: Die Grünen – ein Kinderladen
Joschka Fischer in der Waldorfschule: Der Spitzenkandidat wirbt für die Grünen als Familienpartei – und warnt zugleich vor einem zu idyllischen Familienbild
BERLIN taz ■ Diesen Seitenhieb wird Joschka Fischer nicht übergehen. „Man kann als Frau gar nicht sorgsam genug bei der Auswahl des Ehemannes sein“, spöttelt Moderatorin Elisabeth von Thadden. Das links-alternative Publikum in der Waldorfschule findet das ausgesprochen witzig. Der Spitzenkandidat der Grünen weniger. „Das ist umgekehrt ganz genauso, liebe Frau“, sagt Fischer. Das Gekichere der Zuhörer schlägt in Raunen um.
Immerhin geht es an diesem Abend darum, einen grundsätzlichen Schwenk in der grünen Wahlprogrammatik unters Volk zu bringen. Die Grünen wollen Nachhaltigkeit nämlich neuerdings als Politik für Kinder und nicht mehr nur für Umweltschutz interpretiert sehen. Fünf Milliarden Mark wollen sie, falls sie wieder regieren sollten, in den Ausbau der Ganztagesbetreuung in Kinderkrippe und Schule stecken – viel mehr als die Sozialdemokraten. Und was macht der Frontmann der Grünen? Er bringt seine eigenen konfliktreichen Familien- und Eheerfahrungen zur Sprache. Fischer ist zum vierten Mal verheiratet. Spricht daraus besondere Expertise für eine neue familienfreundliche Politik? Ja und nein.
Denn Joschka Fischer ist Wahlkämpfer, und er ist es doch wieder nicht. Dafür ist er zu selbstironisch, zu reflexiv. Gerade hat er den Richtungswechsel der Ökopartei verkauft. „Wir brauchen einen demokratischen Aufstand der Eltern“, appelliert er, die Eltern dürften sich die Ungerechtigkeiten in der Kinderbetreuung nicht weiter gefallen lassen. Die grüne Fraktionsgeschäftsführerin im Bundestag Katrin Göring-Eckardt hat diese Parole zuvor bereits zweimal ins Publikum gerufen. Fischers Wiederholung markiert den „Aufstand der Eltern“ als einen zentralen Slogan der Grünen im Wahlkampf.
Doch Fischer und die Seinen haben kein Heimspiel in der Berlin-Kreuzberger Waldorfschule. Sie könnten, selbst wenn sie es wollten, keine glatte Wahlkampfshow abziehen. Die anwesenden Eltern spicken Fischers Rede mit Zwischenrufen. „Wann kommt die 24-Stunden-Vollbetreuung von Kindern durch den Staat“, polemisiert etwa jemand gegen die Ganztagsschule. Und beinahe alle grummeln, als Fischer eine scheinbar einfache Lösung präsentiert. „Die Kollegen mit Kind müssen halt den Takt angeben“, wenn es bei Besprechungen im Job zu Terminkollisionen komme.
Fischer wäre nicht Fischer, legte er kurz danach nicht sein Gesicht in tiefe Falten – und begänne den neuen Inhalt grüner Politik sogleich zu ironisieren. Erst kokettiert er mit seinen gescheiterten Ehen. Dann bittet er förmlich darum, die neuen Ikonen grüner Politik, „die Kinder“ und „die Schule“, zu hinterfragen. Er selbst habe Familie und Schule nie nur als etwas Ideales erlebt, sagt Fischer. Er habe sich aufgelehnt – gegen den rechthaberischen Vater, gegen die langweilige und autoritäre Schule.
CHRISTIAN FÜLLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen