: harald fricke über shopping Kreuzberger Dosenbier-Desperados
Das Motto war klar: „Kapitalismus zerschlagen“. Nun liegen die Scherben herum, und alle fürchten, sich zu schneiden
Einen Tag hat es gedauert. Danach waren die Rollläden repariert, die zerbrochenen Scheiben ausgewechselt, der Bürgersteig gereinigt von den Spuren der Nacht und die Regale wieder neu aufgefüllt. Der Plus-Markt am Oranienplatz hat die 1.-Mai-Demonstrationen in Berlin überlebt, den Rest regelt die Versicherung. Das war zu erwarten – wer in Kreuzberg Geschäfte macht, weiß mit Randaleritualen umzugehen. Man wird weitermachen wie bisher, die Kunden warten, schließlich ist Plus ein wichtiger Anbieter, wenn es um Niedrigpreise geht. So wichtig, dass die nächste Filiale im heiß umkämpften Kiez keine fünf Fußminuten entfernt in der Reichenberger Straße liegt.
„Wir expandieren weiter!“, steht auf der Homepage unter www.plus.de, in der Rubrik „Immobilien-Gesuche“. Dafür hat das Unternehmen Kriterien aufgestellt, die nicht so ganz der zentralen Lage in Kreuzberg entsprechen. Vor allem sucht die „Abt. Expansion“ Grundstücke ab 4.000 Quadratmetern, die 650–700 qm Verkaufsfläche bringen und Parkplätze für mindestens 70 Autos. Ob diese Rechnung am Oranienplatz aufgegangen ist? Zumindest die „Standort-Anforderungen“ stimmen: Mit einem „Einzugsgebiet von 10.000 Einwohnern“ kann Kreuzberg gewiss dienen, „ergänzender Einzelhandel“ ist vorhanden und die günstige Lage an einer „Hauptverkehrsstraße“ auch. Nicht einmal um mangelnde Konkurrenz braucht man sich zu sorgen, immerhin gibt es Kaiser’s und Aldi in Laufnähe. So kann man im direkten Vergleich vor Ort beweisen, wie günstig der Einkauf bei Plus ist.
Seit den Plünderungen vom 1. Mai steht die Supermarktkette auch als Symbol für die Leidensfähigkeit des Handels. Ein Billiganbieter wird überfallen, nur damit ein Haufen Punks genug Bölkstoff hat während der Krawalle – und der kleine Mann kann nicht mehr günstig einkaufen. Plus ist Opfer der stumpfen Gewalt von Chaoten geworden, so haben es die Boulevardzeitungen geschrieben, so war es in den Nachrichten zu sehen. Kein schöner Anblick, aber doch auch viel Aufmerksamkeit für ein Unternehmen, das sonst eher den Ruf hat, Durchschnittsproleten und den sozialen Rand mit Dosenfood zu versorgen.
Jetzt gibt es plötzlich individuelle Geschichten von Dosenbier-Desperados, die das Geschäft stürmen. Zum Beispiel die von Andi B., 17 Jahre, aus Eberswalde, dessen 1.-Mai-Erlebnisse in der B.Z. nachgezeichnet wurden: Den Schnaps, mehrere Flaschen „Puschkin Red“, die er bei Plus mitgehen ließ, das weiß die Zeitung, sind ihm „prompt von anderen Chaoten aus der Hand gerissen“ worden. Danach wurde er festgenommen und weinte. Kein Zweifel, durch die Ausschreitungen hat das orange-blaue Logo ein durchaus attraktives Gesicht bekommen. Selbst das Firmenmotto „Prima leben und sparen“ könnte sich zum Mandala für satirisch begabte Konsumenten entwickeln.
Natürlich sind die Fakten dennoch erbärmlich. Auf Fotos vom Tatort sieht man kurz geschorene junge Männer in Raver-Montur, die mit Weißweinpullen und Gin ausstaffiert aus dem aufgebrochenen Laden flüchten, andere haben bloß einen Apfel ergattert oder einen Packen „Trendy Citron“, der derzeit mit dem „Purzelpreis 1,49 €“ ausgezeichnet ist. Das alles sagt wenig über die ewige Wiederkehr des Ausnahmezustands, sondern zeugt mehr von der sozialen Depression in diesem Teil Kreuzbergs, die sich in der Beute aus dem No-Name-Segment spiegelt. Broken Windows? Umverteilung? Theorie? Geschenkt. Der Kampf von unten ist am untersten Ende der Artikulationsskala angekommen. Fressen, saufen, hier und jetzt, darum ging es letzten Ersten, frei nach Brecht. Das ist eine Sprache, die nicht ins Bild alerter Globalisierungsgegner passt, die mittlerweile lieber Globalisierungskritiker oder Globalisierungsbedenkenträger geheißen werden, weil das nach Konsensfähigkeit klingt.
Das Motto war klar: „Kapitalismus zerschlagen!“ Nun liegen die Scherben herum, und alle haben Angst, sich zu schneiden. Keineswegs würde ich deshalb an eine Party von „Wohlstandskiddies“ denken, so wie das Geschehen gleich am Abend im Netzforum www.germany.indymedia.org unter Linken disktuiert wurde. Hätte man der Generation Golf nicht doch eher zugetraut, dass sie im Angesicht der Revolution mindestens Mumm-Sekt mitgehen lassen würde? Am Ende waren es wohl doch die üblichen Verdächtigen – Kreuzberger Misfits, die im Rausch Hand angelegt haben. Seit Plus wieder aufgemacht hat, gehen sie dort völlig legal einkaufen, wie all die Jahre zuvor. Als wäre nichts geschehen. Das ist Berlin. Damit kann auch das Unternehmen leben.
Bis zum nächsten Mai.
Fragen zu Shopping?kolumne@taz.de
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