Wie hältst du es mit der Koalition?

Alles deutet darauf hin, dass beim Grünen-Parteitag in Rostock eine Schlacht um Formelkompromisse ansteht

BERLIN taz ■ Bei den Grünen formieren sich die Flügel mit Blick auf den Parteitag, der am Wochenende in Rostock beginnt. Christian Ströbele, der am Freitag im Bundestag gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan gestimmt hatte, beharrt darauf, dass es in Rostock kein Junktim zwischen Koalitionsfrage und Bundeswehreinsatz geben dürfe. „Das würde die Delegierten ähnlich in ihrer Entscheidungsfreiheit behindern, wie das im Bundestag der Fall gewesen ist“, warnte Ströbele gestern in der Frankfurter Rundschau.

Auch der demokratiepolitische Sprecher der grünen Fraktion, Gerald Häfner, sagte der taz, er halte es „auf jeden Fall für nötig, dass die Grünen ihre Haltung zum Militäreinsatz unabhängig von der Koalitionsfrage definieren“.

Keine Erlösung

In der Tat dürfte es den grünen Befürwortern des Bundeswehreinsatzes schwer fallen, ein Junktim auf dem Parteitag durchzusetzen – der Vorwurf, dass Kanzler Schröder mit dieser Verbindung die Grünen erpresst habe, kam schließlich nicht nur von Kriegskritikern. „Das Gleiche auf dem Parteitag noch mal zu tun, wäre sicher nicht klug“, sagte Häfner, der am Freitag nach langem Ringen mit Ja gestimmt hatte. Schröders erfolgreiches Manöver mit der Kopplung an die Vertrauensfrage bezeichnet Häfner sogar als „Niederlage für die Demokratie“. Das soll den Grünen am Wochenende nicht passieren.

Im Grunde geht es eher um eine formale Frage. Ob getrennte Abstimmungen oder nicht – das wird den pazifistischen Flügel nicht aus seinem Dilemma erlösen. So oder so ist klar, dass die SPD eine Ablehnung des Bundestagsbeschlusses vom letzten Freitag durch die grüne Partei als Grund für das Ende der Koalition werten würde.

Sollte der grüne Parteitag also gegen die Bereitstellung deutscher Soldaten stimmen, wird es auch nichts mehr helfen, wenn eine große Mehrheit anschließend für die Fortsetzung der Koalition plädiert. „Dann haben wir ein Problem“, räumt Häfner ein.

Als Königsweg – Kriegskritik plus Erhalt der Koalition – schwebt Ströbele offenbar ein Antrag vor, der sich gegen kriegerische Kampfeinsätze deutscher Soldaten wendet. Ströbele hofft, dass Außenminister Joschka Fischer eine solche Formulierung akzeptieren kann.

Alles deutet darauf hin, dass in Rostock eine Schlacht um Definitionen und Formelkompromisse ansteht: Inwieweit ist der Einsatz der 3.900 Bundeswehrsoldaten als Kriegseinsatz, inwieweit als jene humanitäre, polizeiliche Aktion zu verstehen, die Ströbele wünscht? Selbst den Einsatz der hundert Mann der KSK, die möglicherweise Al-Qaida-Mitglieder jagen sollen, kann man ja als polizeiliche Maßnahme definieren.

Mahnung an Fischer

Auch die grünen Kriegsbefürworter meldeten sich gestern bereits zu Wort. 33 von ihnen legten einen „Initiativantrag für den Rostocker Parteitag“ vor, der auf eine eindeutige, klare Unterstützung des Bundestagsbeschlusses zielt. „Der weitgehende Zusammenbruch des Taliban-Regimes ist von einem Großteil der Bevölkerung offenkundig als Befreiung wahrgenommen worden“, heißt es in dem Papier, zu dessen Unterzeichnern unter anderem Ralf Fücks, Daniel Cohn-Bendit, Marieluise Beck, Reinhard Loske, Michaele Schreyer und Rebecca Harms zählen. Sie alle betonen, die USA würden „keinen ,Krieg gegen Afghanistan“ führen, sondern gegen ein „menschenverachtendes Regime“. Gleichzeitig wird aber der Einsatz von Streubomben durch die USA kritisiert und gefordert, dass Terror vor allem politisch bekämpft werden müsse. Konkret, und insofern interessant, wird das Papier in zwei Punkten: Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Entwicklungshilfe zu erhöhen – wenn auch nur mit einer vorsichtigen Formulierung: „Schritte in diese Richtung müssen bereits im Bundeshaushalt 2002 sichtbar werden.“ Brisanter ist die Forderung, die Bundesregierung solle „sich gegenüber den USA energisch“ für die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs einsetzen, „der bei schweren Verstößen gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht aktiv werden kann“. Die USA weigern sich, dies zu tun, weil sie fürchten, auch US-Militärs könnten dort angeklagt werden.

Diese Passage kann als Mahnung an Außenminister Fischer verstanden werden, der auch vielen Grünen oft als zu US-freundlich gilt. Fücks beharrte gestern allerdings auf einer anderen Lesart. Nein, die Forderung sei nicht als Kritik an Fischer zu verstehen, sagte Fücks der taz. Den Autoren gehe es vielmehr darum, „dass die ganze Bundesregierung deutlich macht, dass die Solidarität mit den USA auch mit politischen Erwartungen und Forderungen an ihre Adresse verbunden ist“.

Der frühere Bundessprecher der Grünen wollte sich gestern noch nicht festlegen, ob der Antrag der 33 am Wochenende „in dieser Form“ zur Abstimmung gestellt wird. Das Papier sei „erstmal eine innerparteiliche Diskussionsplattform“, so Fücks, „kein Hardcore-Realo-Antrag“ – und ganz bestimmt „keine Kampfansage an die Pazifisten“.

STEFAN REINECKE
LUKAS WALLRAFF