piwik no script img

Der Beharrliche

von MICHAEL KASPEROWITSCH

Die beiden gekreuzten Balken haben die Kinder aus der Firmgruppe in einem dunklen Blau glasiert. Zwei liebevoll aus Ton gestanzte Ahornblätter umgeben die Mitte, auf der ein getöpferter Schmetterling etwas unbeholfen klebt, weil seine Flügel unter den Händen der 13-jährigen Schüler ein wenig klobig geraten sind. Wer wollte diese Bastelarbeit schlimm finden?

Konrad Riggenmann, Lehrer der Hermann-Köhl-Schule im katholischen Pfaffenhofen bei Neu-Ulm, ist so jemand. Sein Urteil fällt gnadenlos aus. Die entschärften Kreuze mit Insekt statt Corpus verbrämen seiner Ansicht nach den Zweck einer grausamen Hinrichtung. Der 49-Jährige Grund- und Hauptschullehrer sagt: „Zur Humanisierung der Gewalt tragen diese Arbeiten ebenso viel bei wie ein rosarotes Fallbeil mit Blümchenmuster an der Guillotine oder ein Sitzpolster auf dem elektrischen Stuhl.“

Konrad Riggenmann hat sich als erster bayerischer Lehrer erfolgreich gegen den staatlich verordneten Kreuzzwang in Grund- und Hauptschulen gewehrt. „Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht“, heißt es im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz. Vor einigen Wochen gab der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einer Klage Riggenmanns mit Hinweis auf die Glaubensfreiheit Recht. Revision wurde nich zugelassen. Noch ist das Urteil nicht endgültig rechtskräftig. Erst dann kann das Kreuz im Klassenraum abgehängt werden. So hat es das Kultusministerium für diesen „atypischen Einzelfall“ angeordnet, für den CSU-Generalsekretär Goppel anregt, doch die Entlassung des Lehrers zu erwägen, und der CSU-Landtagsfraktionschef Glück befürchten lässt, „dass Einzelne ihre persönlichen Überzeugungen gegen alle anderen Überzeugungen durchsetzen wollen“.

Kreuz und Christentum

Folgt man dieser Logik, müssten sich eigentlich in Pfaffenhofen eine Menge Leute finden, die sich darüber ärgern, dass der Lehrer seine Überzeugungen gegen die ihren durchsetzen will. So ist es aber nicht. Selbst die Kreisbäuerin und CSU-Gemeinderätin Hildegard Mack lobt, der Konrad Ringenmann nehme seinen Erziehungsauftrag sehr ernst. Und der CSU-Ortsvorsitzende Erwin Stettner sagt: „Wenn der Lehrer wegmuss, könnte ich mir vorstellen, dass es zu einem Aufstand der Schüler kommt.“

Wahrscheinlich wissen die CSU-Mitglieder in Pfaffenhofen besser als die in München, dass Konrad Riggenmann kein geborener Revoluzzer ist. Er stammt aus einer alteingesessenen Familie. Deren Verhältnis zur CSU ist äußerst entspannt. Konrad Riggenmanns Vater ist erst kürzlich für 50-jährige Parteitreue ausgezeichnet worden. Der über 80-Jährige war einst selbst Rektor an der Schule, an der sein Sohn Konrad jetzt unterrichtet. Ringenmann senior und seine Frau wohnen immer noch im Lehrerhaus, das die Gemeinde früher dem Dorflehrer zur Verfügung stellte. Der Sohn lebt im selben Haus unter dem Dach: ein Wohnzimmer mit Holzwinkel-Regalen und eine kleine Werkstatt für Flugzeugmodelle aus Holz, ordentlich, ja bieder. Es ist nur so, dass Konrad Riggenmann eine beachtliche Beharrlichkeit eigen ist, wenn es um einmal angenommene Überzeugungen geht.

Konrad Riggenmann legt seine Gründe dar, ruhig, wie ein nüchterner Forscher. Reihenweise zitiert er Stellen im Alten Testament, die gegen bildliche Gottesdarstellungen wettern. „Allein deshalb kommt man eigentlich nicht umhin, Kreuze und Kruzifixe als Produkte eines barbarischen Aberglaubens zu bezeichnen, als Fetische, die zentralen Aussagen der christlichen Lehre widersprechen“, sagt er. Dass sich das Christentum in diesem Punkt von Anfang an in einen tiefen Gegensatz zu seiner jüdischen Mutterreligion stellte, habe in „furchtbarer Weise zur zweitausendjährigen Judenverfolgung und zum Holocaust beigetragen“. Das Kreuz versinnbildliche den christlichen Mythos von der Ermordung des Gottessohnes durch die Juden.

Der Lehrer hat sich lange damit beschäftigt, wie diese allgegenwärtige Darstellung des Gottesmordes auf die Seele von Kindern wirkt. Als er vor neun Jahren eine dritte Klasse übernahm und sich daran machte, das Schulzimmer mit selbst geschreinerten Regalen auszustatten, blieb sein Blick an der Darstellung des gemarterten Christus hängen. Das kann keine gute Wirkung haben, dachte er sich und nahm das Kruzifix zum ersten Mal ab. Ersetzt hat er es durch ein Misereor-Plakat, das ihm die christliche Botschaft sinnfälliger auszudrücken schien. Es zeigte zwei Hände, die Brot teilen, vor dem Hintergrund der Erdkugel. Etwa ein halbes Jahr später kam ein Schüler und bat darum, das Kreuz wieder anzubringen: „Das hilft uns bei Probearbeiten“, lautete die Begründung. Riggenmann ließ abstimmen. Bis auf zwei Schüler waren alle für das Kruzifix. Der Lehrer hängte es wieder an die Wand.

Los ließ ihn das Thema aber nicht mehr. Er vertiefte sich in den geschichtlichen und philosophischen Zusammenhang zwischen christlichem Symbol und Verfolgung der Juden. Er gelangte zu der Gewissheit: „Das Kreuz ist Pfahlwurzel des Antisemitismus, der in Auschwitz einen Höhepunkt erreichte.“

Kreuz und Knacks

Die bayerischen obersten Richter sahen keinen Anlass, die Gewissensentscheidung des Lehrers in all ihren Details auszuleuchten und zu bewerten. Sie nahmen sie einfach ernst. „Jetzt suchen alle nach dem Knacks, den ich irgendwo in meiner Biografie erlitten haben muss, anders können sie sich meine Haltung nicht erklären, sie suchen den Punkt, an dem ich gescheitert bin“, sagt Riggenmann. Schließlich weiß in Pfaffenhofen jeder, dass der „Conny“ Ministrant war. Dass er begann Theologie zu studieren und später sogar ins Augsburger Priesterseminar eintrat. Vor zwanzig Jahren hat er die katholische Kirche allerdings wegen ihrer Sexualmoral verlassen. „Es gibt an diesem Punkt keine unaufgearbeiteten Konflikte“, versichert er, „meine Haltung hat sich ganz allmählich herauskristallisiert. Das wollen viele nur nicht ernst nehmen.“

Auch das Kultusministerium hat sich nicht viel Mühe gegeben, die innere Entwicklung ihres Beamten nachzuvollziehen. Sonst hätte Staatssekretär Karl Freller den widerspenstigen Lehrer nicht darauf hingewiesen, dass an der Pfaffenhofener Schule doch so schöne, von Kindern gebastelte Kreuze hängen, die eigentlich jedem das Herz aufgehen lassen müssten.

Auch das Schulamt und den damaligen Schulleiter interessierten die Überzeugungen ihres Kollegen wenig. Sie steuerten direkt auf einen Prozess zu. Nach dem Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 (siehe Kasten) nahm Konrad Riggenmann das Kreuz in seiner Klasse erneut ab. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass Bayern die Karlsruher Entscheidung durch ein Sondergesetz aushebelte. Es lässt ein kreuzloses Klassenzimmer nur zu, wenn Eltern dies ausdrücklich fordern. Als der CSU-Landrat von Riggenmanns Tat erfuhr, veranlasste er über den Schulamtsdirektor und den Schulrektor eine Überprüfung des Unterrichtsraums. „Als der Rektor mich aufforderte, das Kreuz wieder aufzuhängen“, erzählt der Lehrer, „weigerte ich mich, erklärte mich aber bereit, den Willen der Eltern zu respektieren, wenn auch nur eine Person bei der anstehenden Klassenelternversammlung die Anbringung des Kreuzes wünschen würde.“

Der Rektor verbot ihm darauf, das Thema bei den Eltern anzusprechen. Zwei Wochen danach brachte der Rektor das Kreuz „gegen meinen ausdrücklichen und begründeten Willen“ eigenhändig an. Riggenmann bat den Schulamtsdirektor um Vermittlung. Das Kreuz müsse hängen, das Elternvotum sei da gar nicht gefragt, meinte der Behördenleiter.

Dies empfand der Lehrer als Angriff auf seine Persönlichkeit. Das mag Riggenmanns Vorgesetzte wundern. Ihnen sind die Ansichten Immaunel Kants vermutlich auch nicht so geläufig wie dem Lehrer. Der Philosoph hatte ihn nämlich davon überzeugt, dass „die religiöse Unmündigkeit die schädlichste und die entehrendste unter allen ist“, weil diese gegenüber der Obrigkeit ein Gehorsam bis zum Letzten fördere. Deshalb wehrte sich Ringenmann gegen die Behörde. „Wenn ich mich für einen Weg entschieden habe, gehe ich ihn auch konsequent zu Ende“, sagt der Pädagoge gelassen. „Ich wäre mir charakterlos vorgekommen, wenn ich aufgegeben hätte.“

Die Jahre des juristischen Streits haben der Anerkennung keinen Abbruch getan, die sich Riggenmann bei Schülern und Eltern erworben hatte. „Die 8 b steht auf jeden Fall voll und ganz hinter ihrem Lehrer … uns reicht es, wenn ein Marienbild hängt“, schreiben die Schüler geschlossen in Leserbriefen an die Neu-Ulmer Zeitung. Die Eltern lassen Lobeshymnen folgen. Der Lehrer engagiere sich „weit über das normale Maß hinaus“ für ihre Kinder. Ein von dem angeblichen Kirchenfeind verfasstes Krippenspiel sei mit viel Erfolg aufgeführt worden und er habe unentgeltlich bei der Nachmittagsbetreuung von Schülern mitgearbeitet. „Bei mir war noch niemand, der das Kreuz dranlassen will“, versichert Schulelternsprecher Martin Walz.

Je weniger die Menschen über Konrad Riggenmann wissen, desto erbitterter und bösartiger wird allerdings die Gegnerschaft – vor allem seit seinem jüngsten Erfolg beim Verwaltungsgerichtshof. Stapelweise gehen bei dem Lehrer Briefe ein. Als „Kreuzabhänger, Bilderstürmer, Bücherverbrenner“ wird er da beschimpft, ein anderer schreibt, die Richter am Verwaltungsgerichtshof gehörten „nach Afghanistan abkommandiert“, und ein Briefautor will Riggenmann auf einer Müllkippe entsorgen, da er „sicher nicht auf einem mit Kreuzen übersäten Friedhof beerdigt werden will“.

„Wie viel Angst muss das Rühren an diesem Tabu auslösen?“, fragt Konrad Riggenmann. In seinem Wohnzimmer hängt ein gerahmtes Plakat mit einem Bild des heiligen Niklaus von Flüe (15. Jh.). Der Heilige wollte sich nach etlichen abstoßenden Erfahrungen mit dem politischen Handwerk als Eremit zurückziehen. Das wünscht sich die Schulverwaltung wohl auch von Riggenmann. Vergeblich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen