch von unserer Gutmenschennaivität übermannt. Am liebsten würden wir ein Heer von Sozialarbeitern mit dem Fallschirm über Afghanistan absetzen. Viele Grünen berufen sich plötzlich nur noch auf ihr Gewissen. Ein Drittel der grünen Bundestagsabgeordneten würde im Moment gegen eine deutsche Beteiligung an Militärschlägen stimmen.
Und die Konsequenz wäre eine große Koalition?
Ja. Aber schlimmer noch: Die Grünen hätten sich damit auch direkt gegen Fischer als ihren Außenminister, als den Repräsentanten ihrer Politik entschieden. Fischer würde nicht mehr bei den Grünen bleiben können.
Vielleicht gibt es Wichtigeres als einen grünen Außenminister. Was ist schlimm daran, wenn sich Politiker auf ihr Gewissen berufen?
Gar nichts, im Gegenteil. Aber Fischer kann sich auch auf sein Gewissen berufen. Der Joschka macht doch seine Politik nicht, weil er gerne Außenminister ist. Er macht das aus innerer Überzeugung. Fischer führt keinen Krieg. Er geht davon aus, dass für den Kampf gegen diesen barbarischen Terror auch eine internationale militärische Koalition geschmiedet werden muss. Nur so hat Europa Einfluss auf die USA.
Und das soll man nicht kritisieren dürfen?
Doch. Ich selbst habe das in der vergangenen Woche oft getan. Aber die Grünen sollten eine politische Debatte führen.
Das tun sie nicht?
Nein, sie steigern sich in eine Auseinandersetzung hinein, in der das eine Gewissen gegen das andere Gewissen steht. Bei uns wird alles immer gleich zur Existenzfrage hochstilisiert. Damit mobilisiert man nur Affektreaktionen. Das macht uns handlungsunfähig.
Wessen Schuld ist das?
Das ist keine Frage von Schuld. Dass wir es uns in militärischen Fragen nicht leicht machen, ist mehr als legitim. Aber es ist eben auch Ausdruck unserer eigenen Niederlage: Die Grünen haben es nach dem Epochenbruch von 1989 nicht vermocht, neue Wählerschichten zu gewinnen.
Und daran scheitert Fischer?
Wenn SPD und Grüne keine eigene Mehrheit für eine deutsche Beteiligung an Militäreinsätzen zustande bekommen, wird Schröder die Koalition beenden. Aber wie sollte Fischer bei den Grünen bleiben können, wenn er Schröders Politik für richtig hält? Soll Fischer sich als grüner Fraktionschef in der Opposition hinstellen und sagen: Weiter so, Kanzler?
Glauben Sie, dass Fischer dann zur SPD wechseln könnte?
Ich weiß es nicht. Nicht einmal Fischer selbst wird das wissen.
Haben Sie mit ihm geredet?
Nein. Aber wenn Sie mich fragen, ob Joschka in die SPD will, dann sage ich: nein. Er weiß um die Gefahr von politischen Konvertiten. Sie zahlen einen hohen Preis, weil sie stets ihre eigene Vergangenheit bekämpfen müssen. Man sieht das an Otto Schily. Aber der Bruch der rot-grünen Koalition würde Joschka in eine existenzielle Krise stürzen. Und wer weiß schon, wie der Mensch Joschka Fischer aus dieser Krise wieder herausfinden würde? Was macht das mit dem Politiker Fischer, wenn man ihn zwingt, gegen sein Gewissen zu handeln?
Manche glauben, Cohn-Bendit baut hier in Absprache mit seinem alten Freund Joschka eine Drohkulisse auf, um die Grünen auf Kurs zu bringen.
Albern! Wer das behauptet, verkennt den Ernst der Lage. Das ist doch hier kein Kinderspiel. Mir ist das grüne Projekt viel zu wichtig, um als Westentaschen-Machiavelli in die Geschichtsbücher einzugehen.
Und wie kommen die Grünen aus ihrem Dilemma heraus?
Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie Westerwelle als Außenminister? Einen Agrarlobbyisten statt Renate Künast? Beckstein zusammen mit Schily? Auch ich verstehe Joschka nicht immer. Aber das muss man nicht, um einzuräumen, dass man sich mit einem Außenminister Fischer sicherer fühlt als mit einem Außenminister Rühe. Die Grünen müssen die Macht wollen – aber nicht um der Macht willen, sondern um Freiräume für grüne Politik zu erkämpfen.
Oft sieht es so aus, als wollten die Grünen nur die Macht, aber wüssten nicht so recht, wozu.
Die Kritik ist manchmal berechtigt. Daher sage ich: Die Grünen müssen im Bundestag die Mehrheiten sichern, auch wenn es um Militäreinsätze geht. Gleichzeitig jedoch müssen sie eine klare Strategie der Differenz verfolgen – gegenüber der SPD, aber wenn es sein muss, auch gegenüber ihrem Außenminister.
Wie sollte das aussehen?
Schily sagt, nach den Terroranschlägen stehe die Sicherheit der Bürger jetzt an erster Stelle. Was machen wir? Wir verzetteln uns in Auseinandersetzungen mit dem Innenminister über Detailfragen. Die Grünen müssten sagen: Ja, Herr Schily, Sie haben Recht, und deswegen fordern wir den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie! Die Sicherheit der Bürger wird doch durch nichts so sehr gefährdet wie durch die Atomkraftwerke, die gegen Terroranschläge nicht gesichert sind.
Die Forderung wäre nicht durchsetzbar.
Das wissen wir. Na und? Wir müssen darum kämpfen. Wir müssen endlich wieder lernen, unsere Forderungen klar zu formulieren. Wir sind nicht die SPD – wir sind die Grünen.
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