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Der Placebo-Dialog

Seit den Terroranschlägen bekennt sich der Westen zur „Verständigung mit dem Islam“. Dieser Dialog kann nicht gelingen, wenn es in Wahrheit um Militärstützpunkte geht

Das Menschenrechtsgeschwafel ist endlich vorbei, jubelt der konservative Schriftsteller Frederik Forsyth

Seit am 11. September mutmaßlich islamisch indoktrinierte Attentäter drei Flugzeuge in Bomben verwandelten, wird in den USA und Europa davor gewarnt, den Islam für die Terroranschläge „auf die zivilisierte Welt“ verantwortlich zu machen. Statt in die Falle der Attentäter zu laufen und den „Krieg der Kulturen“ zu führen, sei der Dialog auszubauen und die Extremisten in den eigenen Gesellschaften zu isolieren. US-Präsident Bush ging mit gutem Beispiel voran und besuchte eine Moschee in Washington, was in Berlin denn auch nicht ohne Nachahmer blieb. Stolz verweist die rot-grüne Bundesregierung auf das umsichtige Vorgehen der USA und die ganz große Anti-Terror-Koalition, die der großartige Colin Powell in unermüdlichen Telefonaten rund um den Globus zusammengeschmiedet habe.

Doch trotz all der treuherzigen Bekundungen findet ein wirklicher Dialog nicht statt. Es sind ja nicht nur die Freud’schen Fehlleistungen von Bush und Berlusconi und offene Attacken von bekannten Publizisten wie Henryk Broder oder Oriana Fallaci, die Zweifel an dem postulierten gemeinsamen Kampf gegen das Böse aufkommen lassen. Bereits die Symbolik im Angesicht des Schreckens machte deutlich, dass es jetzt um das eigene Kollektiv geht. So viele kirchliche Gedenkveranstaltungen wie in den Tagen nach dem 11. September dürfte es in den USA, aber auch in Deutschland und anderen christlichen Ländern, außerhalb der Weihnachtstage lange nicht gegeben haben. Auch wenn es gar nicht gewollt ist, die Rückbesinnung auf seinen eigenen Glauben hat etwas Exklusives, Menschen anderen Bekenntnisses Ausschließendes. Um diesem Eindruck vorzubeugen, werden nun gelegentlich gemeinsame Feiern mit Vertretern nicht christlicher Glaubensgemeinschaften veranstaltet.

Es gehört zu einem weit verbeiteten Missverständnis, dass ein Dialog zwischen den Kulturen als Gespräch von Repräsentanten, womöglich noch religiösen Würdenträgern, geführt werden könnte. Ein demonstratives Gepräch mit einem Imam mag hilfreich sein als Signal an die eigene Anhängerschaft, doch bitte jetzt nicht die Moscheen in der Nachbarschaft anzuzünden – ein Dialog ist es deshalb noch lange nicht. Ein echter Dialog setzt voraus, dass man sein Gegenüber ernst nimmt. Dialog kann nur dann erfolgreich sein, wenn die eigenen Positionen glaubwürdig sind. Einer der in den islamischen Ländern am häufigsten geäußerte Vorwurf ist, dass der Westen mit unterschiedlichen Maßstäben misst. UN-Resolutionen gegen Israel bleiben folgenlos, im Irak dagegen fallen Bomben. Man kann einen Muslim aus Ägypten oder der Türkei nicht zum gemeinsamen Kampf um die Errungenschaften der Zivilisation auffordern, wenn man gleichzeitig dieselben Errungenschaften mit Füßen tritt. Jahrzehntelang hat der Westen sich für seine rechtsstaatlichen Verfahren gerühmt und zu Recht die Willkür und Despotie in vielen muslimischen Ländern beklagt. Jetzt ist plötzlich alles ganz anders. Ein terroristischer Anschlag, der zwar in seiner Dimension alles bis dahin Bekannte sprengt, aber dennoch ein Verbrechen und keine Kriegshandlung ist, wird wie eine Kriegserklärung behandelt. Statt nach den Verbrechern zu fahnden, um sie vor Gericht zu stellen, soll in einem weltweiten Kampf der „Angriff auf Amerika“ gesühnt werden. „Es gibt“, so der frühere Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Brent Scowcroft, „natürlich in Amerika das Bedürfnis nach einem Militärschlag als Antwort auf die schrecklichen Angriffe. Diese Erwartung muss irgendwie erfüllt werden.“

Das klingt in den Ohren türkischer Militärs wunderbar vertraut, die nach ihrer Auffassung seit 15 Jahren einen „harten Kampf“ gegen den Terrorismus geführt haben, den der Westen jetzt endlich zu legitimieren scheint. Die Türkei, als das dem Westen am weitesten zugewandte muslimische Land, ist ein gutes Beispiel dafür, warum die Verständigung mit Menschen aus dem islamischen Kulturkreis scheitern wird, wenn die Regierungen des Westens im „Kampf gegen den Terrorismus“ ihre eigenen Grundsätze vergessen. Beim Dialog geht es nicht darum, Hardcore-Fundamentalisten von einer offenen Gesellschaft zu überzeugen. Es geht um die breite Mehrheit, die auf Gerechtigkeit hofft und sich schon lange vom Westen ignoriert fühlt. Gerade die dem Westen verbundenen, für Freiheit, Rechtsstaat und Toleranz kämpfenden Bürger in diesen Staaten werden jetzt vor den Kopf gestoßen. Jahrelang hat die Europäische Union zu Recht die Menschrechtsdefizite in der Türkei beklagt, wurde darüber diskutiert, ob muslimische Gesellschaften überhaupt demokratiekompatibel sind, und immer wieder auf die Einhaltung zivilisatorischer Standards im Verhältnis Individuum – Staat gedrängt.

Jetzt zeigt sich, dass offensichtlich diejenigen Recht haben, die dieses Drängen seit jeher als instrumentelles Vorgehen zur Durchsetzung anderer Interessen denunziert haben. „Was wir von der Türkei lernen können“, betitelt die FAZ (1. 10. 01) einen großen Essay, den sich sämtliche Militärs und Polizeischergen als Absolution übers Bett hängen können. Schaut auf die Türkei, so der britische Historiker Norman Stone, so bekämpft man erfolgreich den Terrorismus und islamische Fundamentalisten. Die Botschaft ist offenbar schon angekommen: Deutsche Sicherheitspolitiker lassen sich in Ankara bereits über den erfolgreichen Umgang mit islamischen Fanatikern informieren; Kurt Waldon, Leiter der US-Kongressdelegation, die in Rom mit dem greisen afghanischen König verhandelte und auf dem Rückweg in Ankara Station machte, pries die Türkei als Kronjuwel unter Amerikas Verbündeten. Welcher Bürgerrechtler, welcher Menschenrechtsaktivist in der Türkei soll da noch an den Kampf um die zivilisatorischen Errungenschaften glauben, wenn es doch so offensichtlich stattdessen um Militärstützpunkte und geheimdienstliche Zusammenarbeit geht. Die Zeit des Menschenrechtsgeschwafels ist endlich vorbei, wie der konservative britische Schriftsteller Frederik Forsyth jubelt.

UN-Resolutionengegen Israel bleiben folgenlos, im Irakdagegen fallenBomben

Die USA und mit ihr die Nato, als größte Organisation der „westlichen Wertegemeinschaft“, haben sich bislang davor gehütet, in Afghanistan ein Blutbad unter der Bevölkerung anzurichten. Das ist die gute Nachricht. Stattdessen haben sie es vorgezogen, eine dubiose Koalition zusammenzuschustern, in der es einzig darum geht, ob das Regime sich den aktuellen US-Interessen unterordnet. Menschenrechte, Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür, Religionsfreiheit – diesen Luxus können wir uns jetzt, wo wir doch angeblich selbst angegriffen wurden, nicht mehr leisten. Je mehr sich die angeblich universell gültigen Menschenrechte als westliche Propaganda für Schönwetterzeiten herausstellen, umso mehr wird jeder Mensch sein jeweils eigenes Kollektiv suchen. Das ist dann das Ende des Dialogs. Die derzeitige US-Politik mag machttaktisch auf kurze Sicht klug sein, einen Kampf gegen fundamentalistisches Denken kann man so nicht gewinnen. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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