Wohnmaschine

Die Versuche der progressiven Architekten der 1920er-Jahre, die Industrialisierung des Wohnungsbaus voranzutreiben, hatten keinen großen Erfolg. Obschon bereits seit dem 19. Jahrhundert Versuche mit Holz-, Eisen- oder später Betonmontagesystemen gemacht worden waren, sind, abgesehen von der Siedlung Splanemannstraße in Berlin-Friedrichsfelde, nur Prototypen realisiert worden.

In Frankreich baute Le Corbusier (1887–1965) seine erste siebzehngeschossige „Wohnmaschine“ unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in Marseille. Im Gegensatz zu den späteren „Unités d’Habitation“ war diese von den Bewohnern getragen. „Die Mieter haben nicht gezögert“, schrieb Le Corbusier, „sich zu einem Verein zusammenzuschließen, um eine echte vertikale Gemeinde zu bilden, deren Zweck allerdings nicht politisch ist, sondern in der Verteidigung ihrer Interessen und in der Entwicklung der menschlichen Werte innerhalb der Gemeinschaft steht.“

Abgesehen von den theoretischen Einflüssen der Neuzeit war der Wohnungsbau in beiden Teilen Deutschlands nach 1949 von den Kriegszerstörungen bestimmt. Die Architektenschaft spaltete sich in konservative und moderne Lager, was sich vor allem im Wiederaufbau der Städte bemerkbar machte. So wurde Münster (Westfalen) fast identisch mit der vorherigen Stadtstruktur errichtet, wohingegen die Planer von Hannover im verlorenen Stadtzentrum die Verkehrsachsen neu ordneten.

Mitte der 1950er-Jahre zeigten die beiden Systeme Flagge mit dem zum Wettlauf um die fortschrittlichere Position in Städtebau und Wohnungskomfort stilisierten Bau des Hansaviertels in Westberlin und der Stalinallee in Ostberlin. Punkthäuser im Grünen auf der einen Seite standen dem regional geprägten „Zuckerbäckerstil“ auf der anderen gegenüber.

Die Masse an Wohnungen wurde jedoch in den 1960er-Jahren in Großüberbauungen realisiert. Das Märkische Viertel in Berlin, Köln-Chorweiler, Hamburg-Steilshoop sind die bekanntesten Beispiele in der BRD, die „sozialistischen Wohnkomplexe“ Halle-Neustadt und Hoyerswerda die Äquivalente in der DDR. Bald wurden die Schwächen der Reißbrettarchitektur deutlich: die Anonymität in den großen Wohneinheiten, der Mangel an informellen Treffpunkten, die Genormtheit der öffentlichen Plätze und die Unbestimmtheit der wohnungsnahen Aufenthaltsbereiche.

„Alle Häuser sind schön. Hört auf zu bauen!“, forderten 1968 denn auch die Studenten auf einem Architekturtheoriekongress an der TU Berlin. Mit den Protesten gegen Stadtzerstörung und Spekulation, vor allem in Berlin und Frankfurt am Main, setzte ein Umdenken ein: Berücksichtigung bestehender Stadtgrundrisse statt Kahlschlagsanierung, Bildung überschaubarer Hauseinheiten statt gesichtslose Wohnsilos.

Zu Beginn der 1970er-Jahre wurden die ersten Projekte begonnen, in denen die alten Stadtstrukturen nicht als notwendiges Übel der Eigentumsverhältnisse und der vorhandenen technischen Infrastruktur betrachtet wurden, sondern aufgrund ihrer räumlichen Qualitäten Wertschätzung erfuhren. In der Folge zog es viele statt ins Eigenheim in die Wohnungen des Bürgertums, die durch ihre Großzügigkeit auch die Möglichkeit zu gemeinschaftlichen Lebensformen außerhalb der Familie boten. Die Aneignung der Altbauten begann, Qualitäten des Wohnens kamen jenseits des banalisierten Funktionalismus wieder in die Diskussion. MIKAS