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Künast ist nur angekratzt

Im Bundestag genießen Union und FDP ihre Angriffe auf die grüne Verbraucherministerin, schicken allerdings nur ihre zweite Garde vor

Grüne tun nichts gegen Gift in Öko-Essen – das trägt mehr als jede Verteidigung

aus Berlin HANNES KOCH

Anderthalb Jahre war Renate Künast in der Offensive. Die grüne Verbraucher- und Landwirtschaftsministerin trieb den Bauernverband vor sich her in Richtung Agrarwende – und sie machte eine gute Figur dabei. Nun muss sie sich verteidigen. Erstmals seit ihrem Amtsantritt im Januar 2001 steckt Künast in der Klemme. Seit vor zwei Wochen das illegale Pflanzenschutzmittel Nitrofen in biologisch erzeugtem Weizen gefunden wurde, ist klar, dass ein BSE-Skandal und ein paar neue Personen an der Spitze des Ministeriums nicht 50 Jahre Landwirtschaftspolitik neutralisieren.

Dafür muss sich nun auch die Amtsinhaberin rechtfertigen. Genüsslich legten gestern die Oppositionspolitiker ihre Finger in die Wunde, nachdem Künast eine Regierungserklärung zum Nitrofen-Skandal abgegeben hatte. Die Verbraucherministerin hat zwei Probleme, an denen sie zumindest teilweise schuld ist.

Zum einen gibt es da im bayerischen Kulmbach die Bundesanstalt für Fleischforschung, die bereits Anfang März von Nitrofen im Bio-Geflügelfleisch wusste, ihr Wissen aber für sich behielt. Schon während des BSE-Skandals war Künast die Behörde, die ihr selbst untersteht, unangenehm aufgefallen. Doch offensichtlich hat man in Berlin nicht genug unternommen, um die Fleischforscher zu domestizieren. Die alte Schlamperei nimmt ihren Fortgang. So war es gestern für CDU/CSU-Fraktionsvize Klaus Lippold leicht, der Ministerin vorzuhalten, sie selbst trage „die Verantwortung für ein unzureichendes Kontrollsystem“.

Zweitens war Künast am vergangenen Wochenende voreilig und damit unvorsichtig. Leichthin erklärte sie den Nitrofen-Skandal für aufgeklärt, nachdem eine Lagerhalle in Mecklenburg-Vorpommern, in der man das fragliche Getreide zeitweise untergebracht hatte, als altes Chemielager der DDR identifiziert worden war. Die gute Nachricht von der erfolgreichen Aufklärung sollte wohl unterschwellig auch bedeuten: Der Skandal ist nunmehr beendet – drei Monate vor der Bundestagswahl. Auch das belastet Renate Künast jetzt. Unter schadenfrohem Gelächter bei Union und FDP musste die Ministerin dem Bundestag gestern erklären: „Die Suche nach den Ursachen muss weiter zurückgehen ins Jahr 2001.“

Künast ist in der Defensive. Da hilft es augenblicklich nicht viel, dass sie versucht, den Ball an die Union zurückzuspielen. Es entspricht zwar der Wahrheit, dass CDU/CSU und FDP gerade im Bundesrat ein verbraucherfreundliches Gesetz blockieren, das Lebensmittelskandale wie die Nitrofen-Affäre unwahrscheinlicher machen würde. Die Union verhindert damit einen Teil der Reform, dessen Fehlen sie der grünen Ministerin vorwirft. Aber diese Absurdität gehört fast schon in den Bereich der politischen Spitzfindigkeit und ist in der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln. Die Opposition: „Grüne tun nichts gegen Gift im Öko-Essen“. Diese Nachricht trägt weiter als Künasts noch so berechtigte Verteidigung.

Künast holen jetzt die Folgen der Agrarpolitik der letzten 50 Jahre ein

Trotzdem scheinen weder die rot-grüne Regierung noch die Opposition die Lage so einzuschätzen, dass es für Künast eng werden könnte. Beide Seiten hängen den Konflikt nur mittelhoch und bekämpfen sich mit begrenztem Engagement. Es gibt Wichtigeres – etwa die Vorgänge innerhalb der FDP. So zeigte Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern kurz Präsenz im Bundestag, als er während der Rede seiner Ministerin Platz auf der Regierungsbank nahm. Kaum hatte diese jedoch das Redepult verlassen, verschwand der Kanzler.

Seine Rückendeckung war auch nicht nötig, denn die Opposition schickte für ihre Antwort nur die zweite Garde. Während CDU-Chefin Angela Merkel mit Kollegen scherzte, Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz und Kanzlerkandidat Edmund Stoiber fehlten, lieferte CDU-Fraktionsvize Lippold das übliche Wortgeklingel: Künast sei untragbar, Schimpf und Schande über die Regierung und so weiter. Ulrich Heinrich, agrarpolitischem Sprecher der FDP-Fraktion, gelang es, diese Vorstellung noch zu unterbieten, indem er mit Blick auf Künasts Verbraucherinformationsgesetz kalauerte: „Die beste Information wäre, Sie würden zurücktreten.“

Verglichen mit manchem anderen hält sich der politische Schaden dieser Affäre in Grenzen. Die Agrarwende geht weiter, die Ökolandwirtschaft wird weiter ausgebaut, Bionahrungsmittel werden zunehmend in industriellen Strukturen hergestellt. Ein Beleg dafür ist, dass die Karstadt AG vor wenigen Tagen – auf dem Höhepunkt der Nitrofen-Krise – ankündigte, ihr Öko-Angebot auszuweiten. Die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast ist entzaubert, aber nicht abgehalftert.

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