: Bloß nicht den Stoiber
Zwei von der Regierung vernachlässigte Gruppen haben Rot-Grün die Macht erhalten: die Frauen und die Ostdeutschen. Sie wählten das kleinere Übel
von HEIDE OESTREICH
Karin oder Doris? Mit keiner der Kanzlerkandidaten-Gattinnen vermochte die Damenwelt sich so recht zu identifizieren. Das zeigen erste Befragungsergebnisse der Forschungsgruppe Wahlen. Das Modell „Doris zu Haus plus Kinderbetreuungsrhetorik auf der politischen Bühne“, das die SPD den Frauen zumutete, haben diese dem Kanzler offensichtlich nicht abgenommen. Zwar wählten wie schon bei der letzten Wahl mehr Frauen als Männer die SPD (41 zu 36 Prozent), doch gab es bei der weiblichen WählerInnenschaft leichte Verluste von 0,5 Prozentpunkten.
Aber auch die CDU kann nicht frohlocken. Zwar köderte sie mit dem gerne als „Herdprämie“ bezeichneten Familiengeld ganze 1,5 Prozent Frauen mehr als bei ihrer Verliererwahl 1998. Dennoch haben sie die Frauenschar, die damals zur SPD abwanderte, nicht zurückgewonnen. Nur 36 Prozent der Frauen wählten die Union, die immerhin bei 40 Prozent der Männer beliebt ist und bei diesen sogar um 5 Prozent zulegte. Insgesamt ergibt sich das Bild eines winzigen „Gender Gap“ – die in den USA sehr ausgeprägte Lücke zwischen eher sozial orientiert wählenden Frauen und eher wettbewerbsorientiert wählenden Männern. Frauen tendieren dort zu den Demokraten, während ihre männlichen Geschlechtsgenossen die Republikaner bevorzugen.
In Deutschland ist die Geschlechter-Lücke auch deshalb weniger ausgeprägt, weil sie sich über mehrere Parteien verteilt. So genießen die Grünen nach wie vor einen Bonus bei den Frauen. Fast 10 Prozent der Frauenstimmen gegenüber knapp 8 Prozent der Männerstimmen erhielten sie dieses Jahr und legten damit bei den Frauen noch einmal um 2 Prozent zu. Das kann sowohl am allgemeinen Joschka-Fieber liegen, als auch an der Taktik mancher SPD-Wählerinnen, die Grün wählten, um Rot-Grün zu retten. Die Grünen verdanken diesen Erfolg zweifellos auch ihrem nach wie vor frauenpolitisch anspruchsvollen Programm. FDP und Union ziehen dagegen mehr Männer an: 8 Prozent der Herren gegen 6,9 Prozent der Damen stimmten für sie, auch ihr (geringer) Zuwachs war bei den Männern mit 1,6 Punkten doppelt so hoch wie bei den Frauen.
So haben also die Frauen Rot-Grün an der Macht gehalten. Verbal wird es ihnen gedankt, ob die Rhetorik politische Folgen haben wird, bleibt abzuwarten. Bislang ist nicht einmal klar, wer eigentlich für Frauenfragen im neuen Kabinett zuständig sein wird.
Auch bei der zweiten Retter-Gruppe für Rot-Grün können die Sympathien nicht durch die große Beachtung zustande gekommen sein: Lediglich das Hochwasser hat den Blick der Regierung nach Ostdeutschland gelenkt – was dort offensichtlich für genügend Eindruck gesorgt hat. Während die SPD im Westen 4 Prozent verlor, holte sie im Osten, weit weg vom Kölner Klüngel, aber nah am Wasser, 4,6 Prozent mehr als vor vier Jahren. Es waren wohl auch Stoiber-VerhinderungswählerInnen am Werk: Die Unionsstimmen wuchsen im Osten nur um 1 Prozent, im Westen dagegen um 3,8. Vor allem die CSU, die sich jetzt stolz dritte Kraft im Bundestag nennt, hat für Unionszuwächse gesorgt: Sie gewann 11 Prozent dazu.
Wofür diese Regierung gewählt wurde, bleibt ein Rätsel: Wirtschaft und Arbeitsmarkt waren die Topthemen für die WählerInnen. In beiden Bereichen trauten sie laut Forschungsgruppe Wahlen der Union mehr zu als Rot-Grün. Es waren offensichtlich die Personen, hauptsächlich wohl Schröder und Fischer, die man lieber weiter regieren sehen wollte als „den Stoiber“ mit einem FDP-Außenminister.
Eine WählerInnengruppe scheint jedoch ganz mit sich im Reinen zu sein: Die etwa eine Million frisch eingebürgerten MigrantInnen. Sie tendieren zu zwei Dritteln zur SPD und zu 15 Prozent zu den Grünen und haben so mit Sicherheit zu dem Vorsprung von 8.864 Stimmen für die SPD beigetragen. Die Bindung zur SPD ist dabei nicht unbedingt mehr durch die politische Sozialisation der MigrantInnen via Gewerkschaft zu erklären. Denn mittlerweile hat sich die Sozialstruktur der Eingewanderten der der Altbürger angeglichen. Doch kann die Union „dank ihrer verheerenden Haltung in der Zuwanderungsfrage ihr Potenzial bei den Migranten nicht ausschöpfen“, interpretiert Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien die eindeutige Präferenz der MigrantInnen.
Ebenfalls eindeutig bedankten sich die Homosexuellen bei Rot-Grün für die Homoehe: In den Homo-Hochburgen Berlin-Schöneberg, Hamburg-St.-Georg und den einschlägigen Vierteln in München und Köln schnitten vor allem die Grünen überdurchschnittlich ab. Im Wahlkreis des schwulen grünen Rechtspolitikers Volker Beck holten die Grünen etwa 19 Prozent. Beck dazu: „Andere reden von 18 Prozent, wir machen das.“
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