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Kinderbauernhof wird geschlachtet

PDS-Jugendstadträtin will neun Kinder- und Jugendeinrichtungen in Friedrichshain-Kreuzberg schließen. Jugendhilfeausschuss diskutiert heute über die Giftliste. Grüne lehnen Schließung des Bauernhofs im Görlitzer Park ab

Die Schwächsten bekommen den Rotstift als Erste zu spüren. Im konkreten Fall sind das die freien Kinder- und Jugendprojekte in Friedrichshain-Kreuzberg. In einer internen Giftliste, die der taz vorliegt, hat Noch-Jugendstadträtin Cornelia Reinauer (PDS) vorgeschlagen, neun von insgesamt 36 Projekten den Geldhahn abzudrehen. Betroffen sind neben diversen kleinen Projekten auch der bekannte Kinderbauernhof auf dem Görlitzer Park und das Friedrichshainer Kinderzentrum Rabe.

Dass das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg tiefe Einschnitte bei den freien Trägern pant, war kurz vor den Wahlen bekannt geworden (die taz berichtete). Der Etat von 4,8 Millionen Mark (2001) ist im Haushaltsentwurf für 2002 um 50 Prozent auf 2,35 Millionen Mark gekürzt worden. Mit der Giftliste, über die heute im Jugendhilfeausschuss des Bezirks diskutiert wird, hat die PDS-Jugendstadträtin nun einen konkreten Fahrplan vorgelegt. Durch die komplette Streichung von neun Projekten und die Mittelkürzung bei den übrigen möchte Rainauer zunächst 1,2 Millionen Mark einsparen. Ein Batzen von rund 450.000 Mark soll durch das Aus für den Kinderbauernhof und das „Rabe“ erbracht werden.

Die geplanten Kürzungen treffen einen Bezirk, der zu den ärmsten der Stadt gehört und in dem fast 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen nicht deutscher Herkunft sind. Grundlage für die Giftliste waren jedoch keine inhaltlichen Kriterien, sondern eine so genannte Sozialraumberechnung. Das heißt: Friedrichshain-Kreuzberg wurde in acht Sozialräume aufgeteilt. Die Verteilung der Gelder an die Projekte erfolgte nach dem Schlüssel: Anzahl der Kinder und Jugendlichen sowie allein erziehende Eltern, nicht deutsche Herkunft und Jugenddelinquenz. Der Schließungsvorschlag für den Kindernbauernhof wird in der Giftliste so begründet: Die Angebotsstruktur funktioniere wegen der Tierhaltung nur in einem „sehr hohen notwendigen“ Kostenrahmen. Benachbarte Projekte könnten auf finanzielle Veränderungen „flexibler reagieren“.

Die Nachricht hat den früheren Bürgermeister von Kreuzberg und Noch-Baustradtrat Franz Schulz (Bündnis90/Grüne) fast vom Hocker gehauen. Der Bauernhof existiert seit 20 Jahren. Die 40 Tiere, darunter Schweine, Schafe, Ziegen und Esel, werden von den Kindern und Jugendlichen eigenverantwortlich versorgt. Neben der Betreuung der Tiere und der Arbeit im Garten gibt es diverse Gruppen und Workshops. Die meisten Kinder würden nie die Stadt verlassen, erzählt Sozialarbeiterin Claudia Hiesl. Der Bauernhof sei für viele die einzige Chance, den Zusammenhang zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen sinnlich zu erfassen. Die Schließungsbegründung findet Hiesl empörend: „Wir könnten durchaus Konzepte für eine Kostenreduzierung vorlegen, aber es hat uns niemand gefragt.“

Baustadtrat Schulz hat den Bauernhof auch als Stabilisator im Park schätzen gelernt. Seit in der Hasenheide verstärkt Drogenrazzien durchgeführt würden, gebe es im Park zunehmend Probleme mit Dealern. Er werde sich für den Erhalt des Bauernhofs einsetzten und aus dem Bauetat 20.000 Mark für Sachkostenzuschüsse locker machen, kündigt Schulz an.

Die Bezirksverordnete der Bündnisgrünen, Mechthild Brockschnieder, kündigte an, auf der Berechnungsgrundlage der vorgelegten Giftliste „keine Schließungsentscheidung mitzutragen“. Es gehe doch nicht an, dass bei der Ermittlung des Bedarfs in den Sozialräumen, die Quote der Arbeitslosenhilfe- beziehungsweise Sozialhilfeempfänger gänzlich außer Acht gelassen worden sei. Auch die Vorsitzende des Jugenhilfeausschusses, Siegrid Klebba (SPD), hält die Entscheidung, das „Rabe“ und den Kinderbauernhof zu schließen, „nicht für der Weisheit letzter Schluss“. Aber auch Klebba, die im neuen Bezirksamt möglicherweise Jugendstadträtin wird, lässt keinen Zweifel daran, dass es bei den freien Trägern Kürzungen geben wird. Diese müssten aber sozial gerecht und fachlich begründet sein.

PLUTONIA PLARRE

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