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„Ich bin kein Nostalgiker“

Der frühere Szene-Karikaturist Seyfried hat ein Wahlplakat für den Grünen Christian Ströbele gezeichnet. Ein Gespräch über Guru-Bilder, Selbstironie, die Kolonialzeit und ein verloren gegangenes Kreuzberger Lebensgefühl

Interview GEREON ASMUTHund SABINE AM ORDE

taz: Herr Seyfried, mögen Sie „Herr Lehmann“?

Gerhard Seyfried: Ja, hat mir gut gefallen. Das Kreuzberg von damals ist gut getroffen, ich kenn das ja.

Der Roman von Sven Regener beschreibt das SO-36-Gefühl der 80er-Jahre so anschaulich, da hätten glatt ein paar Seyfried-Comics auftauchen können.

(lacht) Ja, hätten. Sind aber nicht.

Haben Sie die vermisst?

Nein, natürlich nicht. Ich steck hier doch bis zum Hals in Seyfried-Comics, da werd ich die woanders doch nicht vermissen.

Herr Lehmann, die Hauptfigur des Roman, wohnt in der Eisenbahnstraße, ganz hier in der Nähe …

… er geht in die Markthalle, fürchtet sich vor Kampfhunden, was ich nicht mehr tue.

Aber in die Markthalle gehen Sie schon, zum Bier trinken und Schweinebraten essen?

Nein, das mache ich nicht mehr, das ist mir zu teuer geworden.

Wo gehen Sie hin, wenn Sie ausgehen?

Nirgends. Ich gehe nie weg.

Warum nicht?

Das kann ich mir nicht leisten. Und ich habe zu viel zu tun, ich muss arbeiten. In drei Hauptberufen und acht Nebenberufen.

Die da wären?

Der Hauptberuf ist jetzt Autor, der zweite ist Karikaturist und Zeichner. Der Comiczeichner geht allmählich flöten, weil man davon nicht leben kann. Dann arbeite ich als Übersetzer, als Modellbauer, gelegentlich als Journalist und als Fotograf.

Und als Werbegrafiker, wie ganz früher?

Das mache ich nicht mehr, damit habe ich ja aufgehört, weil mir das zuwider war.

Außer jetzt für Christian Ströbele.

Das ist keine Werbegrafik in dem Sinne. Ich überrede ja nicht die Leute dazu, irgendein sinnloses Produkt zu kaufen.

Ein sinnvolles Produkt zu wählen?

Ströbele ist kein Produkt. Den halte ich für einen korrekten Menschen. Aufrichtig, nicht korrupt. Was eine große Seltenheit ist heutzutage.

Von Ströbele und den Grünen müssen Sie aber auch enttäuscht sein. Sie haben mal gesagt, wenn Sie Deutschland einen Tag regieren könnten, würden Sie Hanf als Nutzpflanze legalisieren. An der Kriminalisierung von Kiffern hat sich unter Rot-Grün nichts geändert.

Ich habe auch nicht viel erwartet, aber die Grünen kuschen schon ein bisschen arg. Beim Hanf, da geht es ja um einen nachwachsenden Rohstoff, nicht nur ums Kiffen. Aber das wird im europäischen Maßstab entschieden und ist auf dem richtigen Weg.

Würden Sie auch für andere Politiker zeichnen?

Wohl eher nicht.

„Herr Lehmann“-Lesen war wie eine Zeitreise in das Kreuzberg der 80iger, Ihr Ströbele-Plakat ist es auch. Haben Sie die Idee gemeinsam entwickelt?

Nein, ich bin angesprochen worden, das ist ein ganz normaler Auftrag. Ich kannte Ströbele vorher gar nicht persönlich. Aber er war mir sympathisch.

Aber es ist nicht Ihr erstes Wahlplakat für Ströbele, 1994 haben Sie schon eins gemalt.

Das war für die AL …

die Alternative Liste, wie die Berliner Bündnisgrünen früher hießen.

… da ist er nur ganz klein drauf. Ströbele habe ich damals nicht persönlich kennen gelernt.

Wie ist die Idee für das neue Plakat entstanden?

Das ist immer schwierig zu beschreiben. Das kommt so. Ich probiere so rum. Ich mache mir keinen Plan und denke. Ich fang einfach an. Ich schmiere da rum und dann entsteht was. Das schwierigste war, sein Gesicht gut zu treffen.

Gab es inhaltliche Vorgaben?

Nur sehr wenige. Es sollte ein gezeichnetes Porträt sein und es sollte alles rein, was seine Umgebung mit ihm assoziiert: der Spendensumpf, Genua, der Reichstag, die taz-Schlagzeile gegen den Krieg. Ein paar von den Sprüchen, die da drauf sind, waren Vorschläge, zum Beispiel der Fischer-Spruch …

„Ströbele wählen heißt Fischer quälen“, das ist gar nicht von Ihnen?

Nein, der ist nicht von mir. Ich will’s mir doch mit Herrn Fischer nicht verscherzen. Vorgabe war auch, dass Friedrichshain dazugekommen ist und die Leute dort ihn ein bisschen kennen lernen sollen – von der ungewöhnlichen Art her.

Friedrichshain selbst taucht aber nur oben im Bild als Plattenbauten auf, Prenzlauer Berg als Hanns-Eisler-Straße.

Das war auch ein Vorschlag.

Ansonsten ist es ein Kreuzberg-Plakat.

Das sehe ich überhaupt nicht so. Der Reichstag ist drauf und der Potsdamer Platz, von dem der Tagesspiegel fälschlicherweise annimmt, die Häuser wären auf dem Plakat falsch herum. In Wirklichkeit sind sie natürlich auf dem Potsdamer Platz falsch herum gebaut.

Versuchen wir uns in Bildanalyse: Links drängen sich Reichstag, Rotes Rathaus, Potsdamer Platz und der Spendensumpf, rechts die wie bekifft jubelnde Pro-Ströbele-Demonstranten. Ein klassisches Schwarz-Weiß-Schema in Bunt?

Wie gesagt, ich hab mir noch nie solche Gedanken gemacht. Ich denke nicht, hier fehlt noch was Politisches, da noch was Lächerliches. Ich arbeite rein nach Gefühl und Auge.

Und was war das für ein Gefühl, als Sie Ströbele in die Mitte gemalt haben in einem stilisierten Rahmen, so dass er wie ein leicht entrückter Guru wirkt?

Wie ein Guru? Das finde ich nicht. Ist wahrscheinlich Geschmackssache.

Warum haben Sie ihn so gezeichnet, wie er zu sehen ist?

Das lag vor allen Dingen an den Fotos, die ich verwendet habe.

Manche Leute fühlen sich an sozialistische Politikerdarstellungen erinnert, aus Nordkorea oder China etwa.

Selber schuld. Vielleicht geht dieser Sonnenaufgang ein bisschen in die Richtung.

Über Ihr Plakat sind die Reaktionen dreigeteilt: Der erste Teil findet es originell und witzig, der zweite als Rückfall in das Kreuzberg vor Mauerfall und der dritte schüttelt nur ratlos den Kopf. Sind Sie eigentlich ein selbstironischer Mensch?

Das Bild ist auf jeden Fall ironisch, das sieht man doch an ganz vielen Details. Die Baumknutscher zum Beispiel, das ist doch ein Spottname für die Ökos, oder links unten im Bild …

der freundliche Polizist.

Genau. Das ist einfach unrealistisch, und wer das weiß, kann es doch nicht ernst nehmen. Aber an diesen geteilten Reaktionen kann man sehen, dass das Plakat ein Volltreffer ist. Die Leute beschäftigen sich damit, und zwar sehr polarisiert. Es wird stark vandalisiert, das ist auch in Ordnung.

Das Plakat hat viel Resonanz in den Medien, meist werden Sie als der klassische Achtzigerjahre-Kreuzberger dargestellt.

Völlig falsch.

Ärgern Sie sich darüber?

Nein, nicht richtig. Das ist mir eher egal. Ich find’s blöd, weil es ohne Nachfragen passiert. Ich sehe mich als ganz anderer Mensch.

Als was?

Als der, der ich im Moment bin. Ein Autor, der seinen Roman abschließt.

Sie arbeiten an einem Roman?

An dem Umschlag. Der Roman ist fertig. 550 Seiten. Erscheint im Frühjahr zur Leipziger Buchmesse. Nur durch einen Vorschuss vom Eichborn-Verlag konnte ich da dran arbeiten.

Worum geht es?

Es ist die Geschichte von zwei Deutschen, einem Kartografen und einer Fotografin, die im alten Deutsch-Südwest-Afrika, dem heutigen Namibia, in den Herero-Aufstand geraten. Spielt im Jahr 1904.

550 Seiten ganz ohne Zeichnungen?

Nein, er ist illustriert. Die Zeichnungen, die der Kartograf macht, und Fotos von dieser Fotografin. Ich bin auf einen Fundus von Originalfotografien gestoßen, direkt aus dem Aufstand.

Wie wird man vom Kreuzberger Cartoonisten, der strunzdumme Polizisten und fröhliche Kiffer zeichnet, zum Romancier über die deutsche Kolonialzeit?

Durch Hinfahren. Ich bin eingeladen worden, um da Vorträge zu halten für Deutschlehrer über die Verwendung von Comics im Unterricht. Und da hat sich das Hals über Kopf entzündet durch einige Schlüsselerlebnisse. Das Land hat mir auf Anhieb gefallen, so ging es den alten Deutschen ja auch. Einmal da, hat’s einen am Wickel.

Was für Schlüsselerlebnisse waren das?

Wir sind ganz am Anfang mit einem Leihwagen ins Buschland gefahren in so ein Nest aus drei, vier Wellblechhütten. An einer Tankstelle kam ein großer schwarzer Herero im Overall raus und ich sage: „Fill it up, please.“ Und der sagt: „Mit mir kannste ruhig Deutsch reden.“

Und deshalb ein Roman?

Die Kolonialgeschichte hat mich schon immer interessiert. Ich habe dann einfach angefangen und recherchiert. Ich beschreibe den Aufstand sehr genau. Meine Romanhandlung habe ich da mit reinverwickelt, was kompliziert war. Mich interessiert, was mit einem ahnungslosen Deutschen passiert, der dort nichts anderes will, als Landkarten zu zeichnen, und der glaubt, dass das Land uns gehört. Und dann plötzlich kommt er in diesen „Negeraufstand“. Natürlich hatte ich die Neigung, ihn desertieren zu lassen, damit er den Schwarzen hilft. Aber so etwas hat es damals nicht gegeben. Also hab ich die Finger davon gelassen. Ziemlich wichtig ist auch: Der Roman ist nach der Rechtschreibreform von 1903 geschrieben.

Wie schreibt man danach?

Eigentlich so wie vor unserer jetzigen. Die Reform damals hat diese Th’s beseitigt und Schluss gemacht mit dem Französischen. Im deutschen Militär gab es damals noch den Premier Lieutenant, der wurde dann zum Oberleutnant.

Begreifen Sie sich gar nicht mehr als Karikaturist?

Nicht mehr sehr. Aber mit „Starship Eden“, dem letzten richtigen Comic, der 99 erschienen ist, habe ich mit Ziska zusammen etwa fünf bis sechs Mark Stundenlohn verdient, für ein Jahr harte Arbeit. Ich bedauere das sehr. Ich zeichne seit 35 Jahren.

Hat eigentlich alles mit Polizeicartoons angefangen?

Irgendwie schon. Beim Blatt damals in München sind wir ohne Ende verhaftet worden. Die Zeitungen beschlagnahmt, die Wohnung durchsucht. Die haben uns richtig drangsaliert, weil wir anarchistisch waren. Da habe ich angefangen, mich mit dem Zeichenstift zu wehren, weil ich Pflastersteine nicht weit genug werfen kann. Seitdem habe ich diesen Polizeizeichnerruf.

Inzwischen zeichnen Sie aber auch für die Polizei.

Ja, ich habe mal für ein Infoblatt des Kreuzberger Polizeiabschnitts gezeichnet. Ich habe richtige Fans bei denen.

Obwohl Sie Polizisten immer als saublöd darstellen?

Ich habe sie lächerlich gemacht, war aber nie direkt verletzend. Wie es bei mir weitergeht, hängt sehr davon ab, wie der Roman aufgenommen wird. Ich würde nichts lieber tun, als weitere Bücher schreiben. Für mindestens drei habe ich die Ideen im Kopf.

Würde eines davon in Kreuzberg spielen? In den 80ern?

Ganz sicher nicht. Ich bin kein Nostalgiker. Vom alten Kreuzberg ist ja nichts mehr zu spüren.

Was hat das für Sie ausgemacht?

Es war halt mein Heimatbezirk, da habe ich mich relativ wohl gefühlt, obwohl ich in den Achtzigerjahren vielleicht mehr in den USA war als in Berlin. Seit dem Mauerfall hat sich hier vieles verändert. Seitdem ist Kreuzberg zugeschissen worden mit Autos und es ist nicht eine Ampel dazu gekommen. Und der Dreck nervt. Außerdem ist es sehr Monokulti hier, der ganze Kiez ist rein türkisch. Ich fühle mich hier nicht mehr zu Hause.

Denken Sie deshalb an Wegzug?

Nein, was mich interessiert, ist die Wohnung. Ich bin ja, wie gesagt, einer, der fast nie rausgeht.

Es heißt, Sie wollen in die Schweiz ziehen. Warum gerade dahin?

Hauptsächlich aus globalstrategischen Gründen. Die Lage ist perfekt in Europa. Schnell in Italien, schnell in Deutschland, schnell in Frankreich. Gilbert Shelton …

der Zeichner der Freakbrothers, der Sie stark beeinflusst hat …

… Gilbert Shelton wohnt in Paris, das ist von hier eine Weltreise, von da sind’s gerade mal vier, fünf Stunden. Und die Liberalisierung von Hanf dort, die ist mir auch relativ sympathisch.

Sie wollen also Berlin den Rücken kehren? Dabei kommt bald wahrscheinlich ein weiterer Münchener nach Berlin.

Der Stoiber? Der allein wäre ein Grund, ins Ausland zu gehen. Aber ich habe sowieso ein bisschen die Schnauze voll von Berlin. Eigentlich wollte ich ja nur für ein halbes Jahr hierher ziehen und jetzt bin ich 26 Jahre hier. Das ist einfach lang.

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