Terror bedroht Nahostgespräche

Am 35. Jahrestag der israelischen Besatzung fordert ein Bombenanschlag des Islamischen Dschihad 16 Tote. Israel kündigt Vergeltung an. Rechte Minister fordern Landesverweis für Arafat. Scharons US-Reise wird möglicherweise verschoben

aus Jerusalem ANNE PONGER

Ein weiteres opferreiches Terror-Attentat gegen einen israelischen Linienbus am Mittwoch früh hat die derzeitigen diplomatischen Bemühungen um eine politische Lösung des Nahostkonflikts erneut zurückgeworfen. Mindestens 16 Passagiere starben, 47 wurden teilweise schwer verletzt, als ein mit einer gewaltigen Sprengstoffmenge beladenes Auto neben einem vollbesetzten Bus unweit der Stadt Afula explodierte. Die Bombe traf den Benzintank im hinteren Teil des Busses. Dadurch wurden weitere Explosionen ausgelöst. Der Bus brannte vollständig aus. Der Islamische Dschihad übernahm die Verantwortung. Anlass sei der 35. Jahrestag der israelischen Besatzung im Westjordanland und Gaza-Streifen gewesen. Israel kündigte Vergeltung für diesen bisher blutigsten Anschlag seit der Selbstmordattacke im Park-Hotel in Netanya an, die der militärischen „Operation Schutzwall“ vorausging.

Ministerpräsident Ariel Scharon berief umgehend eine Sondersitzung des Kabinetts ein, in der Palästinenserchef Jassir Arafat routinemäßig für das Blutbad verantwortlich gemacht wurde, obwohl die Palästinenserverwaltung den Anschlag verurteilte. Minister der rechten Koalitionsparteien riefen zu einer DeportationArafats auf. Meinungsverschiedenheiten bestanden auch zwischen der politischen Führung und Avi Dichter, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth, über Israels militärische Strategie gegen palästinensische Terrorplaner. Während Scharon bislang ein kurzfristiges Eindringen der Armee in palästinensische Städte und Dörfer zur Zerstörung von „Terrorfabriken“ und Verhaftungen bevorzugte, tritt der Geheimdienstchef dafür ein, die autonomen Palästinenserzonen wieder zu besetzen, bis eine Trennlinie mit elektronischem Zaun, Minenfeldern und Wachttürmen angelegt ist.

Angesichts der jüngsten Terrortragödie und zahlreichen weiteren Warnungen ist eine Strategiewende nicht ausgeschlossen. Am Montag hatte Scharon den Plan für einen zunächst 110 Kilometer langen Grenzzaun entlang der grünen Linie unterschrieben, der das Zentrum Israels vor dem Eindringen von Terroristen aus Dschenin, Nablus, Tulkarem und Kalkilja schützen soll. Der geplante Zaun, mit dessen Errichtung erst im Juli begonnen werden soll, deckt weniger als ein Drittel der grünen Linie und lässt den Bereich um Jerusalem, wo jüdische und arabische Wohnviertel ineinander übergehen, aus praktischen und ideologischen Gründen vollständig aus. Insgesamt ist die ehemalige Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland 385 Kilometer lang. Eine permanente Grenze hätte durch einen Friedensvertrag festgelegt werden sollen. Haupthindernis bei der Demarkation einer Grenze ist für die Scharon-Regierung, wie für alle ihre Vorgänger, die Präsenz von mittlerweile 220.000 Siedlern in den Palästinensergebieten. Die Errichtung von 34 neuen Siedlungskeimzellen und die Ausschreibung von 987 neuen Wohneinheiten seit Februar 2001 deuten darauf hin, dass Scharon und seine rechten Koalitionspartner keine Gebietskompromisse als Basis für eine Nahostlösung anpeilen.

Oppositionsführer Jossi Sarid (Meretz) beschuldigte die Regierung der Mitverantwortung für den neuesten Terroranschlag, initiiere sie doch selbst keinen Plan für eine Verhandlungslösung, weise alle Initiativen von anderer Seite zurück und beschränke sich auf nutzlose Militäraktionen, nach denen neue Anschläge zum unabänderlichen Status quo erklärt würden. Die jüngsten amerikanischen Versuche zur Reformierung der Palästinenserverwaltung und der Vorbereitung einer Nahostkonferenz sind nun wieder in Frage gestellt.

CIA-Direktor George Tenet, der sich seit Montag bei Arafat um eine Umstrukturierung palästinensischer Sicherheitsdienste bemüht hatte, war am Dienstagabend unverrichteter Dinge abgereist. Die für Freitag geplante USA-Reise von Premier Scharon stand angesichts der angekündigten Vergeltungsaktion zunächst in Zweifel. In Washington war vor dem Anschlag von einem Plan die Rede gewesen, eine Außenministerkonferenz zum Thema Nahost im Juli in der Türkei einzuberufen.

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