Schill nimmt sich rechte Freiheit

Interview mit dem rechtsextremen Magazin „Nation&Europa“ angeblich Panne. Ganzseitige Anzeige in der „Jungen Freiheit“. Müller-Sönksen (FDP) sieht Vertrauensbasis zerstört. Klimke (CDU): „Jeder blamiert sich wie er kann.“

von ANDREAS SPEIT und GERNOT KNÖDLER

Innensenator Ronald Schill kann sich jetzt doch erklären, wie ein Interview mit ihm in die Zeitschrift Nation & Europa (N&E) gelangen konnte: Einer seiner Referenten, behauptete Schill am Wochenende, habe vor einiger Zeit einem freien Journalisten per E-Mail das Interview gegeben – ohne zu ahnen, dass es in dem bedeutendsten rechtsextremen Strategie- und Theorie-Organ Deutschlands erscheinen würde. Parallel dazu hat die Schill-Partei unterdessen in einer anderen rechten Postille, der Jungen Freiheit (JF), eine ganzseitige Wahlwerbung veröffentlicht. Vertreter der Regierungskoalition kommentierten dies zurückhaltend, während ihr Ärger über Schills Auftritt vor dem Bundestag noch schwelt.

Schill zufolge hat der N&E-Mitarbeiter Eric Weber bei der Anfrage zu einem virtuellen Gespräch angegeben, für „ostdeutsche Anzeigenblätter“ zu schreiben. Weber bestätigt das. Das Foto von ihm und Schill, das zu dem Interview abgedruckt worden war, sei „bei einem früheren Gespräch“ in Hamburg entstanden. Das Interview, das schriftlich geführt worden sein soll, war vier Seiten lang.

Offensiv wirbt derweil die Schill-Partei in der Jungen Freiheit (JF), dem medialen Flaggschiff der Neuen Rechten. Der taz bestätigte Florian Gottschalk, Pressesprecher von Schills Wahlkampfteam: „Ja, die Anzeige haben wir geschaltet.“ Die Berliner Bundestagskandidaten hätten die ganzeitige Wahlwerbung „Schluss mit dem Unsinn - Mit Sicherheit Schill!“ geplant. Darin wird auch um Mitglieder geworben. Die JF unterstützt selbst Schill als neue Hoffnung der Rechten. Regelmäßig berichtet die Wochenzeitung wohlwollend über Veranstaltungen, veröffentlicht Kontaktadressen. Immer wieder legen Schill-Funktionäre ihre Positionen in dem Blatt dar.

Nach Einschätzung des Hamburger Verfassungsschutzes veröffentlicht die JF „auch Beiträge von Rechtsextremisten“. Die nordrhein-westfälischen Amtskollegen werden deutlicher: Es gebe Anhaltspunkte, „dass von der JF verfassungfeindliche Bestrebungen ausgehen“. Viele Beiträge würden die Opfer des Holocaust herabwürdigen und „pauschal Flüchtlinge für Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Umweltverschmutzung verantwortlich machen“. Die Beiträge seien gegen das „Demokratieprinzip gerichtet“.

Für den CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Jürgen Klimke passen Interview und Anzeige „offensichtlich in eine Serie“. Solche Provokationen Schillsseien oft mit Naivität gepaart, „um nicht zu sagen Dummheit“. Allerdings seien die Vorwürfe zu unsicher, um sie wirklich bewerten zu können. FDP-Fraktionschef Burkhardt Müller-Sönksen sieht das ähnlich, erwartet von Schill aber eine Klarstellung: „Ich denke schon, dass er den Anschein, der jetzt erweckt ist, nicht nur nicht in Kauf nehmen, sondern dass er sich distanzieren sollte.“

Durch Schills skandalösen Auftritt vor dem Bundestag sieht Müller-Sönksen die Vertrauensbasis für die Arbeit in der Koalition gestört. „Ich kann jetzt nicht mehr davon ausgehen, dass Herr Schill solche Dinge mit mir abspricht“, ärgert sich Müller-Sönksen. Klimke kommentierte Schills Auftritt mit den Worten: „Jeder blamiert sich wie er kann.“