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Unter den Augen der Tiger

Heute beginnen nach 19-jährigem Bürgerkrieg Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Sri Lankas und den „Tamil Tigers“. In der Hafenstadt Trincomalee bestimmen die Rebellen schon jetzt mit

aus Trincomalee BERNARD IMHASLY

Nicht mehr Militärkonvois wie so lange, sondern Kleinbusse machen den größten Teil des Verkehrs auf der Straße nach Trincomalee, einer verschlafenene Kleinstadt im Nordosten Sri Lankas, aus. Sie sind voll bepackt mit Taschen und aufgeblähten Einkaufstüten. Deren Aufschriften – Marks & Spencer, Kaufhof, fnac, Migros – verraten die Herkunft der Passagiere: tamilische Flüchtlinge aus Westeuropa, die den Waffenstillstand zwischen der Regierung und der separatistischen Rebellenorganisation LTTE, den „Tamil Tigers“ nutzen, um nach Jahren des Exils ihre Dörfer zu besuchen und mit den Zurückgebliebenen etwas vom Wohlstand ihres neuen Lebens zu teilen.

Die Besucher müssen keine Armeekontrollen über sich ergehen lassen, und auch die LTTE-Posten, wo die Tiger ihren Zoll erheben, tauchen erst nördlich von Trincomalee auf. In der Stadt sieht man keine Militärpatrouillen mehr, und neben den Kleinbussen aus Colombo sind meist Land Cruisers unterwegs von Unicef und GTZ, vom Internationalen Roten Kreuz und der „Sri Lanka Monitoring Mission“, den Skandinaviern, die den Waffenstillstand überwachen. Er soll der Ausgangspunkt für einen dauerhaften Frieden werden. Die Verhandlungen zwischen Vertretern der Regierung und der LTTE beginnen heute in Thailand. Es wird vorerst nur um Verfahrensfragen und einen Zeitplan gehen. Die politischen Vorstellungen der beiden Parteien – weitgehende Autonomie oder vollkommene Unabhängigkeit – sind nach 19-jährigem Bürgerkrieg mit über 60.000 Toten nach wie vor weit voneinander entfernt.

Trincomalee ist eine cleared area, und gemäß Waffenstillstandsabkommen haben die Sicherheitskräfte ihre Posten in öffentlichen Gebäuden geräumt. Das heißt allerdings nicht, dass sich auch die LTTE zurückgezogen hat. In Trinco unterhält sie drei Büros im besten Viertel, und vor jedem flattert die rot-gelbe Fahne mit dem fauchenden Tiger.

Die Tamil Tigers sind die beherrschende Präsenz in der Stadt. Trincomalee, so meint der tamilische Parlamentarier D. Sithadthan, „ist für die Tiger die künftige Hauptstadt von Tamil Eelam. Jaffna mag das Zentrum tamilischer Kultur sein, doch die Tamilen denken meeresbezogen.“ Und Trincomalee hat eine Besonderheit: Einen natürlichen Tiefseehafen, der einer der größten und besten der Welt ist. Dieses enorme ökonomische Potenzial wissen auch die Tiger zu schätzen.

Jeder wichtige Entscheid in der Nordostregion wird heute mit Tilak, dem politischen Gebietssekretär der LTTE, abgesprochen. Auch die Pläne des Necord-Projekts, einem unter anderem von Deutschland finanzierten Wiederaufbauprogramm, wurden der LTTE unterbreitet. „Ohne ihr grünes Licht wäre das Projekt nicht lebensfähig“, meint ein Vertreter der GTZ in Trincomalee. „Sie wird dafür sorgen, dass die lokalen Stellen mitmachen, sie wird ein Wort bei der Auswahl der ausführenden Lokalpartner mitreden. Und selbstverstandlich werden sie auch kassieren“.

Für Anti-LTTE-Politiker wie Sithadthan hat die Regierung „de facto“ die zivile Kontrolle des Nordens und Ostens des Landes bereits an die Tamil Tigers abgegeben. Für ihn haben die Tiger gewonnen, bevor die Friedensverhandlungen begonnen haben. Der Grund liege in der im Abkommen festgeschriebenen Asymmetrie: „Die Armee zieht sich in den cleared areas in die Kasernen zurück. Es erlaubt den Tigern, ihre geheime Infrastruktur in diesen Gebieten nun offen auszubauen. Aber für die uncleared areas gilt dies nicht: Dort hat die Armee weiterhin keinen Zutritt, sie bleiben exklusive LTTE-Zonen.“

Die LTTE treibt in den cleared areas Steuern ein und rekrutiert Soldaten. „Alle müssen zahlen“, sagt der Ladenbesitzer J. im Fischerdorf Mutur. „Von mir wollten sie 30.000 Rupien [rund 300 Euro] – beinahe mein Jahreseinkommen“. Fischer müssen 1.000 Rupien zahlen, und selbst für das Holzsammeln im Wald werden Gebühren erhoben.

In den letzten Monaten haben die Tiger in mehreren Schulen „Anstellungsgespräche“ geführt, wie es ein deutscher Entwicklungshelfer maliziös formuliert: „Es läuft immer gleich ab. Ein Umzug durch die Stadt bis zum Schulhausplatz. Dort halten Studenten lange Ansprachen über Tamil Eelam. Darauf werden Videos gezeigt, in denen LTTE-Heldenaktionen gezeigt werden. In den folgenden Tagen verschwinden dann junge Leute von zu Hause, die meisten ohne sich von ihren Familien zu verabschieden“.

Die Rekrutierung widerspricht zwar dem Waffenstillstandsabkommen. Trotzdem haben ausländische Beobachter wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung Hoffnung, dass endlich eine Verhandlungslösung gelingt. Doch sie trauen ihrer Hoffnung nicht ganz. Abgebrühte Politiker wie D. Sithadthan sind sogar pessimistisch. „Die LTTE wird nicht nachgeben, bis sie ihren Tamilen-Staat hat. Sie rekrutiert, sie füllt ihre Kriegskasse.“ In Colombo seien die Goldpreise gestiegen, weil die Tiger alle ihre Rupien-Einnahmen in Dollars und Goldbarren umwandelten – der Beginn einer Staatskasse. Für Sithadthan ist die Wiederaufnahme des Kriegs nur eine Frage der Zeit: zwischen Februar und April. Auch die Exiltamilen auf der Straße nach Trinomalee sind skeptisch. „Ich hoffe, es gibt Frieden“, sagt ein Mann aus Leicester an einer Raststätte. „Aber zurückkommen? Nein, das ist mir zu riskant.“ Ein Einwohner der Stadt zieht seine Schlüsse aus dem Verhalten des LTTE-Gebietssekretärs: „Solange Tilak nicht darangeht, sein von der Armee zerstörtes Haus wieder aufzubauen, bleibt die Angst.“

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