: Ein Satz, kein Sieg
Nicht das Volk, nur das Wiener Parlament kann die Abschaltung Temelíns fordern
von RALF LEONHARD und ULRIKE BRAUN
915.220 Wahlberechtigte haben das FPÖ-Volksbegehren gegen das tschechische AKW Temelín unterschrieben. Das Montag abend im Wiener Innenministerium bekannt gegebene Ergebnis blieb zwar unter dem Wunschresultat der FPÖ, die die Millionengrenze angepeilt hatte, wird aber die Zusammenarbeit mit der ÖVP von Kanzler Wolfgang Schüssel erheblich belasten. Darüber herrscht Einigkeit bei allen Kommentatoren.
Denn die ÖVP, die sich gerne als Europa-Partei definiert, kann es sich gar nicht leisten, den EU-Beitritt Tschechiens zu blockieren. Genau dies jedoch fordert die FPÖ, wenn das Nachbarland den störanfälligen Reaktor nicht abschaltet. Fraktionsvorsitzender Andreas Khol: „Mit uns wird es kein Veto gegen den Beitritt Tschechiens aus Gründen Temelíns geben.“
Ein Volksbegehren, das mehr als 100.000 Stimmen erzielt, verpflichtet den Nationalrat nur, die Materie binnen drei Monaten zu behandeln. Und selbst dann wäre für die Blockierung des tschechischen EU-Beitritts eine Verfassungsmehrheit notwendig, dafür fehlen den Regierungsparteien jedoch die Stimmen. Und weder SPÖ noch Grüne wollen sich für eine Verhinderung der Osterweiterung hergeben. Auch die bisher erfolgreichsten Volksbegehren gegen den Bau eines internationalen Konferenzzentrums (1982) und gegen die Gentechnik (1997), die beide über 1,2 Millionen Unterschriften erzielten, blitzten beim Gesetzgeber ab.
Politisch aber hat die FPÖ nun eine Karte in der Hand, die sie bis zu den nächsten Wahlen nach Gutdünken ausspielen kann. Das Volksbegehren beinhalte „einen deutlichen Auftrag, den niemand ignorieren kann“, verkündete Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) in einer ersten Reaktion. Temelín sei „natürlich auch eine Frage für den österreichischen Wähler“. Für den heimlichen FPÖ-Chef Jörg Haider, der lieber mit plebiszitären Instrumenten als mit rechtsstaatlichen Institutionen Politik macht, eröffnen sich so schier unbegrenzte Erpressungsmöglichkeiten. Ein erster Erfolg sind Stellungnahmen von ÖVP-Ministern, die Nachverhandlungen nicht ausschließen. Allerdings erst mit der kommenden tschechischen Regierung, und diese wird im Mai gewählt. Erste Wählerstromanalysen ergaben, dass fast die Hälfte der Unterzeichner der FPÖ zuzurechnen sind. Von den ÖVP- und Grün-Sympathisanten unterschrieben besonders wenige. Überdurchschnittlich hoch war die Quote in den grenznahen Bezirken von Nieder- und Oberösterreich. Im Mühlviertel, das dem umstrittenen AKW am nächsten liegt, betrug die Zustimmung über 35 Prozent – während bundesweit nur 15,5 Prozent der rund 5,9 Millionen Wahlberechtigten unterschrieben.
Der Meinungsforscher Christoph Hofinger vom Institut Sora glaubt, dass gut 100.000 Stimmen dem sozialdemokratischen Premier Tschechiens, Miloš Zeman, zu verdanken seien. Er hatte den Österreichern empfohlen, Jörg Haider „und seine postfaschistische FPÖ“ möglichst bald loszuwerden. Ein Mann im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten bestätigte diese These: „Ich habe wegen Zeman unterschrieben. Den Kommunismus muss man ausrotten.“
Der typische Unterzeichner, so die Demoskopen, ist ArbeiterIn und LeserIn der Kronen Zeitung. Mehrere hunderttausend Wählerinnen und Wähler seien vom auflagenstarken Boulevardblatt Neue Kronen Zeitung in die Abstimmungslokale getrieben worden. Wochenlang hatte das Zentralorgan des Spießbürgertums mit täglich neuen Titelschlagzeilen gegen Temelín getrommelt. Zahlreiche Promis fanden sich als Befürworter des Volksbegehrens auf dem Krone-Titel, ohne vorher gefragt worden zu sein.
Die Unterschriften der besorgten Bürger müssten natürlich ernst genommen werden, beeilten sich die Sprecher der Oppositionsparteien zu versichern. SPÖ-Klubchef Josef Cap will jedoch aus dem Volksbegehren einen hohen Grad an Misstrauen gegen Bundeskanzler Schüssel herauslesen. Und Grünen-Chef Alexander Van der Bellen warnt vor der internationalen Isolierung Österreichs. Die Politik der FPÖ habe das Land in die Sackgasse geführt und schüre antislawische Ressentiments: „Es ist schon sehr viel Porzellan zerschlagen worden und ich hoffe, dass es nicht so weitergeht.“
Wenn es nach FPÖ-Fraktionschef Peter Westenthaler geht, ist das Volksbegehren erst der Anfang einer Kampagne gegen das Nachbarland. Er errichtete Dienstag bereits die nächste Hürde: „Mit den Beneš-Dekreten über die Vertreibung wird die Tschechische Republik nicht der EU angehören.“
Auf der anderen Seite der Grenze wurde Premier Miloš Zeman begeistert im mährischen Olomouc empfangen. Der bullige Premier mit dem Hang, in jedes Fettnäpfchen zu treten, hatte vielen Tschechen aus dem Herzen gesprochen, als er in einem Interview mit dem Wiener Magazin Profil österreichische Urnengänger als Idioten bezeichnete und ihnen verdrängte Momente der eigenen Geschichte in Erinnerung rief. Sie seien schließlich die ersten Verbündeten Hitlers gewesen, selbst wenn sie sich jetzt als Opfer darstellen würden.
Aus Prager Sicht ging es bei dem Referendum weniger um das AKW Temelín als um Wählerstimmen. Erbost über die „Einmischung in die Souveränität“ des eigenen Staats sind die Tschechen allerdings schon lange. Zeman, eine Melange aus Intelligenz und Bauernschläue, hat mit seinem Angriff seiner sozialdemokratischen Partei zu verstehen gegeben, dass er ebenjene Souveränität des jungen Staates verteidigt.
Das Ergebnis des Referendums wurde so nur noch der Vollständigkeit halber kommentiert. Hauptthema blieb die angeknacksten tschechisch-österreichischen Beziehungen. Während Karikaturisten sich über den Premier lustig machten, riefen die Kommentatoren nach seinen Rücktritt. Eine fast überflüssige Forderung, da Zeman schon vor Jahren angekündigt hat, nicht wieder zu kandidieren. Doch fürchten viele Tschechen nun um den Ruf ihres Landes. „Vielleicht sind nicht alle Tschechen vulgär, ihr Premier aber doch“, heißt es in der Tageszeitung MF Dnes, während die Lidové noviny auf drei Seiten zu belegen versucht, wie ähnlich sich Tschechen und Österreicher doch sind.
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