„Internationale Regeln anwenden“

Michael Bothe, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, über die Justiz und den Umgang mit Al-Qaida

taz: Die USA sehen die Al-Qaida-Mitglieder als „illegale Kämpfer“ an. Gibt es so etwas eigentlich?

Michael Bothe: Das gibt es. Das völkerrechtliche Kriegsrecht geht davon aus, dass legale Gewalt ausgeübt wird von den Mitgliedern der Streitkräfte, also Angehörigen einer Organisation, die einem Staat zuzurechnen ist. Bei den Al-Qaida-Leuten ist das Problem, dass sie eben nicht irgendeinem Staat zuzurechnen ist. Wenn ein Zivilist eine Handgranate in die Hand nimmt und sie auf ein Wachhäuschen wirft, dann ist das der klassische Fall eines illegalen Kämpfers, der in der Tat nicht einen Kriegsgefangenenstatus für sich reklamieren kann, sondern „nur“ eine menschliche Behandlung.

Sie kommen dennoch zu dem Schluss, dass die Al-Qaida-Kämpfer als Kriegsgefangene zu behandeln seien. Warum?

Weil ich in dem konkreten Konflikt in Afghanistan zwischen der effektiven Regierung Afghanistans, und das waren die Taliban zum fraglichen Zeitpunkt, und einer anderen Gruppe, die mit dieser effektiven Regierung Afghanistans verwoben und verflochten ist, keinen Unterschied sehe. Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass für die Gesamtheit der Kämpfer auf der afghanischen Seite ein internationaler Konflikt bestand, in dem Afghanistan Partei war. Und dann gilt insofern das völkerrechtliche Kriegsrecht einschließlich der Genfer Konvention. Immerhin haben sich die USA ja durch die Zurechnung der Gewalt zu Afghanistan auf den Rechtstitel der Selbstverteidigung berufen können – da kann man nicht plötzlich ganz anders argumentieren.

Viele haben ja grundsätzlich gemeint, es sei ein Fehler, anlässlich der Anschläge auf die USA von einem Krieg zu sprechen. Vielmehr sollten die Täter als Verbrecher verfolgt werden, nicht als Kriegsgegner. Wäre das nicht eigentlich die bessere Alternative?

Im Prinzip ja. Nur haben wir inzwischen in Afghanistan eine andere Situation gehabt. Das war eine richtige militärische Auseinandersetzung, die alle äußeren Kennzeichen eines internationalen bewaffneten Konflikts hat. Und wenn ich solch eine Situation erst einmal habe, dann sollten auch die internationalen Regeln Anwendung finden, die darauf zugeschnitten sind.

Wie lange können denn die Gefangenen in Guantánamo festgehalten werden? Kann es, muss es Anklagen geben?

Der Kriegsgefangenenstatus schließt nur eine Bestrafung für die Teilnahme an Kampfhandlungen aus, die sich im Rahmen des völkerrechtlichen Kriegsrechts halten. Für Kriegsverbrechen aber kann auch ein Kriegsgefangener bestraft werden.

Wenn wir al-Qaida in Afghanistan als Teil der Streitkräfte der Taliban-Regierung sehen, so heißt das doch, dass die Al-Qaida-Leute nicht für die bloße Mitgliedschaft in dieser Organisation belangt werden können. Auch wenn man sie als als „terroristische Vereinigung“ bezeichnet?

Da muss man differenzieren. Für die Mitwirkung an den Kampfhandlungen in Afghanistan können sie nicht belangt werden. Wenn sich aber herausstellt, dass sie früher an anderen Dingen beteiligt waren, die mit diesem Konflikt gar nichts zu tun haben – also etwa die Anschläge auf die US-Botschaften in Afrika – dann können sie dafür durchaus strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Dafür müsste aber die inviduelle Schuld jedes Einzelnen nachgewiesen werden?

Ja, natürlich.

INTERVIEW: BERND PICKERT