Schröder: Deutsche sind doch normal

Das Treffen zwischen dem Schriftsteller Martin Walser und dem Bundeskanzler verläuft ohne größere Entgleisungen

BERLIN taz ■ In seiner mit Spannung erwarteten Rede zu „Nation, Patriotismus, Demokratischer Kultur“ hat Bundeskanzler Gerhard Schröder ein betont nüchternes Bild der Nation entworfen. Den Deutschen empfahl er „ein selbstkritisches Selbstbewusstsein“. Bei der anschließenden Diskussion mit dem umstrittenen Schriftsteller Martin Walser grenzte er sich gegen dessen Betonung von nationalen Empfindungen ab. „Natürlich ist Deutschland ein normales Land“, sagte der SPD-Vorsitzende, wobei die Erinnerung an den Holocaust Teil der Normalität sei.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, erklärte gestern, seine Befürchtungen hätten sich bestätigt. Mit der These, der Versailler Vertrag sei eine der Ursachen für den Aufstieg des NS-Regimes, habe Walser „neue unsägliche Theorien“ verbreitet. Walser hatte zuvor geklagt, wer Auschwitz erklären wolle, werde sofort verdächtigt. „Auschwitz als Lippengebet – nein, danke!“, rief Walser.

Der Publizist Raphael Seligmann verteidigte die Entscheidung Spiegels, der eine kurzfristige Einladung Schröders auf das Podium ausgeschlagen hatte. „Wenn Schröder es richtig findet, mit Walser zu diskutieren, dann soll er’s tun – da braucht man keinen Alibijuden“, sagte Seligmann der taz.

Zu Beginn der Veranstaltung, gegen die am Mittwoch etwa hundert Menschen demonstrierten, hatte sich der Moderator Christoph Dieckmann entschuldigt. Er hatte in der Zeit geschrieben, „Israels Erwählungshybris ist ein Fluch“. Ihn habe der Zorn über Premierminister Scharon geleitet. PATRIK SCHWARZ

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