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Gefangen im Raster

Seit März weiß die Staatsanwaltschaft, dass Abdelwahab Mohamed kein Terrorist ist. Trotzdem sind die Ermittlungen nicht offiziell eingestellt

von ELKE SPANNER

Mohammed Atta kannte er nicht. Vielleicht vom Sehen, vielleicht aber auch nicht. Sie studierten an der gleichen Universität, da läuft man sich mal über den Weg, vielleicht. Zumindest ist der andere ihm nicht weiter aufgefallen. Selbst als Abdelwahab Mohamed im September erfuhr, dass der Kommilitone einer der Attentäter von New York war, hat ihn das nicht weiter berührt. Die Tat selber, die hat ihn schockiert. Egal, dass es ausgerechnet Leute aus Hamburg waren. Erst Ende Dezember änderte sich seine Sicht. Plötzlich sah er sie wieder vor Augen, die Fernsehbilder des brennenden World Trade Centers und das Foto von Atta, dem Hauptattentäter. Das war, als Abdelwahab Mohamed erfuhr, dass er selbst auf der Terror-Fahndungsliste steht.

Es ist der letzte Tag im Jahr 2001, als Mohamed den Anruf eines Freundes bekommt. Gerade erst ist er bei seiner Familie im Sudan angekommen, nur wenige Stunden zuvor, die Reise war lang. Start am 29. Dezember in Hamburg, Zwischenstopp in Dubai, am Abend des 30. Dezember dann endlich am Ziel. Zweimal schon habe ein Bekannter aus Hamburg versucht, ihn anzurufen, teilt ein Bruder ihm zur Begrüßung mit. Mohamed kümmert sich nicht darum. Er ist müde, froh über die Ankunft, und jener Freund wird sich schon wieder melden.

Kurz darauf ist er tatsächlich wieder am Telefon. Im Fernsehen hätten sie gesagt, dass die Wohnung von Mohamed von der Polizei durchsucht worden ist. Schwer bewaffnetes Einsatzkommando, Löschzug der Feuerwehr, Notarztteam. Evakuierung des Hauses, 12 Wohnungen während der Durchsuchung geräumt, 19 Menschen aus dem Gebäude geschickt. Abtransport zahlreicher Kisten mit beschlagnahmtem Material. Darunter: Fläschchen mit einer unbekannten Flüssigkeit. Mohamed stehe im Verdacht, einen Sprengstoffanschlag vorbereitet zu haben. 24 Stunden später ist der Bekannte dann noch einmal am Telefon. Haftbefehl, heißt es nun. Der Sudanese Abdelwahab Mohamed, 33 Jahre, mutmaßlicher Terrorist, al-Quaida-Kämpfer und Verbündeter der Attentäter von New York, sei auf der Flucht.

Mohamed sitzt bei seiner Familie in einem Vorort von Khartum und glaubt es nicht. Erst beruhigt er sich selbst, dass in Hamburg gerade eine Rasterfahndung laufe, dass viele Studenten von der Polizei beobachtet würden und es folglich nicht so ungewöhnlich sei, was ihm da geschieht. Dann aber blickt er in die Runde, er sieht seine Mutter und die Geschwister und weiß, man ist stolz auf ihn, den Jüngsten. Als einziger von zehn Kindern hat er im Ausland studiert. Er ist Diplom-Ingenieur, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Berliner Tor und belegt zusätzlich noch einen Aufbaustudiengang an der TU Harburg. Von Deutschland aus kümmert er sich um die Familie, besorgt Betriebsmittel für die Bäckerei eines Bruders und Maschinen für den kleinen Textilbetrieb, den seine Familie unterhält. Jetzt will ein Bruder mit ihm Silvester feiern, doch er winkt ab, ihm ist nicht nach Ausgehen zumute. Denn nun gibt es diese Ermittlungsakte, in der ein ganz anderes Bild von ihm gezeichnet wird. Nie darf die Mutter davon erfahren, sie würde sich Sorgen machen und könnte ihm doch nicht helfen. Mohamed ist klar, er muss zurück. Trotz des Haftbefehls. Oder gerade deshalb.

Am 2. Januar ruft er aus dem Sudan bei der Fachhochschule an. Lange hat er mit einem Bruder diesen Schritt beraten, dem er, zögerlich zunächst, die Geschichte erzählt hat. Der Druck nimmt zu, die sudanesischen Zeitungen berichten über den Fall, und Mohamed will nur noch seine Unschuld erklären.

Dekan Jürgen Dankert ist verdammt froh, von seinem Assistenten zu hören. Endlich muss er nicht länger glauben, was die Medien seit Tagen über ihn berichten. Er war immer so zufrieden mit ihm, dem Musterstudenten. Der freundlich ist und gepflegt, stets im gebügelten hellen Hemd. Und dann musste Dankert doch einen Moment an ihm zweifeln, als er nachts von der Polizei aus dem Bett geklingelt wurde, weil die das Büro von Mohamed durchsuchen wollte. Die Schlagzeilen der Tage danach, von dem „mysteriösen Sudanesen“ war da die Rede, von „wilden Partynächten“ in dessen Wohnung und nicht etwa davon, dass er 1995 als bester ausländischer Student der Fachhochschule ausgezeichnet worden war. Jetzt endlich kann Dankert der Polizei berichten, dass Mohamed nicht als Terrorist auf der Flucht, sondern bei seiner Familie ist, sein Urlaubsschein liegt ausgefüllt bei den Unterlagen des Chefs.

Dankert teilt der Polizei Anschrift und Telefonnummer des Mannes mit, nach dem per Haftbefehl gefahndet wird. Nicht einmal machen die Ermittler davon Gebrauch. Kein Kontrollanruf bei der Familie, kein Beamtenbesuch in Khartum. Als Mohamed zur deutschen Botschaft im Sudan geht, um auch dort seine Adresse zu hinterlassen, wird er wieder nach Hause geschickt, die zuständige Sachbearbeiterin sei gerade nicht da.

Dennoch hebt die Polizei den Haftbefehl wieder auf. Unbehelligt kann Mohamed den Rückflug am 17. Januar antreten. Tags darauf fährt er zu seiner Zweizimmerwohnung in Horn, das Siegel hat die Polizei inzwischen entfernt, und auf den ersten Blick ist Mohamed klar, dass er dort nicht mehr wohnen wird. Überall das schwarze Pulver, mit dem Fingerabdrücke gesichert werden, selbst auf der Unterwäsche und jedem einzelnen Glas im Küchenregal. Sitzfläche und Lehne des Schreibtischstuhles aufgeschlitzt, die Matratze im Bett ebenso. Die Wohnung ist – unbewohnbar? „Das ist zu mild ausgedrückt“, sagt Mohamed.

Erst jetzt beginnt die Zeit, in der er am deutschen Rechtsstaat zweifeln wird. Bisher war man stets korrekt zu ihm, Studienplatz, Aufenthaltsgenehmigung, vor einem Jahr dann der deutsche Pass. Mohamed bringt sogar Verständnis dafür auf, dass die Polizei in seine Wohnung eingedrungen ist. Es gab Hinweise auf Sprengstoff in seinem Zimmer, sie kamen von einem Nachrichtendienst aus den USA. Aber als die Ermittler den Haftbefehl aufgehoben hatten, wussten sie bereits, dass in den sichergestellten Fläschchen kein Sprengstoff war, sondern harmlose Aromastoffe. Und hätten die Behörden ihm dann nicht bei der Suche nach einer neuen Wohnung helfen können? Den Dringlichkeitsschein, den er beantragt, bekommt er nicht. Mohamed kommt bei Bekannten unter.

Es beginnt eine Odyssee. Nicht die Behörden sehen sich in der Bringschuld, den Schaden für Mohamed wieder auszugleichen, sondern er alleine muss sich darum bemühen, die Spuren des Polizeieinsatzes zu beseitigen. Er muss sich erkundigen, ob er überhaupt wieder in seine Wohnung darf. Er muss Behörden abtelefonieren, ehe er Autoschlüssel, Fahrzeugschein und Wagen beisammen hat. Er muss sich eine neue Unterkunft organisieren und seine Wohnung wieder in einen bewohnbaren Zustand bringen, das kostet Zeit und Geld.

Und zu den Vorwürfen befragt wird er nie. Heute lacht er darüber, wenn er sich erinnert, wie er mit Dankert in dessen Büro in der Fachhochschule am Tisch gesessen hat, Stunde um Stunde, während die Polizei offenbar nie Interesse an einem Gespräch mit dem Mann hatte, den sie per Haftbefehl suchen ließ.

Im Mai dann zieht er doch wieder in seine Wohnung zurück. Erst fährt er gelegentlich mit einem Freund dorthin, stundenweise zunächst. Dann fängt er an, aufzuräumen. Die Nachbarn, sagt er erleichtert, sind nach wie vor freundlich zu ihm. Nein, auch zu Beginn ist er nicht eingeschüchtert durchs Treppenhaus geschlichen, „ich wusste ja, an den Vorwürfen ist nichts dran“. Das hat er auch den Nachbarn erklärt, wenn er im Flur jemanden getroffen hat, und die waren froh, dass wieder alles normal ist im Haus.

Nur für Mohamed hat sich die Normalität nicht wieder eingestellt. Im März hat die Staatsanwaltschaft angekündigt, die Ermittlungen gegen ihn einzustellen. Bis heute hält er keinen offiziellen Bescheid in der Hand.

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