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Anzeichen für den Klimawandel

von MATTHIAS URBACH

Am Montag registrierte der Wetterdienst im Erzgebirge einen neuen deutschen 24-Stunden-Regenrekord: Hätte jemand dort eine Badewanne ins Freie gestellt, so wäre sie mit 31,2 Zentimeter Wasserhöhe jetzt angenehm voll. Nun muss das viele Wasser irgendwohin und überflutet die Altstädte an Mulde und Elbe. TV-Sender und Zeitungen wissen bereits vom „Jahrhunderthochwasser“ zu berichten. Eine gewagte These im zweiten Jahr des neuen Jahrhunderts – des Jahrhunderts, in dem sich das Klima wandeln wird. Doch immerhin machen sich nun auch die Deutschen mit trockenen Kellern Gedanken über den Treibhauseffekt.

In der Wissenschaft ist die Theorie des menschlichen Einflusses auf das Klima, des „anthropogenen Treibhauseffekts“, längst allgemein akzeptiert, spätestens seit vor 18 Monaten das Klimagremium der Vereinten Nationen, das IPCC, offiziell erklärte, der Mensch sei mit großer Sicherheit mitverantwortlich für die Erwärmung – vor allem für den Temperaturanstieg der letzten 50 Jahre. Inzwischen beschäftigen sich zahlreiche Forscher bereits mit den Folgen: Epidemiologen, Botaniker, Ökologen und Zoologen durchforsten ihre Datenbanken, korrelieren Tierzählungen und Krankheitsverläufe mit den Klimadaten des vergangenen Jahrhunderts. Denn die Erde hat sich bereits erwärmt, global um gut 0,6 Grad im letzten Jahrhundert. Die neuen Ergebnisse geben Anlass zur Sorge.

In seiner im April im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlichten Literaturstudie beschreibt Geobotaniker Gian-Reto Walther von der Uni Hannover bereits ein deutliches Muster des Wandels: „Pflanzen blühen im Frühjahr früher und behalten ihr Laub im Herbst länger“, berichtet Walther. „Laichzeiten der Frösche verschieben sich, Zugvögel kommen früher aus ihren Wintergebieten oder fliegen gar nicht mehr weg.“ So öffnen Forsythien ihre Blüten inzwischen 16 Tage früher als vor 50 Jahren, Eichen bleiben 12 Tage länger grün. Seit sich der Planet kontinuierlich erwärmt, erscheinen Zugvögel mit jedem Jahrzehnt bis zu vier Tage früher. Schmetterlinge flattern 200 Kilometer weiter nördlich herum als noch in den Siebzigern, und vor der britischen Küste tummeln sich seitdem 18 neue afrikanische Fischarten.

Eine kränkere Welt

Weil nicht alle Tiere und Pflanzen gleich reagieren, kommen die Abläufe in den Ökosystemen durcheinander. So laichen Frösche wie immer, ihre Feinde, die Wassermolche, aber ziehen früher in die Teiche und fressen vermehrt Kaulquappen. Meisen treffen nicht mehr in ihren Nistquartieren ein, wenn die Menge ihrer Nahrung, der Nachtfalter, am größten ist. Raupen schlüpfen, bevor die Bäume ihre Blätter austreiben. Und nicht alle Arten können wandern. Während Moose bislang karge Flächen in der Antarktis erobern, starben bereits 16 Prozent aller Korallen im warmen Wasser. Auch die Zersiedelung der Landschaft sperrt viele Arten in ihren Revieren förmlich ein. Und wo sie ausweichen können, verscheuchen sie andere: So verdrängt zum Beispiel der kanadische Rotfuchs seinen Vetter, den arktischen Fuchs, mehr und mehr in den Norden.

In einer ähnlichen Literaturstudie sammelte Drew Harvell von der Cornell University in Ithaca (USA) zahlreiche Beispiele, wie Keime und Parasiten von der Erwärmung profitieren. Mücken auf Hawaii etwa erobern höhere Lagen und infizieren die seltenen Zuckervögel mit Malaria. In seinem im Juni in Science veröffentlichten Artikel kommt Harvell zu dem Schluss, dass vor allem von Insekten übertragene Krankheiten zunehmen werden. Auch würden sich Parasiten im wärmeren Wasser besser vermehren und an Orte gelangen, wo bislang nicht immune Arten lebten. In milderen Wintern würden mehr Keime und deren Überträger überleben, die auch den Menschen gefährden. „Es wird nicht nur eine wärmere, sondern auch eine kränkere Welt werden“, warnt der Evolutionsbiologe.

Die genauen Konsequenzen für Flora und Fauna sind bislang schwer einzuschätzen. „Das sind wahnsinnig komplexe Systeme mit vielen kleinen Stellschrauben“, sagt die Bioklimatologin Annette Menzel von der TU München. „Deshalb wagt sich kaum einer vor.“ Die Forscher sind sich nicht mal sicher, ob zum Beispiel eine bessere Vernetzung der Ökosysteme in stark zersiedelten Landschaften wirklich weiterhelfen. A. Townsend Peterson von der Universtität von Kansas studierte die Änderungen der mexikanischen Fauna. Sein Fazit: Die Wanderungen reißen perfekt abgestimmte Gemeinschaften auseinander. Der Klimawandel „bringt neue Wirte mit neuen Parasiten und neue Raubtiere mit neuer Beute zusammen“, erklärt Peterson. Am Ende sei die Erwärmung für viele Arten das kleinste Problem. Wahrscheinlich ist aber: Vielen schon jetzt durch Raubbau und Zersiedelung gefährdeten Arten wird der Klimawandel den Rest geben. Das, so der Geobotaniker Walther, werde „durch viele Fallstudien belegt“.

Noch sind solche Studien spekulativ. Die Zahl der Unbekannten in den ökologischen Studien übersteigt bei weitem die bei den Klimasimulationen – zugleich ist die Datenlage spärlicher. Doch Spekulation, Unsicherheit und Streit gehören nun mal zum wissenschaftlichen Prozess. So konnte beispielsweise bislang kein Einwand der Skeptiker die Theorie vom Treibhauseffekt erschüttern. Doch viele ihrer Einwände finden sich inzwischen als Parameter in den großen Klimamodellen wieder.

Lange etwa wurde gestritten, ob die Eisschicht der Antarktis nun wächst oder schrumpft, und das Ergebnis jeweils als Beweis für oder gegen den Treibhauseffekt ausgelegt. Der Streit endete fruchtbar: Im Juni konnte Nasa-Geologe Jay Zwally die Auswertung von Satellitenfotos aus 20 Jahren vorlegen. Sein Ergebnis: An der antarktischen Halbinsel, die sich bis zur Südspitze Südamerikas erstreckt und wo zuletzt gewaltige Eisschollen abschmolzen, nahm das Seeeis tatsächlich durch Erwärmung um ein Fünftel ab. In anderen Bereichen der Antarktis dagegen nimmt das Eis durch Schneefall massiv zu; netto wuchsen die antarktischen Eismassen sogar um eine Fläche mehr als halb so groß wie Deutschland. Nur widerlegt das den Treibhauseffekt nicht. Im Gegenteil: Die höheren Temperaturen lassen mehr Wasser verdunsten, das als Schnee auch über der Antarktis herunterkommt und das Eis wachsen lässt.

Die Öffentlichkeit hinkt der Wissenschaftsgemeinde etwas hinterher. Jahrelang gaben die Medien Mahnern und Skeptikern gleich viel Raum, obwohl hinter Ersteren tausende Forscher stehen, hinter letzteren nur eine Hand voll. Doch mit jedem neuen „Rekordsommer“ sickerte der Treibhauseffekt tiefer ins kollektive Bewusstsein ein. Inzwischen wird in jedem Unwetter ein Klimamenetekel gesehen. So fordern jetzt plötzlich gar konservative Kommentatoren lautstark die Fortsetzung ausgerechnet der Ökosteuer gegen die Fluten.

Eine heißere Welt

Die Ironie dabei: Es ist gar nicht sicher, ob die starken Regenfälle wirklich mit dem Treibhauseffekt zusammenhängen. Vorsichtig formulieren es deutsche Klimaforscher wie Mojib Latif oder Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe, dass es sich wohl um eines der vielen Anzeichen für den Wandel handele: In den letzten Jahren häuften sich solche extremen Wetterereignisse, und genau die sagen die meisten Klimamodelle als Folge des Treibhauseffekts voraus. Das britische Wetteramt, das Met Office, hält gar den Treibhauseffekt für unschuldig an den Regenfluten. Eigentlich sagten die Klimamodelle „trockenere Sommer“ und „extremen Regen eher im Winter“ voraus.

Das der Treibhauseffekt bereits wirkt, daran allerdings zweifeln weder deutsche noch britische Meteorologen. Erst im Juli veröffentlichte das Met Office eine Studie, wonach der menschliche Fingerabdruck in der Erwärmung der vergangenen fünfzig Jahre klar erkennbar sei. Mehr noch: Ohne die abkühlend wirkende Verschmutzung der Atmosphäre mit Schwebeteilchen und einige natürlich Abkühlungsprozesse in dieser Zeit wäre die Erwärmung bereits um die Hälfte stärker ausgefallen. Und es wird heißer. Das erste Halbjahr 2002 war schon wieder das heißeste der nördlichen Hemisphäre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

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