: Ein Schritt Richtung Schlachtbank
Rüstem Altinküpe darf wieder schächten. Die Religionsfreiheit des muslimischen Metzgers rangiert vor dem Tierschutz, urteilt das Verfassungsgericht
aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH
Der Zeitpunkt war gut gewählt. Während Muslime in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch als potenzielles Sicherheitsrisiko gelten, hat Karlsruhe nun klargestellt, dass sie in Deutschland auch Inhaber von Grundrechten sind. So dürfen muslimische Metzger künftig wieder betäubungslos schlachten (schächten), wenn es die für sie relevante Koranauslegung vorschreibt.
Geklagt hatte der 33-jährige Rüstem Altinküpe, der im hessischen Aßlar bei Wetzlar ein muslimisches Schlachthaus unterhält. Bis 1995 durfte er dabei so schlachten, wie es nach seiner Auffassung der Koran vorschreibt: Dem Tier wird ohne Betäubung mit einem scharfen Messer die Kehle durchschnitten, um es dann ausbluten zu lassen.
Grundsätzlich ist das Schächten in Deutschland zwar verboten, doch das Tierschutzgesetz sieht ausdrücklich eine Ausnahme vor, wenn „zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft“ dies nahe legen. Bis 1995 bekam auch Altinküpe eine solche Ausnahmegenehmigung. Doch dann änderte sich die Rechtsprechung in Deutschland. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin stellte damals fest, dass Muslime nicht verpflichtet sind, nur Fleisch von geschächteten Tieren zu essen. Dabei berief sich das Gericht unter anderem auf ein Gutachten der Kairoer Al-Azhar-Universität, nach dem der Koran die kurzzeitige Betäubung per Elektroschock vor der Schlachtung nicht verbiete.
Metin Altinküpe sah sich in dieser staatlichen Auslegung des Korans jedoch in seiner Religionsfreiheit eingeschränkt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht verwies er darauf, dass alle großen islamischen Verbände in Deutschland das Schächten von Tieren für verbindlich halten. Das Kairoer Gutachten betreffe nur „Notsituationen“. Außerdem beklagte er eine Ungleichbehandlung von Juden und Muslimen. Derzeit haben drei jüdische Gemeinden – Berlin, München und Frankfurt – Ausnahmegenehmigungen zum Schächten von Tieren und versorgen damit überregional strenggläubige Juden in Deutschland.
In Karlsruhe hatte Altinküpe nun Erfolg. Seine Grundrechte seien durch das faktische Schächtverbot für Muslime „unverhältnismäßig beschränkt“ worden, heißt es im gestrigen Urteil. Es verstoße gegen das Grundgesetz, wenn Gerichte und Behörden dem Tierschutz „einseitig den Vorrang“ gegenüber der Religionsfreiheit einräumen.
Ob der Tierschutz überhaupt für ein Verbot des Schächtens spricht, hat das Verfassungsgericht ausdrücklich offen gelassen. In der mündlichen Verhandlung hatte der Zentralrat der Muslime argumentiert, beim Durchschneiden der Kehle verliere das Tier binnen Sekunden das Bewusstsein und damit auch sein Schmerzempfinden. Und im Vergleich zu Massenschlachtungen im Schlachthof sei die Atmosphäre in einem kleinen Handwerksbetrieb weniger angsteinflößend.
Der Deutsche Tierschutzbund lehnt das Schächten dagegen generell ab, da der Sterbevorgang „bis zu 35 Sekunden“ dauern könne. Karlsruhe stellte nun lediglich fest, die Frage sei „wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt“, der Gesetzgeber habe aber einen „Einschätzungsspielraum“, so dass das grundsätzliche Verbot des Schächtens „zumindest vertretbar“ sei.
Allerdings, so kritisierte Karlsruhe, müsse die Möglichkeit, aus religiösen Gründen eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, künftig anders ausgelegt werden. Denn derzeit „laufe“ sie für Muslime faktisch „leer“. So sei es unzulässig, auf den Islam als solchen abzustellen. Es müsse vielmehr genügen, wenn man einer Gemeinschaft mit gemeinsamer Glaubensüberzeugung „innerhalb des Islam“ angehöre.
Damit dürfte bereits die Auffassung eines örtlichen Moscheevereins genügen, um eine „zwingende“ religiöse Vorschrift nachzuweisen. Denn größere Zusammenschlüsse sind im Islam schnell zu heterogen. So ließ das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2000 ein Rechtsgutachten der „Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen“ nicht gelten, weil es ihr an einem „religiösen Profil“ mangele.
Ob Altinksüpe nun wieder schächten darf, muss endgültig das Gießener Verwaltungsgericht entscheiden, denn dahin hat Karlsruhe den Fall zurückverwiesen. Ob die Entscheidung dort schon bis zum diesjährigen islamischen Opferfest am 22. Februar fallen wird, ist allerdings zweifelhaft.
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