: Erste heilige Kühe geschlachtet
Verbraucher essen wieder Rindfleisch, Gegner einer erneuerten Landwirtschaftspolitik haben sich formiert – aber die Agrarwende ist eingeleitet
von BERNHARD PÖTTER
Diesmal will die Ministerin den Fernsehkameras bei der Eröffnung der Grünen Woche selbst zeigen, wo es langgeht. „Vor einem Jahr habe ich ja Herrn Diepgen den Vortritt gelassen“, erinnert sich Renate Künast an ihren ersten großen Auftritt als Agrarministerin. „Er war richtig glücklich. Aber in diesem Jahr mache ich das.“
Der Führungsanspruch der ersten Grünen auf dem Posten der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ist deutlich. Ein Jahr nach ihrem Amtsantritt hat die Ministerin der deutschen und europäischen Agrarpolitik ihr Qualitätssiegel aufgedrückt: Eine andere Agrarpolitik („Die Agrarwende“) ist eingeleitet, die Verbraucher sind beruhigt, ein Bauernaufstand findet nicht statt. Binnen Jahresfrist hat Künast ein Thema entschärft, bei dem sich die rot-grüne Regierung Anfang 2001 noch als handlungsunfähig erwiesen hatte: die Lebensmittelsicherheit.
Doch die Arbeit an einer neuen europäischen Agrarpolitik hat gerade erst begonnen, viele Bauern sind noch misstrauisch, viele ihrer Beamten hoffen auf einen neuen alten Minister nach der Bundestagswahl, das Interesse der Medien ist in Kriegszeiten geschwunden, und die Bundesländer sperren sich gegen eine wirkliche Reform.
Das wird sich am 1. Februar deutlich zeigen. Dann entscheidet der Bundesrat über die „Modulation“, die Umlenkung von EU-Mitteln von dem umstrittenen Direktzahlungen hin zu mehr Geld für sozial- und umweltgerechtes Wirtschaften. Dann, so fürchten Experten, könnte Künasts Plan für eine wirklich neue Agrarpolitik an einer Allianz aus CDU- und Ost-SPD-Ländern scheitern. Bundeskanzler Schröder müsse die SPD-Länder dazu bringen, Künast zu unterstützen, fordert Lutz Ribbe, Agrarexperte vom Umweltverband Euronatur: „Schröder hat vor einem Jahr das Ende der Agrarfabriken gefordert. Jetzt muss er Künast helfen, die das umsetzen will.“
Der erste deutsche BSE-Fall hatte ihren SPD-Vorgänger Karl-Heinz Funke aufs Altenteil geschickt. Forsch erklärte die frisch gebackene Ministerin Künast, sie werde eine Agrarwende einläuten – was die Politiker in Brüssel und den deutschen Bundesländern höhnisch zur Kenntnis nahmen. Schließlich ist Künast eingeklemmt zwischen Länder- und Europaregeln. Dennoch hat sie national vieles erreicht. So wurde in der „Gemeinschaftsaufgabe Agrarpolitik und Küstenschutz“ festgelegt, dass nur noch Investitionen in artgerechte Tierhaltung zu fördern sind, die Legebatterien müssen früher als geplant aufgegeben werden, der Tierquälerei bei der Haltung von Schweinen und Pelztieren wurde der Kampf angesagt, die Tiertransporte verkürzt, mehr Geld für Ökolandwirte zur Verfügung gestellt und ein Ökosiegel eingeführt. Doch eine wirkliche Umschichtung der 40 Milliarden Euro an Agrarhilfen aus Brüssel ist erst möglich, wenn 2007 eine neue EU-Politik beschlossen wird.
Im Künast-Ministerium verweist man darauf, man habe im letzten Jahr „an drei Fronten gleichzeitig gekämpft“: Die BSE- und MKS-Krisen meistern, die Instrumente für eine Agrarwende entwickeln, und konkrete Erfolge wie Biosiegel und Hennenverordnung vorbereiten. Anders als etwa ihr Ministerkollege Trittin beim Atomausstieg hat Künast es verstanden, alle beteiligten Gruppen etwa beim Biosiegel an einen Tisch und zu einer Einigung zu bekommen – anders als Trittin surfte sie aber auch auf einer Welle der öffentlichen Sympathie, wurde in Talkshows herumgereicht und wusste einen großen Teil der Verbraucher/Wähler hinter sich, wenn sie forderte, die Bauern müssten für die Milliarden an Steuergeldern ordentliche Gegenleistungen liefern. Vielen Bauern bleibt die Frau aus der Großstadt aber in Wesen, Auftreten und auch Inhalten fremd. Da hilft es auch nichts, wenn Künast darauf verwies, das Einkommen auf den Höfen sei im letzten Jahr um 20 Prozent gestiegen. In ihrem Ministerium, einer Hochburg der alten Agrarpolitik, installierte sie neben den zwei Funke-Getreuen Thalheim und Wille zwei grüne Staatssekretäre für die prekärsten Aufgaben: Matthias Berninger besorgt im Bundestag das Geld für die Agrarwende, Alexander Müller organisiert still und effektiv den gesundheitlichen Verbraucherschutz und die Arbeit der Künast-Beamten. „Die meisten sind loyal, wirkliche Obstruktion gibt es kaum“, heißt es inzwischen.
Immer noch aber braucht Künast für größere Entwürfe die Hilfe von externen Think-Tanks: Umweltverbände, kritische Wissenschaftler, die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ oder auch das Kanzleramt. Intern hat Künast dafür gesorgt, dass sie zu brisanten Themen nicht nur eine Entscheidungsvorlage, sondern Alternativen aufgeschrieben bekommt. Schließlich hat sie ohne großes Aufheben Leitungspositionen etwa bei der Strukturpolitik, Veterinärmedizin und Gentechnik inzwischen mit ihren Leuten besetzt. Geschickt hat sie auch den wissenschaftlichen Beirat des Ministeriums, der mit den Vertretern der alten Agrarpolitik besetzt war, so unter Druck gesetzt, dass er sich selbst auflöste. Der neue Beirat soll nun ausgewogen besetzt werden.
Ist die Agrarwende unumkehrbar? „Die deutschen Regelungen würde wahrscheinlich auch eine CDU-Regierung nicht zurückdrehen“, sagt Lutz Ribbe. „Aber auf der europäischen Ebene fiele ohne Künast die stärkste Kraft für eine Reform weg.“ Wie weit die Reform ist, kann Thomas Dosch vom Naturkostverband „Bioland“ an der Zahl der Biohöfe und ihrem Umsatz sehen: „Im letzten Jahr haben wir deutlich mehr Bauern beraten, die auf Ökolandwirtschaft umstellen wollten, und der Umsatz von Naturprodukten hat 2001 um etwa 10 bis 15 Prozent zugenommen, so Dosch. „Wenn es bei diesem Tempo bleibt, erreichen wir Künasts Ziel, bis 2010 insgesamt 20 Prozent der Ackerfläche im Ökolandbau zu betreiben.“
Die Grünen hoffen, dass Künasts Herkulesaufgabe bei der nächsten Wahl mit Wählerstimmen belohnt wird. Für den Parteienforscher Peter Lösche könnten die Wähler Fortschritte beim Verbraucherschutz honorieren: Es gebe einen Künast-Effekt, „aber wie groß der ist, ist schwer zu sagen“.
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, grüner EU-Agrarpolitiker, ist sich dagegen sicher, dass mit „Verbraucherschutzpolitik in den Städten mehr Wähler zu gewinnen als auf dem Land zu verlieren sind“.
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