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„Wir brauchen auch Vertrauen“

„Europa muß stärker werden, damit die USA einen Partner haben“

Interview BETTINA GAUS

Taz: Herr Schäuble, kürzlich haben Sie in einem Aufsatz geschrieben, dass derzeit alles dafür spreche, eine unkontrollierbare Eskalation des Konflikts mit dem Terror könne vermieden werden. Sind Sie noch immer Ihrer Meinung?

Wolfgang Schäuble: Ja. Ich bin nach wie vor zuversichtlich, dass das gelingen wird. Allerdings habe ich nicht gesagt, dass es keine Eskalation gibt. Ich habe nur gesagt: Sie wird nicht unbeherrschbar sein.

In Teilen der islamischen Welt wächst aber derzeit die Kritik an den USA. Haben Sie Verständnis für das Argument, die Angriffe auf Afghanistan spielten dem Kalkül der Terroristen in die Hände, die den Ausbruch des so genannten Kampfes der Kulturen zu erreichen versuchen?

Vermutlich haben die Urheber dieser Untaten tatsächlich Aktion und Reaktion so kalkuliert. Deshalb ist es gut, dass die amerikanische Führung die Militäroperation sehr umsichtig diplomatisch vorbereitet hat. Die USA haben eine große Koalition gebildet, die immer noch hält. Sie haben eine klare Unterstützung seitens der Vereinten Nationen. Es ist der Gegenseite bisher nicht gelungen, eine große Sympathiebewegung zu mobilisieren. Nicht einmal in Pakistan.

Dort besteht aber zumindest die Möglichkeit, dass Islamisten an Boden gewinnen. Wenn sie einen Machtwechsel herbeiführen können, dann verfügen sie über die Atombombe. Ist diese Gefahr nicht zu groß?

Natürlich muss vermieden werden, dass wir in Pakistan dasselbe Problem bekommen, das wir derzeit in Afghanistan zu lösen versuchen – nämlich denen das Handwerk zu legen, die aus fundamentalistischen Gründen zu terroristischen Mitteln greifen. Aber ich glaube, dass es vermieden werden kann. Seit dem Anschlag sind nun fast zwei Monate vergangen, und es ist bisher dort nicht zu einer dramatischen Zuspitzung gekommen.

Können Sie eine Grenze definieren, über die hinaus Sie einer Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Aktionen nicht mehr zustimmen würden?

Ich würde grundsätzlich nur einer Beteiligung zustimmen, von der ich annehmen kann, dass sie unvermeidlich notwendig ist, um diesen weltweiten Terrerorismus zu bekämpfen. Darum geht es. Ich halte gar nichts von den Begründungen, dass wir uns nur aus Gründen der Solidarität mit den USA beteiligen müssen oder damit wir künftig eine andere Stellung in der Welt haben oder damit unser Rat in Washington weiterhin Gehör findet. Alle diese Begründungen, die der Bundeskanzler wahrscheinlich zur Beruhigung seiner rot-grünen Mehrheit braucht, sind falsch. Ich kann es nur aus einem Grund verantworten, Soldaten in den Einsatz zu schicken: nämlich dem, dass unsere Sicherheit so bedroht ist, dass dieser Einsatz notwendig ist.

Der Bundestag soll aber jetzt einem solchen Einsatz zustimmen, ohne dass die Abgeordneten den Einsatzort, die Verwendung oder auch nur das Kriegsziel am jeweiligen Einsatzort kennen. Wenn Sie dem zustimmen, können Sie doch gar nicht beurteilen, ob Sie eine Operation für sinnvoll halten.

Zunächst einmal geht es um die grundsätzliche Betrachtungsweise. Ich halte den Antrag der Bundesregierung im Prinzip für richtig – abgesehen davon, dass der Bundestag ein ganzes Jahr lang nicht mehr gefragt werden soll. Diese Frist ist meiner Meinung nach problematisch.

Wäre das aus Ihrer Sicht eine Selbstentmachtung des Parlaments?

Es geht um die richtige Verteilung der Zuständigkeiten von Regierung und Parlament. Der Beschluss bedeutet, dass die beschriebenen Kräfte an den beschriebenen Einsatzorten operieren können. Die umfassen nun in der Tat die halbe Welt, aber das liegt in der Natur dieses weltweiten Netzwerkes von Terrorismus begründet. Ich würde es für falsch halten, wenn wir uns jetzt im Bundestag anmaßten, jede einzelne Aktion lang und breit diskutieren zu wollen. Das könnte man schon wegen der Sicherheit der Soldaten nicht verantworten, und man käme so auch zu nicht einer gemeinsamen internationalen Handlungsfähigkeit.

Aber ist es dann nicht einfach eine Sprechblase, wenn Sie sagen, Sie stimmen nur einem Einsatz zu, den Sie für sinnvoll halten?

Deutsche Kräfte sollen sich an Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen dürfen. Hier wird also durchaus eine Grenze gezogen. Ich bin überzeugt, dass in Afghanistan auf eine Beseitigung des Taliban-Regimes nicht verzichtet werden kann. Aber ich traue mir kein Urteil darüber zu, welches denn nun dafür der bestmögliche von vielen schwierigen Wegen ist. Es wäre albern, wenn wir uns jetzt als Parlament zum Oberbefehlshaber machten. Wir müssen ein hinreichendes Maß an Kontrolle ausüben, aber wir brauchen auch Vertrauen in diejenigen, die politische und militärische Verantwortung tragen. Das geht nicht anders.

Wenn Sie sich für einen Augenblick in die Position von Gerhard Schröder versetzen: Was hätten Sie anders gemacht?

Ich denke, dass er die wesentlichen Entscheidungen in diesen Fragen seit dem 11. September eher richtig getroffen hat. Allerdings wäre er sicher gut beraten gewesen, früher in die USA zu fahren. Aber hinsichtlich der Kernentscheidungen kann er sich auf die CDU/CSU verlassen, mehr als auf seine eigene Mehrheit. Was im Übrigen auch etwas über die Qualität dieser Mehrheit aussagt.

Sie haben gesagt, dass Sie das Vorgehen der USA für richtig halten. Aber wenn das nicht der Fall wäre: Hätten Sie, als Spitzenpolitiker der deutschen Opposition, der in diesen Tagen auch als möglicher nächster Bundeskanzler im Gespräch ist, überhaupt die Freiheit, die USA öffentlich zu kritisieren?

Ich würde immer dafür plädieren, dass man zwischen so eng befreundeten Partnern einen intensiven Dialog pflegt und nicht einen öffentlichen Schlagabtausch der Meinungen vorführt, und zwar ganz unabhängig davon, wer welche Position einnimmt.

In dem bereits zitierten Aufsatz haben Sie auch geschrieben, Amerika sei mit der alleinigen Verantwortung für die Welt überfordert. Was meinen Sie damit?

Die Welt will die Führung einer einzigen Macht nicht ertragen, deshalb kann es auf die Dauer keine unilaterale Weltordnung geben. Walter Hallstein hat das schon vor über 30 Jahren eine „kooperative Weltordnung“ genannt. Das funktioniert mit einigen Größeren natürlich besser als mit sehr vielen Kleinen.

Glauben Sie, dass die Regierung in Washington auch dieser Meinung ist?

Um es ein wenig ironisch zu formulieren: Die USA sind auf dem Weg. Sie haben immerhin angefangen, ihre Schulden bei den Vereinten Nationen zu bezahlen, und sie legen großen Wert darauf, die Anti-Terror-Koalition zusammenzuhalten. Sie haben also angefangen, sich darauf einzulassen, dass die Sicht anderer auf diese Welt auch eine denkbare ist. Das ist ja der Kern einer multilateralen Führung: dass man sich darauf einlassen muss, dass es einen anderen möglichen Standpunkt als den eigenen gibt. Die Amerikaner haben den Artikel 5 des Nato-Vertrages in Anspruch genommen. Das ist ja nicht nur eine symbolische Geste, sondern auch das Eingeständnis: Wir sind auch auf andere angewiesen.

Sie sehen wirklich darin den Grund?

Auch. Natürlich haben die Amerikaner damit auch gesagt: Jetzt müsst ihr mal etwas für uns tun. Dazu haben sie jedes Recht. Aber gerade diese Entwicklung zeigt eben, dass Europa stärker werden muss, damit die USA einen Partner haben.

Stehen Sie mit Blick auf diese gewünschte Stärkung Europas heute einem möglichen EU-Beitritt der Türkei ebenso skeptisch gegenüber wie früher – oder haben Sie Ihre Meinung geändert?

„All diese Begründungen, die der Bundeskanzler braucht, sind falsch“

Meine Meinung hat sich nicht geändert. Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Türkei wirklich stark an die westliche Wertegemeinschaft angebunden bleibt. Aber meine Vorstellung von politischer Identität in Europa legt doch nahe, dass wir mit Ländern, die eben schon rein geografisch nur teilweise zu Europa gehören, Sonderformen enger Zusammenarbeit finden. Das geht allerdings nur im Einvernehmen mit der Türkei, weil ihr die Mitgliedschaft ja versprochen worden ist.

Aber Sie halten es auch nach dem 11. September nicht für notwendig, dass ein islamisches Land voll nach Europa hin integriert wird?

Es wird nach dem 11. September vor allem notwendig sein, die Integration innerhalb unseres eigenen Landes voranzubringen. Deshalb bin ich auch erstaunt, dass die Bundesregierung ein Gesetz einbringen will, mit dem die Zuwanderung erhöht wird. Anstatt sich auf diese wichtige Frage der Integration zu konzentrieren, legt man ein Gesetzeswerk vor, mit dem die Bereitschaft zu Toleranz und Integration gefährdet wird. Die Bundesregierung behauptet, wir hätten ein ungeheures Interesse an der Erhöhung des Zuzugs ausländischer Arbeitskräfte. Dabei haben wir eine hohe Arbeitslosigkeit.

Das Papier von CDU und CSU beinhaltet doch ebenfalls die Erkenntnis, dass die deutsche Wirtschaft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist.

In diesem Papier geht es um die Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung und um die Förderung von Integration. Ich sehe nicht, dass wir eine erhöhte Zuwanderung brauchen. Was wir brauchen, sind bessere Erfolge bei der Integration.

Die Union hat angekündigt, das Thema Zuwanderung werde zu einem zentralen Wahlkampfhema. Halten Sie das für richtig?

Nein. Deswegen bin ich ja dagegen, dass die Bundesregierung ein so schlechtes Gesetz vorlegt, dass dieses völlig unvermeidlich wird. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist gegen ein solches Gesetz. Sie können ein solches Thema doch nicht künstlich aus dem Wahlkampf heraushalten. Wenn die Union es nicht aufgreift, tut es jemand anders. Wer eine so wichtige Frage totschweigt, züchtet weniger gemäßigte politische Kräfte.

Wenn Sie verfolgen, was für weitreichende Entscheidungen derzeit vom Bundeskanzler getroffen werden: Beschleicht Sie dann manchmal der Gedanke, dass Sie es besser könnten?

Das ist eine besonders perfide Art, eine Frage zu stellen zu einer Debatte, die wir nicht führen und an der ich mich nicht beteiligt habe und nicht beteilige. Aber ich bin sicher, dass, wer auch immer CDU/CSU-Kanzlerkandidat oder -Kanzerkandidatin und nächster Bundeskanzler oder nächste Bundeskanzlerin wird, es besser können wird, als es Herr Schröder macht.

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