: „Bei Terror ist der Staat gefordert“
Paul Achleitner, Finanzvorstand des weltgrößten Versicherungskonzerns Allianz AG, über die Zukunft seiner Branche nach den Anschlägen in den USA
Interview BEATE WILLMSund HANNES KOCH
taz: In den zerstörten Türmen des World Trade Centers in New York hatten Sie mehrere Stockwerke gemietet. Wie geht es Ihren Angestellten?
Paul Achleitner: Wir hatten sehr großes Glück, dass alle unsere Mitarbeiter aus dem südlichen Turm herausgefunden haben. Rund 200 Leute sind heil davongekommen. Und jetzt sind sie natürlich aktiv: Wir nehmen die Schäden auf und machen uns daran, sie zu bezahlen.
Haben Sie jetzt die Aufgabe, die Lebensversicherungen für die Toten auszuzahlen?
Vor dem Hintergrund der Dramatik der Ereignisse mag es bizarr klingen, aber für eine Versicherung wie die Allianz ist es absolut selbstverständlich, den Kunden rasch zu helfen. Lebensversicherungen betreffen uns eher nicht – wir sind in den USA vor allem Sachversicherer. So sind wir jetzt in erster Linie mit Schäden an Gebäuden, Haftpflicht und Betriebsunterbrechungen beschäftigt. Zuletzt hat eine Kreuzfahrtgesellschaft ihren Schaden gemeldet, weil die Gäste wegen der Attentate am Flughafen festsaßen und die Reise nicht stattfinden konnte.
Hatte die Allianz auch das World Trade Center versichert?
Ja, zusammen mit anderen Firmen.
Ist es nicht unüblich, sich quasi selbst zu versichern? Die Allianz war ja auch in dem Gebäude untergebracht.
Eine ziemlich normale Begebenheit. Wobei sich der Versicherungsschutz ja auf das Gebäude und den Eigentümer bezieht – und nicht auf uns als Mieter.
Kurz nach den Angriffen hat die Allianz geschätzt, dass sie 700 Millionen Euro für die Schäden ausgeben wird. Dann wurde die Prognose erhöht – auf eine Milliarde Euro. Rechnen Sie mit weiteren Steigerungen?
Wir glauben, dass wir mit unseren Einschätzungen auf der konservativen Seite liegen. Das tatsächliche Ausmaß fällt hoffentlich geringer aus.
Wie lange werden Sie die Folgen der Anschläge beschäftigen?
Bis Ende des Jahres werden wir einen besseren Überblick haben. Anderes kann sehr viel länger dauern. Man darf die Schwierigkeiten nicht unterschätzen: Viele Geschäftsunterlagen sind verbrannt oder zerstört.
Auf 40 Milliarden Dollar schätzt man die Schäden insgesamt. Ist das der GAU für die Versicherungsindustrie?
In absoluten Zahlen ist es zweifellos der größte von Menschen verursachte Schadensfall in der Geschichte – wenn man von Kriegen absieht. Aber der GAU? Nein. Versicherungen beschäftigten sich schließlich damit, große Risiken langfristig abzusichern und zu finanzieren. Natürlich muss man unterscheiden zwischen den Unternehmen, die auf einer soliden Basis stehen, und denen, die schwächer sind.
In Ihrer Branche wird der Wettbewerb also ab- und der Einfluss der Allianz als größtem Versicherungskonzern der Welt weiter zunehmen?
Vielleicht sind die Schwachen ja demnächst ganz froh, dass ein Starker kommt und sie übernimmt. Denn was passiert, wenn einigen Leuten die Luft ausgeht? Das betrifft nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Aktionäre und die Versicherten, die auf die Auszahlung ihrer Leistungen hoffen.
Die Allianz und andere Versicherer haben in der vergangenen Woche den Airlines die Verträge für Schäden gekündigt, die beim Absturz eines Flugzeugs durch Terrorakte entstehen. Das finanzielle Risiko sei zu groß, so das Argument. Nun ist die Bundesregierung eingesprungen. Kapitulieren Sie vor der Verantwortung?
Von welchen Risiken reden wir denn jetzt? Wenn man mit einem kleinen Messer ein Passagierflugzeug in eine Lenkwaffe umfunktionieren kann, steigen die Auswirkungen ins Unermessliche. Wenn Sie die daraus möglicherweise resultierenden Kosten in Form von Versicherungsprämien ökonomisch kalkulieren, kann das niemand bezahlen. Bei Terrorismus und Krieg ist also der Staat gefordert. Ich halte das Modell in Großbritannien für beispielhaft: Private Versicherungswirtschaft und Staat haben einen Pool gebildet und tragen somit gemeinsam die Risiken. Die Versicherer decken einen ökonomisch vernünftigen Sockelbetrag ab. Bei außergewöhnlichen, unkalkulierbaren Schadensfällen, wie etwa Terroranschlägen, die über den Sockelbetrag hinausgehen, übernimmt der Staat die Deckung.
Der Staat ist dafür da, Sicherheit zu gewährleisten. Die Versicherung der Risiken fällt in den privatwirtschaftlichen Bereich. Wenn die Flugzeuge nicht am Boden bleiben sollen, zwingen Sie den Staat nun, Ihre ureigenste Aufgabe zu übernehmen.
Im Falle der Hermes-Exportbürgschaften springt auch der Staat ein. Das ist eine Art Versicherung. Exporteure könnten sonst bestimmte Geschäfte gar nicht machen, weil sie den Verlust ihrer Investitionen durch Staatsstreiche oder anderes einkalkulieren müssten. Genauso kann ich mir vorstellen, dass bei Terrorrisiken in der Luftfahrt die Privatwirtschaft nur zum Teil haftet. Nach Schätzungen von Londoner Brokern zahlen weltweit alle Airlines weniger als 1,5 Milliarden Dollar Prämien pro Jahr. Alleine der Absturz von vier Maschinen hat aber jetzt schätzungsweise knapp fünf Milliarden Dollar Schaden verursacht. Ein einziger Schadensfall! Ich will die private Versicherungsbranche gar nicht aus der Pflicht nehmen, aber für sie allein wären diese massiven Schadensforderungen zu teuer. Ein weiterer Schadensfall dieser Größenordnung würde einige Versicherer überfordern.
Wie stellen Sie sich die Aufteilung zwischen Wirtschaft und Staat künftig vor?
Der Deutsche Luftpool, in dem die 70 Luftfahrt-Versicherer zusammengeschlossen sind, hat gerade ein Angebot gemacht: Die Wirtschaft deckt pro Flugzeug eine Haftungssumme von 150 Millionen US-Dollar. Für den Rest hat im Falle eines Anschlags die öffentliche Hand eine Garantie gegeben. Das gilt erst mal für die kommenden vier Wochen. In der Zwischenzeit wird weiter verhandelt.
Flugzeuge müssen eine Haftpflicht von rund einer Milliarde Dollar nachweisen, um fliegen zu dürfen. Die privaten Versicherer tragen also 15 Prozent, der Staat 85 Prozent. Halten Sie die Aufteilung für angemessen?
Etwas anderes ist für den Versicherungsmarkt zurzeit ökonomisch nicht darstellbar.
Nachdem Sie die Policen für die Flugzeug-Haftpflicht gekündigt hatten, reagierten die Airlines empört: Auch die Allianz hätte sich in guten Jahren dick und rund verdient und wolle sich nun davonstehlen. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Ach, wissen Sie, das schlägt natürlich in eine Kerbe, die immer gut ankommt. Mal ganz abgesehen von den Anschlägen, verliert die gesamte Versicherungsindustrie im Geschäft mit Großkunden seit Jahren Geld. Wir auch. Wenn ein großes Unternehmen seinen kollektiven Versicherungsschutz vergibt, dann treten die großen Versicherer an und unterbieten sich gegenseitig. Am Ende kommt für uns etwas Unökonomisches heraus. Eigentlich müssten wir unsere Prämien zweifach erhöhen – für die Verluste im täglichen Geschäft und die höheren Schadensfälle nach den Attentaten. So radikal nach oben gehen können Sie aber gar nicht.
Markieren die Anschläge eine Zeitenwende: Die liberale Politik tritt zurück und der Staat greift wieder mehr in die Wirtschaft ein?
So weit würde ich nicht gehen, ich bin kein Freund eines staatlichen Interventionismus. Private Unternehmen haben die Pflicht, ökonomisch zu arbeiten, um langfristig Arbeitsplätze zu sichern. Einige unökonomisch arbeitende Fluggesellschaften hätten auch ohne die Folgen der Attentate nur mit großen Schwierigkeiten weiterarbeiten können. Jetzt haben sie gute Argumente, sich mit staatlichen Subventionen weiter über die Runden zu retten.
Manche Regierung macht sich nun daran, die internationalen Finanzströme stärker zu regulieren.
Das ist ein anderes Thema. Seien wir vorsichtig mit dem Wort „Regulierung“. Niemand kann natürlich dafür sein, dass unser offenes Finanzsystem von Terroristen und Drogenhändlern für ihre Geldwäsche missbraucht wird. Da muss man die Möglichkeiten der Staaten und der Polizei verbessern. Aber übertriebene Regulierung? Nein.
Ist es nicht Regulierung, wenn die Freiheit des Kapitals in den Steueroasen eingeschränkt und das Bankgeheimnis gelockert werden soll?
Wenn Sie das so nennen wollen. Es hat ja schon enorme Fortschritte gebracht, als die Liste der Offshore-Zentren veröffentlicht wurde, die Steuerhinterziehung begünstigen. Derartige Rufschädigung wollen diese Länder natürlich vermeiden. Das ist der richtige Ansatzpunkt, um systemkonform etwas zu ändern. Deswegen brauchen Sie nicht mit der großen Keule der Regulierung dort reinzuschlagen.
Als großer Kapitalanleger hat die Allianz gegen eine schöne Steueroase vermutlich nichts einzuwenden.
Doch. Natürlich sagt keiner, er zahle gerne Steuern. Aber Sie suchen uns vergeblich in den exotischen Steueroasen dieser Welt. Wir sind so groß und stehen unter so viel Beobachtung, dass wir uns das gar nicht leisten können und wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen