: „Monströs, ja! Aber Feiglinge?“
Interview PETER HILLE
taz: Naipaul hat gerade den Literatur-Nobelpreis erhalten. Hatten Sie sich Hoffnungen gemacht?
Norman Mailer: John Updike, Philipp Roth, einer von ihnen hätte ihn verdient. Zwei alte Männer, in den letzten Jahren schrieben sie in einem Riesentempo Buch um Buch, grimmig, verbissen. Warum erhält jetzt V. S. Naipaul den Preis, der seinen schöpferischen Höhepunkt längst hinter sich hat? Henry Miller, Burroughs, die literarischen Outlaws, warum haben die den Preis nie erhalten? Die Jury, das ist eine erstarrte Institution, die Kompromissfiguren krönt anstatt auch mal einen Saboteur, einen Anarchisten.
Ihr Buch gegen den Vietnamkrieg, Ihr Engagement für einen literarisch begabten Mörder, sind nicht auch Sie ein Anarchist?
Als Senator McCarthy 1950 mit seiner Jagd auf die Kommunisten begann, da flog auch ich in Hollywood beim Filmmogul Sam Goldwyn raus. Und meine Schauspielerfreunde bekamen keine Jobs mehr. Doch diese Zeit der Verfolgung kritisch Denkender stimulierte die amerikanische Kunst gewaltig, wir hielten uns für eine Untergrundarmee. In den 60ern hatten wir, die Linksradikalen, plötzlich kulturelle Macht. Vielleicht mehr als wir verdienten. Leider waren wir nicht im Stande, die folgende Generation wesentlich zu beeinflussen.
Heute werden die Arbeiten von Warhol als subversiv und aufrührerisch gefeiert.
Der war doch nur ein Werbefuzzi mit einer äußerst beschränkten Vision: Die totale Leere wird kommen! Gerissen beutete er sein lächerliches Bild von der Welt aus! Seine Beschränktheit als eine Form von Weisheit!
„Sex, das ist nichts! Als ich Truman Capotes Schwanz in den Mund nahm, da fühlte ich nichts!“, sagte Warhol.
Capotes Erfahrung war da eine ganz andere, da bin ich mir sicher!
Was halten Sie von den zahlreichen Biografien, die über Sie erschienen sind?
Mist, den ich nur kurz überflogen habe! Durch die Herren Biografen lasse ich mich nicht beeinflussen!
Sie kümmern sich nur um Ihren Ehrenplatz in der amerikanischen Literaturgeschichte.
Nach meinem Debüt, den Roman „Die Nackten und die Toten“, war ich 1946 als 25-Jähriger mit einem Schlage weltberühmt. Sehr verwirrend. Ich verstehe meine Bücher als Teil eines organisch miteinander verbundenen Ganzen. Es gibt heute junge Schriftsteller, deren Präzision mich verblüfft. Prächtig. Leider beschreiben sie nur Nichtigkeiten, Unwesentliches. Die Schriftsteller meiner Generation, Saul Bellow, Capote, Vidal, Burroughs, sie schrieben mit der Hoffnung, dass sie dem Leser helfen könnten, sein Leben zu verändern. Dostojewski, Hemingway, Tolstoi, sie veränderten jedenfalls mein Leben. So wie die schwarzen Jazzmusiker, Armstrong, Rollins, Monk. Ihre Musik erzählte mir von ihren Ängsten, von ihren Schmerzen. Und von ihren Triumphen. Die heutige Literatur aber ist nur Egotripperei, leere Virtuosität. Eine organische Entwicklung von Werk und Leben im Zusammenklang mit der entwicklung der Menschheit, das ist für die heutige Generation tote Materie. Ihr Fetischismus schneidet Kunst und Literatur von ihrer Geschichte ab.
Außerdem sind die Amerikaner besessen von der Macht des Geldes. Und darin werden Marx und Jesus übereinstimmen, in welchem kosmischen Raum auch immer: Geld löscht alle anderen Werte aus! Und um in einer so orientieren Gesellschaft Erfolg zu haben, braucht man ein starkes Ego. Ein Ego, das nicht zu viele Fragen stellt. Darum haben wir jetzt auch das Vergnügen, den Präsidenten zu haben, den wir verdienen: Er kann keine Frage beantworten, die länger als zehn Sekunden dauert!
Aber er hält fast jeden Tag im Fernsehen eine feurige Rede für die Verteidigung der amerikanischen Werte.
Das Fernsehen, diese Banditen! Das Fernsehen zerstört die Kultur der guten Geschichte. Eine gute Geschichte kann ein Gefühl entflammen, sie bereichert die Gefühlswelt des Lesers, des Zuschauers. Sie verstärkt die Konzentrationsfähigkeit. Jetzt hanben wir schon die zweite Generation, deren Konzentration ständig durch Reklame zerstört wird, in den USA alle sieben Minuten. Eine Bereicherung der Gefühle, niemand erwartet sie noch. Im Gegenteil: Es entstand eine neurotische Sucht nach Unterbrechung: Jede Information wird zerstückelt.
Über Ihre Geschichtsinterpretation würde ich gern mehr erfahren.
Geschichtsbewusstsein ist die Basis zur Entwicklung der eigenen Identität. Die marxistische oder die katholische Interpretation waren jedoch nie mein Ding. Liebe, Sex, Kultur, Politik, bis zum 11. September habe ich meine Existenz katastrophisch interpretiert. Das Geheimnis der Katastrophe, das wollte ich ergründen. Ich wünschte mir mein Werk im Wesentlichen katastrophisch, befreiend, bahnbrechend. Dabei ging es mir um viel mehr als nur um Literatur.
Der 11. September hat die Geschichte der Menschheit einschneidend verändert. Sind Sie auch dieser Meinung?
Der 11. September besorgte den Amerikanern Schock um Schock! Zuerst als ein Ereignis, das wie ein 15-Millionen-Dollar-Filmshot aussah: Die einstürzenden Twin Towers, wieder und wieder! Die Leute, die durch die Schluchten der Wall Street davonrennen, hinter sich den aufsteigenden Rauch! Als hätten sich Gott und der Teufel gemeinsam vorgenommen: Zeigen wir den Pfeifen in Hollywood, das auch wir einen Katastrophenfilm inszenieren können! Dann der zweite Schock: Wer auch immer die Täter, sie waren brillant! Mit einem unglaublichen Instinkt dafür, wie sie den USA einen Riesenschaden zufügen konnten!
Und die Toten verwandelten sich in eine ungeheure Energie, mächtiger als die Toten von Hiroschima und Nagasaki! Dann kam die Angst, die Angst vor einer Rezession, die Angst des Militärapparats vor dem unsichtbaren Gegner, die Angst der Intellektuellen vor einem Polizeistaat! Ein unheilbarer Krebs, die Angst schnitt tiefer und tiefer! Und zerstörte den Traum von der eroberten amerikanischen Identität, die trotz ihrer Fehler ein Kunstwerk schien!
Dazu kam leider der Verlust des Respekts vor der Sprache, der Wunsch nach der scharfen Formulierung: Selbst Minister Powell nannte die Attentäter Feiglinge. Monströs, mörderisch, ja! Aber Feiglinge?
Halten Sie es denn für möglich, dass man sich in die Welt eines Fundamentalisten hineinversetzen könnte?
Die islamische Kultur, ich weiß wenig von ihr. Aber ich mag die Arroganz des Westens nicht. Vielleicht waren die Todespiloten gegen die Globalisierung, vielleicht wollten sie nicht zu Amerikanern werden. Vielleicht begriffen sie auch, dass ihre arabischen Regierungen gierig und korrupt sind, weit entfernt von einer Demokratie. Aber sie glaubten sich in Nähe zu ihrem Gott. In einer Nähe, in der sie atmen, denken konnten. Und wahrscheinlich waren sie davon überzeugt, sich wehren zu müssen.
Vielleicht gibt es ja wirklich im Kosmos eine Macht, die dir 72 Jungfrauen beschert, wenn du in restloser Hingabe stirbst für deine höheren Ideale. 72 Jungfrauen, ich will das nicht ins Lächerliche zerren, aber schon eine einzige genügt, um einen Mann ins Unglück zu stürzen!
Im Ernst: Warum sind wir nicht kühl genug, um zu versuchen, unseren Feind zu verstehen? Warum waren wir nach diesem unsagbaren Schmerz nicht fähig, darauf so zu reagieren, dass diese unsagbare Tragödie zu etwas Positivem führte?
Sie haben sich schon einmal als Bürgermeister von New York zur Wahl gestellt, wären Sie jetzt gerne US-Präsident?
Im Augenblick möchte ich wirklich nicht Präsident sein. Psychopathen sind oft gute Redner, und die Rede von Bush war eine hitzige Kriegserklärung, die jeden Weg zurück abschnitt. Eine kühl überlegte Polizeiaktion anstatt Krieg, dazu hätten wir einen wahrhaft großen Präsidenten gebraucht! Aber den haben wir nicht! Vielleicht begann das 21. Jahrhundert am 11. September. Und vielleicht wird es noch schlimmer als das 20. Jahrhundert, in dem wir alle Möglichkeiten hatten, es ganz anders zu gestalten.
Vielleicht wird das 21. Jahrhundert aber auch das Jahrhundert eines beginnenden Erwachens, weil die alten Werte nicht mehr gelten. Nach dem Holocaust mussten wir unser Verständnis von Gott ändern: Wenn Gott allmächtig ist, dann kann er nicht gut sein. Und jetzt müssen wir begreifen: Kein Gott beschützt uns, niemand!
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