: Mehr Gewalt ist möglich
■ Deutsche Soldaten im Kampf gegen die Taliban: Marieluise Beck (Grüne) wird dafür stimmen
Am Freitag entscheidet der Bundestag über die Entsendung von bis zu 3.900 Bundeswehr-Soldaten in den Krieg gegen den Terror. Insbesondere die Grünen tun sich schwer damit, auch wenn der Kanzler die Vertrauensfrage stellt. Marieluise Beck, Ausländerbeauftragte und Bremer Bundestagsabgeordnete der Grünen, wird übermorgen mit Bedenken für den Einsatz stimmen.
taz: Warum sind Sie für die Bombardierung Afghanistans? Um gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen?
Marieluise Beck: Es geht nicht um die Bombardierung Afghanistans, sondern um die Frage, wie einem Terrornetzwerk, dessen Fäden nach Afghanistan zu den dort regierenden Taliban führen, so schnell wie möglich das Handwerk gelegt werden kann.
Letztlich läuft das doch auf die Bombardierung eines der ärmsten Länder der Welt hinaus.
Nein. Es geht nicht um Flächenbombardements, sondern um eine recht gezielte Bombardierung von Taliban-Ausbildungslagern und -stellungen. Wie wir sehen, zeigt sich jetzt schon, dass sich die Taliban zurückziehen mussten und damit endlich die Versorgung der Menschen auf dem Landweg möglich wird.
Morgen entscheidet der Bundestag über die Entsendung von 3.900 deutschen Soldaten in das Krisengebiet. Sie werden dafür stimmen. Warum?
Die UN hat im Sicherheitsrat festgestellt, dass die USA zu militärischen Aktionen berechtigt sind, um sich zu verteidigen. Außerdem hat die Nato einstimmig beschlossen, die Terror-Angriffe als Angriffe gegen alle Mitglieder des Bündnisses zu werten. Diese Entscheidung ist im Grundsatz am 19. September im Bundestag akzeptiert worden. Daraus leitet sich die Frage ab: Was trägt Deutschland dazu bei?
Deutschland könnte auch nur Sanitäter entsenden.
Die 3.900 Soldaten werden im Wesentlichen außerhalb Afghanistans zur Sicherung des Seewegs oder zur logistischen Unterstützung eingesetzt, für Kampfhandlungen sind nur 100 Mitglieder der Spezialeinheit KSK vorgesehen.
Das ist etwas qualitativ Neues in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Ja, und das erschreckt uns alle. Vor allem, weil wir noch nicht einmal mit hundertprozentiger Sicherheit reklamieren können, ob diese Strategie die richtige ist.
Wie können Sie sich denn dann Ihrer Entscheidung so sicher sein?
Ich bin mir nicht so sicher wie bei den Bundeswehr-Einsätzen in Bosnien. Wir werden erst in der Rückschau feststellen, ob der Einsatz militärischer Mittel viele Menschen gerettet hat – oder, ob er nicht sogar mehr Gewalt nach sich zog. Ich sehe aber zurzeit keine Alternative. Auch die Kriegsentscheidung der USA gegen den deutschen Faschismus war immer mit der Gefahr behaftet, dass etwas Falsches dabei herauskommen kann.
In den achtziger Jahren wäre Ihre Entscheidung anders ausgefallen.
Ja. Die Botschaft „Nie wieder Krieg“ hat sich verändert, als mich 1993 in Bosnien die dort eingekesselten Menschen fragten: „Warum tut ihr nichts gegen die Tschetniks?“ Das ist genauso wie die Frage, warum die Gleise von Auschwitz nicht bombardiert worden sind. Also: Was mache ich, wenn der Krieg schon da ist? Diese Fragen hatte ich mir als absolute Kriegsgegnerin nie so gestellt.
Welche parteitaktischen Momente spielen bei Ihrer Entscheidung eine Rolle?
Ich kann nicht vorhersagen, welche Entscheidung den Grünen mehr nützen oder schaden würde. Parteitaktik darf aber keine Rolle spielen, wenn es um die Verhinderung weiterer Terrorangriffe vielleicht noch in anderen Dimensionen geht.
In den achtziger und neunziger Jahren war die Friedensbewegung immer ein wichtiges Korrektiv der deutschen Sicherheitspolitik – und damit auch die Grünen. Ist die Friedensbewegung heute tot?
Nein. Es gab und gibt dieses Korrektiv. Das sieht man daran, dass um den Kabinettsbeschluss gerungen wird, der bislang viele Mängel aufweist. Die Debatte, die wir jetzt haben über Begrenztheit und Bestimmtheit von Einsatzart und -ort sowie um die politischen und humanitären Begleitmaßnahmen, sind Teil dieses Korrektivs. Genau wie die Außenpolitik der rot-grünen Regierung, den Nahost-Konflikt zu entschärfen – und damit einen wichtigen Bezugspunkt für den islamischen Fundamentalismus.
Würden Sie Ihre Tochter oder Ihren Sohn in das Krisengebiet schicken?
Vielleicht hat die Mutter in Te-xas, die 1944 gefragt wurde, ob sie ihren Sohn ins ferne Europa schicken will, „Nein“ gesagt. Ich sage, dass dadurch Europa vom Faschismus befreit worden ist. Wenn es also grundsätzlich richtig ist, einzugreifen, müsste das in der Konsequenz auch für mich und meine Familie gelten. Nach Bosnien bin ich auch gegangen.
Interview: Kai Schöneberg
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