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Kuhlmanns Sieg

Karlsruhe stellt eine steuerliche Bevorzugung von Rentnern fest. Der Bundestag hat jetzt mehrere Möglichkeiten, das Malheur zu beheben

„Weder die unteren noch die mittleren Renten werden dadurch belastet“

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Der Held des Tages wird am Ende vermutlich leer ausgehen. Götz Joachim Kuhlmann, ein pensionierter Staatsanwalt aus Nordrhein-Westfalen hat das gestrige Urteil zur Rentenbesteuerung erstritten. Er störte sich daran, dass seine Beamtenpension fast vollständig besteuert wird, während die Renten von Arbeitern und Angestellten weitgehend steuerfrei sind.

Nach einer genauen Prüfung der beiden Versorgungssysteme kam nun auch Karlsruhe zu dem Schluss: Steuerrechtlich werden die Rentner gegenüber den Pensionären ohne „sachlichen Grund“ bevorzugt. Für Pensionär Kuhlmann ist das aber nur ein moralischer Sieg. Er muss seine Alterspension trotzdem voll versteuern, denn die Karlsruher Richter ordneten keine Rückwirkung ihrer Entscheidung an. Vielmehr hat der Gesetzgeber bis Ende des Jahres 2004 Zeit, sich für ein neues Konzept zu entscheiden. Doch auch dann wird es noch großzügige Übergangsfristen geben und sich bei den Beamten vermutlich weniger ändern als bei den Rentnern.

In der Urteilsverkündung machte Richterin Lerke Osterloh klar, dass die Entscheidung nicht bedeute, den Rentnern gehe es im Alter im Vergleich zu den Pensionären allgemein zu gut. Verglichen wurde nämlich nicht die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Alterssicherung, sondern nur die steuerliche Belastung.

Bei den Beamten liegt der Fall recht einfach. Sie zahlen während ihres Berufslebens keine Beiträge und müssen daher die Pensionen versteuern. Anders sieht es dagegen bei den Renten von Angestellten und Arbeitern aus. Sie sind bisher nur mit ihrem „Ertragsanteil“ von 27 Prozent steuerpflichtig. Der Ertragsanteil entspricht den Zinsen, die entstanden wären, hätte man die Beiträge der Versicherten wirklich angespart. Die restlichen 73 Prozent gelten als Rückfluss eingezahlter Beiträge, die vermeintlich aus versteuertem Einkommen stammen.

Diese Sicht sei jedoch „realitätsfremd“, erklärte Richterin Osterloh gestern. Schließlich seien sowohl die Arbeitgeberbeiträge als auch die Staatszuschüsse zur Rentenversicherung unversteuert. In der Regel stamme „deutlich weniger als die Hälfte“ der Zuflüsse zur Rentenkasse aus versteuertem Einkommen, so das Gericht. Damit sei es aber auch nicht gerechtfertigt, die ausgezahlten Renten weitgehend steuerfrei zu belassen.

Der Gesetzgeber hat nun vier Möglichkeiten, das Malheur zu beheben, wobei Karlsruhe keinerlei Präferenzen äußerte:

Erstens könnte die Besteurung der Pensionen reduziert werden. Doch das wäre teuer und steuersystematisch kaum zu rechtfertigen. Deshalb wird der Gesetzgeber wohl vor allem auf der Seite der Rentenversicherung ansetzen.

Denkbar ist hier, dass künftig auch die Arbeitgeberbeiträge besteuert werden. Die Renten könnten dann (bis auf den Ertragsanteil) steuerfrei bleiben.

Oder der Gesetzgeber behält das jetzige System bei, dem zufolge die Arbeitnehmerbeiträge aus versteuertem Vermögen bezahlt werden und die übrigen Bestandteile der Rente dann bei der Auszahlung besteuert werden. Hier würde die Belastung der Renten bereits deutlich steigen.

Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die Rentenbeiträge ganz von der Steuer befreit werden und ausschließlich die Renten besteuert werden. Diese Reform kann im Gegensatz zu den anderen Modellen nur langfristig eingeführt werden.

Anders als in früheren Urteilen zu diesem Thema sagt Karlsruhe diesmal unmissverständlich, dass die jetztige Situation verfassungswidrig ist. Das Gericht setzt dem Gesetzgeber deshalb eine konkrete (und recht knappe) Frist, um die Reform anzupacken. Bis zum 31. 12. 2004 muss der Bundestag sagen, wie das neue Konzept aussehen soll. Hält er diese Frist nicht ein, dürften ab 2005 Beamtenpensionen nicht mehr besteuert werden. Finanzminister Eichel hat also allen Grund, Druck zu machen. Eine zweite Frist, bis zu der die Reform abgeschlossen sein muss, hat Karlsruhe entgegen vielen Erwartungen nicht gesetzt. Theoretisch könnte der Bundestag die Umstellung auf mehrere Jahrzehnte strecken, um niemandem wehzutun.

Entscheiden muss der Bundestag nun auch, welchen Vertrauensschutz die heutigen Rentner genießen. Karlsruhe hat auch hier keine konkreten Vorgaben gemacht, sondern wiederum großen Freiraum gelassen. Es ist daher denkbar, dass heutige Rentner, die sich auf einen bestimmten Lebensstandard eingerichtet haben, von der Reform überhaupt nicht behelligt werden.

Zu beachten ist außerdem, dass Rentner schon heute großzügige Steuerfreibeträge genießen. Diese führen derzeit dazu, dass rund 95 Prozent der Rentner keine Steuern bezahlen, weil die Steuer auf den Ertragsanteil der Rente – siehe oben – niedriger ist als der Freibetrag. Diese Freibeträge dürften auch eine höhere Steuerbelastung der Renten in der Regel noch übersteigen. Jutta Limbach hat deshalb wohl nicht zu viel versprochen, als sie gestern betonte: „Weder die unteren noch die mittleren Renten werden durch diese Entscheidung belastet.“

Völlig folgenlos ist die Entscheidung aber auch nicht. Schließlich gibt es ja durchaus auch Rentner mit guten Alterseinkünften – sei es, weil sie eine hohe Rente beziehen, sei es, weil sie Einkünfte aus Vermietung oder aus Wertpapieren haben. Vor allem auf diese wachsende Zahl von Rentnern zielt das gestrige Urteil.

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