: „Sieg über den Bankenstaat“
Bundesgerichtshof erklärt Kreditverträge rückwirkend für kündbar, die an der Haustür zustande kamen. Anwälte erwarten Milliardenzahlungen, Hypo-Vereinsbank nicht
KARLSRUHE taz ■ Verbraucherschützer haben mit Erleichterung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs reagiert, wonach auch Kreditverträge widerrufen werden können, wenn sie in einer so genannten Haustürsituation zustande gekommen sind. „Das Urteil ist ein Meilenstein für den Verbraucherschutz“, sagte der Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium, Matthias Berninger (Grüne). „Es bietet eine Chance für Kleinanleger, aus ihren schlechten Verträgen herauszukommen.“ Um den Schutz der Verbraucher bei Finanzdienstleistungen zu verbessern, fordert er zudem neue gesetzliche Regelungen: „Das Urteil ist ein Hinweis an die Politik.“
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte am Dienstag entschieden, dass Kreditverträge auch noch nach Jahren aufgelöst werden können, wenn die Bankkunden nicht über ihr Widerrufsrecht aufgeklärt worden sind. Damit hatte sich der BGH dem Europäischen Gerichtshof angeschlossen, der im Dezember die bisherige deutsche Rechtssprechung für unvereinbar mit europäischen Verbraucherschutzrichtlinien erklärt hatte. Damals war allerdings offen geblieben, ob das Urteil auch rückwirkend gilt. Das hat der BGH jetzt bejaht, weil das bisherige deutsche Recht nicht eindeutig gewesen sei, daher auch im Sinne der Verbraucher interpretiert werden könne. Offen ließ das Gericht allerdings, ob nur der Kredit- oder auch der Kaufvertrag ungültig ist.
Hintergrund des Verfahrens sind umstrittene Immobiliengeschäfte, bei denen Drückerkolonnen in den 90er-Jahren mit falschen Versprechen minderwertige Immobilien und die dazugehörigen Kreditverträge vermittelten und dadurch viele Anleger in den finanziellen Ruin trieben (die taz berichtete). Die Verbraucherzentralen gehen von bis zu 300.000 Betroffenen aus. Die BGH-Entscheidung könnte daher weitreichende Konsequenzen für die betroffenen Banken haben, allen voran die bayerische Hypo-Vereinsbank. Diese Bank, gegen die sich auch das konkrete Urteil richtete, hat über 100.000 fremdvermittelte Wohnungen finanziert. Analysten halten Rückforderungen in Milliardenhöhe für möglich. Die Aktie der Bank war nach der Urteilsverkündung eingebrochen, hat sich aber mittlerweile erholt.
Die Hypo-Vereinsbank, die bisher eine rückwirkende Geltung des EuGH-Urteils ausgeschlossen hatte, spielte die Bedeutung des Urteils herunter. „Wir erwarten keine nennenswerten finanziellen Auswirkungen“, sagte eine Sprecherin gegenüber der taz. Hochrechnungen, die von Folgekosten in Milliardenhöhe ausgingen, seien unrealistisch. In jedem Fall müsse zunächst geklärt werden, ob eine Haustürsituation vorlag. Auch geht die Bank davon aus, dass der Kaufvertrag gültig bleibt.
Der Göttinger Rechtsanwalt Reiner Fuellmich, der über 3.000 Immobilien-Geschädigte gegen die Hypo-Vereinsbank vertritt, sieht das anders. Er erwartet, dass das BGH-Urteil auf 80 Prozent der Fälle anwendbar ist und Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe auf die Banken zukommen. Weil Kauf- und Kreditvertrag ein „wirtschaftlich einheitliches Geschäft“ darstellten, geht er davon aus, dass auch die Kaufverträge unwirksam sind. Fuellmich sieht daher eine Trendwende in der Rechtssprechung: „Das Urteil ist ein Sieg des Rechtsstaates über den Bankenstaat.“ Im konkreten Fall hatte ein Ehepaar einen Kredit über 150.000 Mark widerrufen. Vor Gericht verlangte es die Rückzahlung von 118.444 Mark bisheriger Zins- und Tilgungszahlungen. (AZ: XI ZR 91/99)
MALTE KREUTZFELDT
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