: Im wahren islamischen Leben wird alles gut?
Ist, wer ein Kopftuch trägt, eine Betonmuslimin? Ist, wer es ablehnt, eine Betonlaizistin? Sanem Kleff und Sabiha El-Zayat im Streitgespräch über reine Lehre und den christlichen Staat Deutschland
Moderation: HEIDE OESTREICH und EBERHARD SEIDEL
taz: Frau El-Zayat, Sie haben Herrn Seidel die Hand zur Begrüßung gegeben. Ist das für Sie als gläubige Muslimin nicht ungewöhnlich?
Sabiha El-Zayat: Wenn mir jemand aus Höflichkeit die Hand reicht, dann gebe ich auch meine Hand. Ich habe hier eine kodifizierte Regel gegen den Umstand abgewogen, Sie zu brüskieren.
Ist das Nicht-die-Hand-geben etwas Koranisches oder eine Tradition, die nichts mit der Religion zu tun hat?
El-Zayat: Im Koran wird es in diesem Sinn nicht erwähnt. Es ist Bestandteil der Tradition des Propheten, der Sunna.
Wie beurteilen Sie, welche islamischen Vorschriften Sie einhalten, und welche nicht?
El-Zayat: Ich orientiere mich an den Quellen, nicht an Traditionen der muslimischen Völker.
Frau Kleff, Sie sind ebenfalls sunnitische Muslima wie Frau El-Zayat. Welche Vorschriften halten Sie ein?
Sanem Kleff: Ich gebe einen gewissen Anteil meines Besitzes ab, das gehört zu einer der fünf Säulen des Islam. Ich habe auch Verständnis dafür, wenn Menschen religiös begründete Essgewohnheiten haben.
Ein Kopftuch wie Frau El-Zayat tragen Sie nicht.
Kleff: Und das hat zur Folge, dass ich nie gefragt werde, ob ich Männern die Hand gebe. Ein Kopftuch hat für mich mit Glauben nichts zu tun.
El-Zayat: Wenn andere das Kopftuch für nicht angemessen halten, damit habe ich kein Problem. Mein Habitus, wenn ich auch nicht auf ihn allein reduziert werden möchte, ist ein Teil von mir. Allerdings möchte ich auch nicht aufgrund meines äußeren Erscheinungsbildes ausgegrenzt oder als rückständig und unterdrückt betrachtet werden.
Mit der Religion ist es ja wie bei politischen Ideologien: Es gibt sie in verschieden starken Ausprägungen. Wenn man den Islam mit der linken Ideologie vergleichen würde, mit der Bandbreite zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie, wo würden Sie sich einordnen?
El-Zayat: Dies ist ein schönes Beispiel für den zum Scheitern verurteilten Versuch, den Islam mit ihm fremden Begriffen verstehbar zu machen, die ihre eigenen historischen und emotionalen Implikationen haben.
Kleff: Jeder will fundamental glauben, niemand will die Fundamentalistin sein … Ich würde mich bei dieser anarchistischen Gruppe in Berlin-Kreuzberg einordnen, KPDRZ.
El-Zayat: Ich fühle mich dem Geist der Schrift verpflichtet. Das impliziert ihre hermeneutische Betrachtung und Reflektion.
Also kommunistische Plattform der PDS?
El-Zayat: Sie sehen, wie dieser Vergleich hinkt. Ich möchte ihn nicht ziehen.
Gehört zu der Reflektion auch die Reflektion der Scharia? Also etwa der Regeln, die der Frau die Scheidung verbieten, sie dem Mann aber erlauben?
El-Zayat: Der Teil der Scharia, der sich mit den sozialen Angelegenheiten beschäftigt, das „Muamalat“, ist aus den Quellen abgeleitet, also zeit- und raumabhängig. Insofern kann ich bei diesen Regeln auch sagen: das ist nicht das, was ich ableiten würde. Die Regeln, die der Frau das Recht auf Scheidung absprechen, sind nicht koranisch.
Wie gehen Sie dann mit den gläubigen Muslimen um, die diesen Regeln folgen?
El-Zayat: Muslime, die der Frau das Recht auf Scheidung absprechen, kritisiere ich. Das ist natürlich unangenehm, aber ich tue es.
Dann müssten Sie beide ja Bündnispartnerinnen sein.
Kleff: Das weiß ich nicht. Frau El-Zayat, Ihr Referenzpunkt ist der Koran, meiner nicht. Meiner sind die Menschenrechte. Männer und Frauen müssen gleich behandelt werden. Sie scheinen es für legitim zu halten, weltliche Fragen durch den Bezug auf den Koran lösen zu wollen. Das lehne ich ab. Aus dem Glauben darf man keine weltlichen Normen ableiten. Da komme ich nicht mit Ihnen und genauso wenig mit dem Papst zusammen.
El-Zayat: Sie suggerieren, dass Religion und Menschenrechte zwei sich ausschließende Pole seien. Der Islam kennt keine Unterscheidung zwischen weltlich und religiös, zwischen profan und sakral. Dem Profanen wohnt das Sakrale inne und umgekehrt.
Ist es ein Widerspruch, ein so strenges Bezugssystem wie Frau El-Zayat zu haben und gleichzeitig vom deutschen Staat eine liberale Haltung gegenüber dem Islam zu fordern?
Kleff: Ja. Frau El-Zayat, Sie leiten Ihre Werte aus dem Koran ab, gleichzeitig kritisieren Sie, wenn Deutschland eine christliche Leitkultur für sich in Anspruch nimmt. Dafür müssten Sie doch großes Verständnis haben?
El-Zayat: Ganz und gar nicht! Sie gehen davon aus, dass ein Offenbarungstext auch nur eine Kultur hervorbringen kann. Die kulturelle Vielfalt der Muslime, von den matriarchal lebenden Miangkabau in Westsumatra bis zu den MarokkanerInnen, belegt anschaulich das Gegenteil. Das säkulare System verrät sich selbst durch die Privilegierung einer Religionsgemeinschaft.
Kleff: Deutschland ist im Gegensatz etwa zu Frankreich doch gar kein säkularer Staat. Die christlichen Kirchen werden bevorzugt. Wenn ich Sie richtig verstehe, müssten Sie eigentlich mit mir für eine völlige Säkularisierung eintreten.
El-Zayat: Ich würde es sehr bedauern, wenn die Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften nur um den Preis einer Entwicklung hin zu einem französischen Modell möglich wäre.
Bedauern? Wollen Sie nun eine säkulare oder eine religiöse Gesellschaft?
El-Zayat: Ich möchte eine Gesellschaft, die auf ethischen Normen basiert. Die kann man aus religiösen oder aus humanistischen Werten ableiten. Es kommt darauf an, einen Konsens auszuhandeln unter Einbeziehung aller BürgerInnen.
Kleff: Sicherlich, aber humanistische Werte können für alle gelten, unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Andererseits kann man aus der Religion nicht nur humane, sondern auch sehr monströse Werte ableiten.
El-Zayat: Dass humanistische Werte nicht so ideologieanfällig seien, ist ein Postulat. Tatsache ist, dass der Mensch ambivalent ist und somit jede Lebensform in Fanatismus und Extremismus umschlagen kann. Ich frage aber, welcher Instanz sich ein Agnostiker verpflichtet fühlt, der seine ethischen Werte nicht einem religiösen Bezugsrahmen verdankt.
Kleff: Und ich frage, wie man aus einem Buchtext seine Normen ableiten kann. Das fällt mir schwer.
Frau El-Zayat, könnten Sie sich denn wirklich eine religiöse Gesellschaft vorstellen, die andere Religionen als gleichberechtigt anerkennt?
El-Zayat: Der Islam trägt nach meiner Interpretation diesen Ansatz in sich.
Kleff: Es müsste also eine muslimische Gesellschaft sein?
El-Zayat: In der Attitüde ja, Islam bedeutet, Frieden zu schaffen.
Kleff: Die Idee des Friedens ist keine islamische Erfindung.
El-Zayat: Ist es nicht ein Anlass zur Hoffnung, wenn Frieden für Muslime und Nichtmuslime gleich wichtig ist?
Frau Kleff, ist denn Ihrer Ansicht nach die Religion Islam eindeutig zu trennen von den gesellschaftlichen Regeln, die damit verbunden werden?
Kleff: Tja, wo ist die Grenze? Ich glaube, eine tolerante Gesellschaft darf grundsätzlich nicht religiös verfasst sein. Weil es darum geht, gemeinsame Normen für alle zu entwickeln.
El-Zayat: Warum sollen religiöse Kräfte dazu nicht im Stande sein?
Es gibt religiös verfasste Länder, die etwa die Frauenrechte im Menschenrechtskatalog einschränken möchten. Auch hier in Deutschland lehnen Muslime etwa den Grundsatz der Gleichberechtigung ab. Gleichwertigkeit sei vorzuziehen. Was ist das eigentlich?
El-Zayat: Gleichberechtigung ist ein Derivat der Gleichwertigkeit. Wir haben ein Differenzmodell, ähnlich wie die Gynozentristinnen im Westen, Maria Mies etwa. Sie würde sich mit Recht gegen den Vorwurf verwahren, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen.
Frau Mies lehnt ja auch die Gleichberechtigung nicht ab. Aber wie sieht ihr Differenzmodell denn genau aus?
El-Zayat: Aber sie hält den humanistischen Feminismus, der der Gleichberechtigung zu Grunde liegt, vermutlich auch für insuffizient. Diese Fragen sind weder im Westen noch im Osten ausdiskutiert. Das koranische Konzept sieht zwei Geschöpfe vor, die vor Gott gleich, aber differente Wesen sind, die sich gegenseitig ergänzen sollen.
Also werden die Geschlechter auf bestimmte Rollen festgelegt.
El-Zayat: Die Rollenmuster hängen von der Sozialisation ab. Sie lassen sich offensichtlich verschieben.
Wenn ich als Frau keine Familie, sondern arbeiten will, ist das dann unislamisch?
El-Zayat: Dann brauchen Sie eben einen Partner, der Sie ergänzen würde.
Kleff: Wo ist denn da der Unterschied zum Gleichberechtigungsmodell? Jeder Frauenförderplan existiert doch genau deshalb, weil Frauen anders sind als Männer.
El-Zayat: An der Notwendigkeit von Frauenförderplänen sieht man, dass das Gleichberechtigungsmodell der Andersartigkeit von Frauen und Männern nicht gerecht wird. Muslimische Frauen haben etwa das koranisch verankerte Recht auf ein eigenes Vermögen. Das steht Männern nicht zu und ich würde nur ungern darauf verzichten.
Kleff: Alles Gute ist islamisch, das ist mir zu abstrakt. Sie reden wie der Kommunist, der sagt, dass im wahren Kommunismus alles prima ist. Der reale Islam zeigt aber etwas ganz anderes.
El-Zayat: Sie müssten eigentlich begrüßen, wenn ich Konzepte, die aus Ihrer Sicht gut sind, für islamisch befinde. Da nähern wir uns doch dem Konsens.
Kommen wir also zur Realität. Die hessische Religionsgemeinschaft sprach eine Fatwa aus, nach der Mädchen sich nur eine Kamel-Tagesreise weit von ihrem Haus entfernen sollen. Klassenfahrt ade.
El-Zayat: Davon hat sie sich öffentlich distanziert. Das kann ich am Geist der Offenbarung nicht festmachen.
Aber religiöse Mädchen stehen zwischen solchen Vorstellungen und denen der säkularen Schule. Wie löst man das?
Kleff: Das betrifft nur wenige Mädchen aus religiösen Familien, die sich an die Auslegungen bestimmter Leute gebunden fühlen. Es geht in der Praxis weniger um die Kamel-Fatwa, sondern darum, dass man Angst hat, die Geschlechtertrennung werde nicht genug beachtet oder die Essensregeln werden nicht eingehalten. Oder sie sollen einfach zu Hause bleiben und da mithelfen. Unsere Normen sind aber im Moment: Mädchen und Jungs sollen an Klassenfahrten teilnehmen dürfen.
El-Zayat: Da gibt es aber auch das Erziehungsrecht, das das Grundgesetz zuvorderst den Eltern zugesteht.
Kleff: Aber die Eltern wissen, in welcher Schule sie ihr Kind abgegeben haben. Es ist keine religiöse, sondern eine staatliche Schule. Und da werden nicht gleiche Rechte eingeklagt, sondern Ausnahmerechte. Für eine Gruppe, die einer bestimmten Auslegung einer Religion folgt. Wenn das so weiterginge, dann hätten wir bald zwanzig verschiedene Regelungen für zwanzig verschiedene Gruppierungen. Ich will so eine Gesellschaft nicht.
Stattdessen darf sich die Dominanzkultur einfach mit ihren Vorstellungen durchsetzen und die religiösen Schüler etwa eindeutigen Bildern im Sexualkundeunterricht aussetzen?
Kleff: Nein, beim Sexualkundeunterricht wird vorher mit den Eltern geredet: Da kann man Einfluss nehmen, welche Bilder gezeigt werden und welche nicht. Da zieht gerade nicht eine Mehrheit ihr Ding auf Kosten der anderen durch. Ich sehe aber in den religiös verfassten Gesellschaften gerade dies: anderen Anschauungen wird kaum Raum gelassen.
Aber es gibt doch das Recht der Eltern auf Erziehung?
Kleff: Das kann man aber normalerweise einvernehmlich lösen. Leider sind es oft gerade die muslimischen Familien, die sich dem Dialog entziehen.
Es gibt regelrechte Musterprozesse, damit Töchter nicht am Schwimm- oder Sexualkundeunterricht teilnehmen müssen. Sind die notwendig?
Kleff: Ich halte den Konflikt nicht für so gravierend, dass er zu Prozessen führen muss.
El-Zayat: Diese Konflikte bestehen nicht ausschließlich für religiöse Familien. Aussiedlerfamilien artikulieren nach meiner Erfahrung oft ähnliche Bedenken.
Kleff: Aber von den Aussiedlern kommen keine Musterklagen. Und sie argumentieren nicht religiös. Das tun aber die muslimischen Familien.
El-Zayat: Natürlich gibt es die Fälle, wo der Starrsinn auf beiden Seiten groß genug ist, dass es eben bis vors Gericht geht. Ich kann hier nur für mich sprechen: Meine Tochter wird, so Gott will, nächste Woche auf Klassenfahrt gehen. Es ist ganz natürlich, wenn Eltern um die Sicherheit ihres Kindes besorgt sind. Unser Zentrum bietet übrigens Konfliktmediation an.
Kleff: Ich habe den Eindruck, dass diese Klagen etwas ausnutzen: Diese Gesellschaft tendiert dazu, ihre Leitkultur durchsetzen zu wollen, was ihrem Anspruch auf Liberalität widerspricht. Sie hat also ein latent schlechtes Gewissen.
El-Zayat: Ist das nicht berechtigt?
Kleff: Selbstverständlich, weil dieser Drang zur Leitkultur da ist. Auf der anderen Seite geht diese Gesellschaft ja sehr bewusst mit ihrer historischen Schuld um, wenn Sie etwa an den Rassismus denken. Dieses schlechte Gewissen kann man gut nutzen, um seine Spezialinteressen durchzusetzen. Wer heute mit der Karte „Moslem“ kommt, hat die besseren Chancen, seine Rechte durchzusetzen als jemand, der etwa nur mit der Karte „Frau“ oder gar keiner Karte kommt. Das kann man auf Mark und Pfennig berechnen.
El-Zayat: Und was ist dagegen vorzubringen, dass Minderheiten Rechte einklagen? Besonders bevorzugt kann ich mich nicht fühlen, wenn gegen eine muslimische Kopftuch tragende Lehrerin ein Berufsverbot verhängt wird.
Kleff: Das ist ein Punkt, an dem es noch nicht geklappt hat. Ich betone: noch. Die Rechtsprechung, die Frau Ludin vom Schuldienst ausschloss, wird sich nicht durchhalten lassen. Denn ein Kopftuch sagt nichts über die politische Haltung darunter aus.
El-Zayat: Offensichtlich wurde Frau Ludin aber eine ganz bestimmte politische Haltung unterstellt. Dieses Verbot hatte eine unglaubliche Signalwirkung: Es hat die Muslime in eine Opferrolle getrieben, aus der sie wenig konstruktiv agieren können.
Männer tragen kein vergleichbares Symbol: Warum eigentlich verschleiern sich die Frauen, um den männlichen Blick zu vermeiden? Liegt das Problem nicht bei den Männern?
El-Zayat: Im Koran steht noch vor dem Schleiervers zunächst einmal, dass die Männer die Blicke senken sollen.
Kleff: Der Schleier ist also nur für die Frauen, deren Männer sich nicht an Paragraf eins halten. Sie müssten sich doch als Frau dafür einsetzen, dass der Paragraf eins umgesetzt wird, damit die Frauen sich kleiden können, wie sie wollen.
El-Zayat: Ja.
Als Vorreiterin sollten Sie dann doch ohne Kopftuch herumlaufen, um die Männer daran zu erinnern, dass Sie die Blicke zu senken haben.
El-Zayat: Das hieße, jedem zu erklären, weshalb ich ohne Kopftuch herumlaufe. Das funktioniert genauso wenig, wie jedem zu erklären, warum ich mit Kopftuch herumlaufe.
Und Sie nehmen das Nichtfunktionieren auf Ihre Kappe, auf Ihr Kopftuch.
El-Zayat: Nein, es gibt Bekleidungsvorschriften für Männer und für Frauen. Man muss mit solchen optischen Unterschieden zwischen unseren Kulturen eben umgehen. Warum regen Sie sich so über das Kopftuch auf?
Weil es Frauen eine Vorschrift auferlegt. Sie sind die Beladenen. Ebenso sind die Mädchen die Verlierer, wenn sie nicht zum Schwimmunterricht dürfen.
El-Zayat: Was, wenn sie sich nicht als Beladene empfinden? Übrigens kenne ich viele muslimische Familien, die Söhne auch nicht zum Schwimmunterricht schicken.
Das ist ja noch schöner.
El-Zayat: Dann muss man eben darauf eingehen.
Oder die Erziehungsprinzipien ändern.
El-Zayat: Um sie an die der Mehrheitsgesellschaft anzupassen? Das strebe ich nicht an.
Kleff: Sie glauben, die Reaktion ist so störrisch, weil diese Gesellschaft nicht so liberal ist, wie sie vorgibt. Doch darüber hinaus hat die Gesellschaft eben auch Angst, dass unter dem Kopftuch eine antidemokratische Gesinnung steckt. Damit muss man spätestens seit dem 11. September rechnen.
El-Zayat: Sollte man nicht von der Unschuldsvermutung ausgehen in einem Rechtsstaat?
Kleff: Diese Gesellschaft scheint aber gerade die Kompetenz nicht zu haben, zwischen dem Religiösen und dem Politischen im Islam zu unterscheiden. Dieses Problem ist neu. Vielleicht sollten muslimische Organisationen ihr da durch Transparenz entgegenkommen.
El-Zayat: Ich persönlich setze mich sehr für Transparenz in den muslimischen Organisationen ein, erwarte dies aber auch von den staatlichen Institutionen.
Wenn nun eine junge religiöse Muslimin zu Ihnen kommt und im Krankenhaus arbeiten will, wo sie Männer anfassen muss, oder zur Bundeswehr gehen möchte. Was sagen Sie dann? Ist das vereinbar mit dem Islam?
El-Zayat: Ich rate, das umzusetzen, was für sie essenziell ist. Ob das nun im Krankenhaus oder bei der Bundeswehr ist. Meine Kollegen und ich haben im Krankenhaus vereinbart, dass am Unisex-Umkleideraum eben geklopft wird, wenn ein Mann reinkommt.
Kleff: Was würden Sie denn sagen, wenn dieselbe oder ihre Tochter ihre lesbische Freundin „heiraten“ möchte?
El-Zayat: Ich wäre nicht glücklich darüber, wenn meine Tochter mit dem Lebenskonzept ankäme. Aber das ist immer so, wenn man selber ein anderes Lebenskonzept hat.
Vom Koran ist das nicht abgedeckt?
El-Zayat: Nein, das ist nicht abgedeckt.
Kleff: Sehen Sie, deshalb brauchen wir eine säkulare Gesellschaft.
El-Zayat: Die erste Regelung des Islam ist eine, die den Umgang mit ihm wunderbar machte, wenn sich alle daran halten würden. Sie heißt: La iqraha fi-din, auf Deutsch: Es gibt keinen Zwang im Glauben. Das müssen auch Muslime aushalten.
Kleff: Das scheint ihnen aber schwer zu fallen. Der Islam ist in vielen muslimischen Ländern absolut dominant.
El-Zayat: Wenn Sie totalitäre Regime als muslimisch betrachten, dann ja. Das tue ich aber nicht.
Kleff: Aber wenn das alles nicht islamisch ist, von welchem muslimischen Gesellschaftsmodell reden Sie denn? Ist es doch wie mit dem Kommunismus – der wahre Islam ist noch gar nicht verwirklicht?
El-Zayat: Das humanistische Modell der Menschenrechte ist doch auch nicht umgesetzt, obwohl alle daran „glauben“!
Kleff: Dann sind wir darin einig, dass all die frauenverachtenden Praktiken, etwa im Sudan oder in Saudi-Arabien, abzulehnen sind, weil sie den Menschenrechten widersprechen?
El-Zayat: Und dem Islam!
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