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Ein grün-liberaler Kompromiss

taz-Serie Rot-grüne Bilanzen: Tierseuchen wurden Auslöser für eine neue Agrarpolitik jenseits des Lobbyismus für die Agrarindustrie. Doch die Widerstände sind groß

Mit der anfangs dialogbereiten Haltung des Bauernverbandes war es schon bald zu Ende

Mit der Juristin Renate Künast kam eine Frau ins Landwirtschaftsministerium, die keine Ahnung von Bauern und ihren Problemen hatte. Doch verschaffte sie uns eine Ahnung von Demokratie in der Landwirtschaft, die endlich zu einem Gegenstand der Politik wurde. Bürger konnten sich mit den Grundlagen ihrer Ernährung beschäftigen.

Der Landwirtschaftsminister war traditionell der Lobbyist von Bauernverband und Agrarindustrie. Der Verbraucherschutz kam dabei unter die Räder, das zeigte die Rinderseuche BSE. Zur Erinnerung: Bauernverband, Raiffeisenverband und der sozialdemokratische Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke widersetzten sich einfachsten Vorsichtsmaßnahmen, lehnten etwa ein Verfütterungsverbot für Tiermehl ab. Alle Beteiligten hielten Deutschland für BSE-frei. Am 20. November 2000 verkündete Funke: „Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass deutsches Rindfleisch sicher ist.“

Als am 24. November 2000 dann der erste BSE-Fall in Deutschland auftauchte, wurde die Koalition aus Agrarpolitik, Futtermittelindustrie und Bauernverband gründlich erschüttert. Die Talkshows boten ungewohnte Bilder: einen nachdenklich gewordenen Bauernpräsidenten Gerd Sonnleitner. „Weg von den Agrarfabriken“ und „verbraucherfreundliche Landwirtschaft“, mit diesen vom Kanzler ausgegebenen Losungen bekam eine neue Agrarpolitik Rückendeckung. Die bisher auf der Strecke gebliebenen Interessen der Verbraucher sollten berücksichtigt, der Einfluss des Bauernverbandes auf die Politik geschmälert werden. Den neuen Kurs konnte und wollte Funke nicht mittragen. Am 9. Januar 2001 trat er wegen seines mangelhaften Managements der BSE-Krise zurück – nur wenige Stunden nachdem Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Grüne) das Handtuch geworfen hatte.

Die Nachfolge Funkes trat die Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Renate Künast, an. Sie hatte es zunächst mit den Altlasten der Agrarpolitik zu tun. Beim Krisenmanagement des zusammengebrochenen Rindermarktes griff Künast zu den alten Mitteln der Marktstabilisierung, der Vernichtung von 100.000 Rindern. Auch bei der drohenden Maul- und Klauenseuche wurde keine Alternative zum Töten der Tiere gefunden. Tierseuchen als Auslöser einer neuen Agrarpolitik setzten die neuen Schwerpunkte. Debattierbar wurden jetzt ein besserer Schutz und mehr Information für die Verbraucher. In der Tierhaltung gelang ein großer Erfolg: Die Hühner werden ab 2007 aus den herkömmlichen Käfigen befreit. Die Förderung des Ökolandbaus und die Vermarktung von Ökoprodukten wird massiv gefördert.

Kaum Beachtetes geschah im Kernbereich der Agrarförderung, der so genannten Gemeinschaftsaufgabe. Bisher wurde mit viel Geld einseitig der Bau großer Tierställe gefördert. Das hat sich geändert. Ab 2002 gibt es für Investitionen unterhalb 50.000 Mark einen Zuschuss von bis zu 35 Prozent. Damit können Alternativen zum Wachstum gefördert werden. Investitionen beim Ausbau der Direktvermarktung und neuer Erwerbszweige sind möglich, tierquälerische Haltungsformen werden bei der Förderung künftig ausgeschlossen. Bauern müssen für ihre Tiere Flächen nachweisen.

In der bisherigen Monokultur der Beiräte, Gutachterausschüsse und Forschungsprojekte zeigen sich zaghafte Veränderungen. Nicht immer nur die alte „Grüne Front“ der Bauernverbände – auch andere Meinungen kommen zu Wort. Im Wettbewerb „Regionen aktiv“ wird versucht, die Landwirtschaft in vielfältige regionale Wirtschaftskreisläufe einzubinden. Bei der Saatguterzeugung stand die Gentechnik kurz vor ihrer breiten Anwendung. Künast konnte das gewachsene Interesse der Bürger an ihren Lebensmitteln nutzen und die stillschweigende Einführung verhindern.

Das sind erstaunliche Signale. Der Blick zurück zeigt aber auch, dass wesentliche Bastionen der alten Agrarpolitik unversehrt sind. Mit der anfangs dialogbereiten Haltung des Bauernverbandes war es schon im Juli 2001 auf dem Bauerntag zu Ende. Künast wurde ausgepfiffen und konnte ihre Rede nur mit Mühe beenden.

Den vom Bauernverband eingeleiteten Bruch besiegelte die Ministerin mit der Ankündigung, die deutschen Bauern müssten sich „Jahr für Jahr auf neue Auflagen und schärfere Kriterien“ einstellen. „Wer glaubt, er könne weitermachen wie bisher, wird mit Karacho gegen die Wand laufen“, sagte sie in einem Interview. Das klang eher wie eine Drohung denn als Versuch, die Bauern zu gewinnen. Damit hatten die landwirtschaftlichen Wochenblätter wieder ihr Lieblingsthema: Bauern als Opfer der „Paragrafenreiter“ der Grünen, des Natur- und Tierschutzes. Die Landwirte, anfangs durchaus interessiert an Künasts Politik, schlossen ihre Reihen. Der Versuch, einen Großteil der Bauern für eine neue Agrarpolitik zu gewinnen, scheiterte. Die Ministerin zeigte kaum Gespür für die in der Landwirtschaft verborgenen sozialen Probleme.

Seit dem vergangenen Herbst treten die alten Frontlinien auch im Ministerium wieder hervor. In Strategiepapieren wurden neoliberale Positionen vorgetragen, die schon der alten Agrarpolitik zugrunde lagen. Sie versprechen Einsparungen durch die Absenkung der Erzeugerpreise auf Weltmarktniveau und die Senkung der Prämien. Die teure „Sonderrolle der Landwirtschaft“ soll damit beendet werden. Künast hat diese Vorstellung von der „Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt“ weitgehend übernommen. Ein grün-liberaler Kompromiss wurde die Grundlage grüner Realpolitik. Damit macht die neue Agrarpolitik die alten Fehler. Obwohl kaum vorstellbar ist, dass nachhaltiges Wirtschaften und ein humaner Umgang mit dem Tier zu Weltmarktbedingungen möglich ist. Darüber nachzudenken wäre einfacher, wenn nicht im „Kompetenzteam“ Stoibers die alte Agrarpolitik wieder vor der Tür stünde.

Tierquälerische Haltungsformen werden bei der Förderung künftig ausgeschlossen

Mit dem CDU-Politiker Peter-Harry Carstensen als Agrarminister säße die Fleischindustrie gleich selbst im Ministerium. Carstensen ist im Aufsichtsrat der Nordfleisch AG und hat auch sonst die entsprechenden Pöstchen. Lobbyisten werden nicht mehr gebraucht. Wohin Landwirtschaftspolitik unter seiner Regie führen würde, macht er in einem Interview vom Mai 2002 deutlich. Mitten im Nitrofen-Skandal konnte er seine „klammheimliche Genugtuung nicht verhehlen, dass der Ökolandbau wieder auf den Teppich geholt wird“. Es ist heilsam, daran zu erinnert zu werden, dass die Verbindung von Stammtisch und Agrarindustrie jahrzehntelang als Agrarpolitik galt.

Vor diesem dunklen Hintergrund wird das neue Klima, das Künast geschaffen hat, überdeutlich. Debatten sind möglich, Skandale nicht mehr so leicht zu vertuschen. Agrarpolitik ist nicht mehr nur die Geheimdisziplin interessierter Spezialisten. Das ist vielleicht das Wichtigste in einem Moment, in dem die alten agrarpolitischen Patentrezepte versagt haben.

GÖTZ SCHMIDT

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