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„Der dritte Weltkrieg ist kein Spaß“

Was denken Araber in Deutschland über die Militärschläge gegen Afghanistan? Ein Streifzug durch den Berliner Bezirk Neukölln

BERLIN taz ■ „Bin Laden? Das ist eine lange Geschichte.“ Nein, am liebsten würden sie gar nichts sagen. Eine Gruppe junger Männer steht vor dem libanesischen „Khaschfé-Snack“ in der Sonnenallee in Neukölln. Mittagsimbiss in der warmen Herbstsonne. Was denken sie über den Krieg in Afghanistan? „Wir wollen darüber nicht reden“, sagt ein etwa Dreißigjähriger mit einem orangefarbenen Nike-Sweatshirt. „Wir wollen hier in Frieden leben, mit Politik haben wir nichts zu tun.“ Das Gespräch wäre damit eigentlich beendet, aber er will den Reporter doch noch nicht gehen lassen: „Wenn einer einen Fehler gemacht hat, darf man nicht alle dafür verantwortlich machen. Das ist wie mit Hitler. Das wollen wir nicht, das ist schlecht für die Ausländer in Deutschland.“ Wenn es nur um ihn ginge, dann könnte man schon reden. Aber es geht doch um alle.

Und dann will er doch reden, bittet in den hinteren Teil des kleinen Imbisslokals, bietet Tee an – und wird wieder misstrauisch: „Was hast du da in der Hose? Zigaretten? Darf ich die mal sehen?“ Er dachte, die Zigarettenschachtel sei ein Tonbandgerät. Sein Name? Sein Alter? Sein Beruf? Will er nicht sagen. Nur so viel: Er kommt aus dem Libanon, lebt seit fünfzehn Jahren hier, ist mit einer deutschen Frau zusammen und hat ein Kind mit ihr. „Das ist keine Sache zwischen Moslems und Christen. Wir können gut miteinander leben.“ Was denkt er nun über den Krieg? „Die USA wollen nur ihre Macht vergrößern. Sie wollen nur das Öl. Die Amerikaner haben keine Beweise. Ich glaube Bin Laden. Er schwört, dass er es nicht getan hat. Er ist ein echter Moslem. Und ein echter Moslem lügt nicht.“

Natürlich sei es schlimm, was in New York passiert ist. „Kein Moslem darf so etwas tun.“ Einerseits. Aber andererseits: Interessiere sich irgendjemand dafür, wie viele Menschen im Libanon gestorben sind? Dafür, was in Palästina geschehen ist? „Wenn ein einziger Jude stirbt, dann steht Deutschland sofort auf. Aber für uns interessiert sich niemand.“ Und dann noch mal: „Wenn es Beweise gibt, dann bin ich der Erste auf der Seite der Amerikaner. Aber es gibt keine Beweise.“ – „Krieg ist schlimm. Da sterben nur unschuldige Menschen“, sagt der Verkäufer hinter der Theke, während er eine neue Lage Hackfleischfladen in den Ofen schiebt. Und sein Kunde wird nachdenklich: „Eine Sache frage ich mich: Warum ist überall Krieg, wo Moslems sind? Das ist für mich eine Frage ohne Antwort.“

Nebenan, im Orient-Café, El-Salam, sitzt der Palästinenser „Mohammed Ali“. Seinen wirklichen Namen will auch er nicht nennen. Die allgemeine Situation habe ihn vorsichtig werden lassen, gibt er mit gequältem Gesichtsausdruck zu verstehen, während er gebannt auf einen Fernsehapparat starrt. Ein palästinensischer Sender zeigt Live-Bilder von israelischen Soldaten im Gefecht. Hektisch zieht Mohammed an der Wasserpfeife und kommentiert: „Araber nicht Terrorist. Amerikaner Terrorist.“ Immer wieder sagt er das und hat nicht einmal Zeit, den inhalierten Rauch vorher auszublasen. „Amerikaner Terrorist.“ Und immer wieder zeigt er auf den Fernseher: „Kuck!“ Er verweist auf die amerikanischen Waffen der Israeli und verknüpft knapp: „Nicht George Bush. George Sharon!“ Bin Ladens Schuld an den Terroranschlägen von Manhattan bestreitet er vehement: „Gib mir Beweise! Gib mir Beweise, und ich mache den Mund zu!“

An der Ernst-Abbe-Oberschule an der Sonnenallee ist gerade der Unterricht vorbei. Aus dem Backsteingebäude strömen Jugendliche, deutsche, türkische, arabische. Nada (19) raucht ihre Schulschluss-Zigarette. Ihr Vater stammt aus Beirut, ihre Mutter aus Jugoslawien. Hinter ihr ist ein Klassenfenster mit Postern dekoriert: „Berlin zeigt Flagge“ ist neben der Freiheitsstatue vor einem U.S.-Sternenbanner zu lesen. So entschlossen zeigt sich Nada selbst nicht: „Ich bin genauso dagegen wie alle anderen hier auch“, kommentiert sie die Bomben auf Afghanistan mit Blick auf ihre Mitschüler. „Und was die Taliban machen, finde ich auch Scheiße.“ Überhaupt gibt sich die Oberstufenschülerin wenig parteilich. „Das Versprechen der Amerikaner, keine Zivilisten angreifen zu wollen, finde ich natürlich gut. Aber ob es angebracht ist, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, weiß ich nicht.“ Kadir ist 14 Jahre alt, palästinensischer Herkunft und hat eine eindeutige Meinung zum Krieg in Afghanistan: „Da entsteht nur noch mehr Hass. Gewalt verursacht nur noch mehr Gewalt.“ Die Folge: „Es wird ein Krieg ausbrechen. Die Araber werden sich zusammentun und gegen die Amerikaner und Europäer kämpfen. Der dritte Weltkrieg kommt.“ Hat er Angst? „Naja“, sagt Kadir und grinst, „so ein Weltkrieg ist kein Spaß.“ Aber jetzt muss er weiter – sein Kumpel hat ein neues Handy, und das will er sich ansehen.

STEFAN KUZMANY, JENS GERDES

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