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Neue Fassade für Berlin

Rot-Rot ist so gut wie perfekt. Gleichzeitig empfiehlt eine Kommission den Wiederaufbau des Stadtschlosses, das die Kommunisten einst sprengten

von RALPH BOLLMANN

Die Frage trennt die rot-roten Berliner Koalitionäre so sehr wie kaum eine andere. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist dafür, das Berliner Stadtschloss wieder aufzubauen – und die Ostberliner PDS-Basis ist entschieden dagegen. Also klammerten die beiden Parteien diese Frage bei den Koalitionsverhandlungen einfach aus. In dem Regierungsprogramm, auf das sich die Unterhändler gestern Morgen um 3.13 Uhr einigten, taucht das Stichwort Stadtschloss gar nicht auf.

Es dauerte nur sieben Stunden, bis das Thema wieder auf die Tagesordnung kam. Die ermatteten Strategen von SPD und PDS hatten gerade ein paar Stunden Schlaf gefunden, da gab die Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ ihr Votum in der Schlossfrage bekannt. Das Gremium, von Bund und Land gemeinsam eingesetzt, plädiert für den Wiederaufbau der historischen Schlossfassade.

Die Experten trafen eine Entscheidung, um die sich SPD und PDS gedrückt hatten – und erinnerten die Lokalpolitiker daran, dass die Zeiten des Vertagens und Verschleppens eigentlich vorbei sein sollten. Das hatten SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit und PDS-Star Gregor Gysi im Wahlkampf oft genug betont. Doch je länger der Wahltag zurückliegt, desto mehr gerät dieser Grundsatz in Vergessenheit – und die neue Farbkombination Rot-Rot erweist sich als Fortsetzung der großen Koalition mit anderen Mitteln. Nur die Stimmung ist besser, seit die Berliner SPD sich von der CDU als Volkspartei des Westens trennte, um mit der PDS als Volkspartei des Ostens zu koalieren.

Ansonsten gleichen sich die Szenen. Wie bereits vor zwei Jahren, als die SPD noch mit der CDU verhandelte, wurde auch diesmal eine profilierte Haushaltspolitikerin zum Opfer der Parteitaktik. Wie die damalige SPD-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing muss auch die jetzige Amtsinhaberin Christiane Krajewski gehen, damit die sozialdemokratischen Provinzfürsten ihre Senatsämter behalten dürfen – und weil die SPD es praktischer findet, die Verantworung für harte Sparmaßnahmen dem Koalitionspartner zu überlassen.

Die PDS nimmt diesen Ball willig auf, weil sie ihre Fähigkeit zur Realpolitik unter Beweis stellen will. Geradezu lustvoll kündigte der junge Landeschef Stefan Liebich gestern morgen im Lokalradio an, seine Partei werde „harte Maßnahmen“ treffen und ihren Wählern „wehtun müssen“. Als aussichtsreichster Kandidat für das Finanzressort gilt mittlerweile der örtliche PDS-Fraktionschef Harald Wolf – und Gregor Gysi liebäugelt damit, sich im Wirtschaftsressort als Kapitalistenfreund zu profilieren.

Doch das Sparprogramm, auf das sich die Parteien gestern einigten, ist nur auf den ersten Blick beeindruckend. In den meisten Fällen einigten sich die Unterhändler nur auf Zahlen – ohne genau zu sagen, wo sie wirklich kürzen wollen. An derlei folgenlosen Vorgaben war schon die schwarz-rote Sparpolitik der letzten Jahre gescheitert. So fand es die PDS noch vor wenigen Wochen völlig unrealistisch, beim öffentlichen Dienst mehr als zwei Milliarden Mark einzusparen. Jetzt macht sie diese Zahl zur Basis der eigenen Finanzplanung – ohne zu wissen, ob der angepeilte „Beschäftigungspakt“ mit der Gewerkschaft jemals zustande kommen wird.

Am liebsten singen SPD und PDS das Lied, das bereits Wowereits CDU-Vorgänger Eberhard Diepgen gern anstimmte: Der Bund soll zahlen. Die harsche Rhetorik der Sanierer hat vor allem den Zweck, den Ernst der Lage zu verdeutlichen und sich vom Schlendrian abzusetzen, der das Land in der Bankenkrise Milliarden gekostet hat. Schließlich hat Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) schon klar gemacht, dass sich die Hauptstadt „ernsthaft um eine Konsolidierung bemühen“ müsse. Nur dann könne der Bund „einzelne, zumutbare Bitten“ um Finanzhilfe erfüllen. Dafür würde die PDS auch vors Verfassungsgericht ziehen. Schließlich gibt Berlin schon ein Viertel seiner Steuereinnahmen für Kreditzinsen aus – im Saarland, das bereits seit Jahren Bundeshilfen erhält, ist es nur ein Fünftel.

Dass alles so bleibt wie bisher – das mag all jene enttäuschen, die an einen neuen Aufbruch in der Hauptstadt geglaubt haben oder dem Metropolengeraune in den Feuilletons aufgesessen sind. Für die Akzeptanz von Rot-Rot ist es günstig: Die ohnehin völlig desorientierte CDU wird den Wählern kaum klar machen können, worin sich der neue Senat vom alten schwarz-roten Bündnis unterscheidet. Das gilt erst recht, wenn die Postkommunisten das Schloss wieder aufbauen müssen, das ihre Vorgänger einst sprengten. Ein bisschen allerdings gehört das Monument auch ihnen. Schließlich rief der Linkssozialist Karl Liebknecht auf einem Balkon eben dieses Schlosses im November 1918 die „Sozialistische Republik Deutschland“ aus.

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