: Schröder taktiert nicht
Der Bundeskanzler hat die Kriegsrhetorik gegen den Irak verweigert. Sein Fehler war nur, dies vor der Wahl als „deutschen Sonderweg“ erscheinen zu lassen
Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert überbordender staatlicher Gewalt, zweier Weltkriege und eines vorher nie gekannten Staatsterrors. Die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts werden geprägt sein durch viele Formen entstaatlichter, privatisierter und kommerzialisierter Gewalt. Der Terror des Gewaltmultis Bin Laden, Drogenhändler, Börsenspekulant, Hobbytheologe und Kriegsherr, ist eine Facette dieser privatisierten Gewalt und nur für uns die gefährlichste. Symmetrische Kriege zwischen Staaten, im 20. Jahrhundert perfektioniert, also der Kampf zwischen vergleichbaren Armeen, Schiffs- oder Luftflotten, kommt aus der Mode. In Europa sind solche Kriege nicht mehr möglich.
Schon der zweite Golfkrieg war asymmetrisch. Auf einen gefallenen Amerikaner kamen mehr als 600 getötete Irakis. Noch asymmetrischer war, was im Kosovo und in Afghanistan geschah. Hier handelte es sich eher um Bestrafungen, Exekutionen als um das, was wir bislang Krieg nannten.
Asymmetrische Kriege sind eine Versuchung für Staaten, die damit ihre Interessen durchsetzen können, ohne größere Opfer an eigenen Bürgern befürchten zu müssen. Aber asymmetrische Kriege erzeugen bei den Unterlegenen, Hilflosen, Gedemütigten, die den ungleich stärkeren Feind gar nicht zerreichen können, den Eindruck eines unfairen Kampfes und damit ein hohes Maß an Verbitterung, Groll und Rachsucht. Sie können sich dann in jene Kampfesweise flüchten, die ganz und gar asymmetrisch ist: den Terror. Sie behaupten und glauben es auch, ihr krimineller Terror sei auch nicht unfairer als ein asymmetrischer Krieg.
In jedem Fall ist der Terror durch asymmetrische Kriege – und andere können sich westliche Demokratien kaum leisten – nicht auszurotten. Er wird dadurch eher gestärkt, bestätigt und manchmal auch produziert. Daher haben viele von Anfang an Präsident Bush widersprochen, als er den „Krieg gegen den Terrorismus“ proklamierte, und zwar den Krieg bis zum Sieg. Man mochte dies als typisch amerikanische Rhetorik abtun, es mit dem „War on Aids“ oder dem „War on Poverty“ vergleichen. Es war aber eine folgenreiche Rhetorik.
Denn wenn man einer mächtigen Nation lange genug suggeriert, sie sei „at war“, dann wird die Schwelle zum wirklichen Krieg gegen einen Staat immer flacher, schließlich kaum noch erkennbar. Was für die meisten Europäer ein völkerrechtswidriger Akt wäre, der Angriff auf den Irak unabhängig davon, was UN-Inspekteure an Waffen finden und zerstören können, ist für die meisten Amerikaner, keineswegs für alle, nur Ausfluss, Konsequenz, Etappe, Fortsetzung eines längst stattfindenden Krieges.
Der deutsche Bundeskanzler hat die Kriegsrhetorik des US-Präsidenten nicht mitgemacht. Vielen ist dies nicht aufgefallen, sie haben sich an das Wort von der „uneingeschränkten Solidarität“ gehalten, es begrüßt oder verdammt. Aber was jetzt zum Konflikt wurde, war von vornherein angelegt. Schon in einem Gespräch im Dezember 2001 hat Schröder klar gemacht, dass er keinem Irakkrieg zustimmen werde, solange es keine Beweise für Saddams Zusammenspiel mit al-Qaida gebe. Seither haben ihm radikale Kriegsgegner in trauter Eintracht mit der Union Wahltaktik vorgeworfen. Das passt zum deutschen Bild vom Politiker als einem gerissenen und skrupellosen Machtmenschen, das oft linke Pazifisten mit rechten Stammtischhelden verbindet. Doch die Woche nach der Wahl dürfte gezeigt haben: Schröder und Fischer meinen es ernst.
Erstaunlich, mit wie wenig Selbstachtung in der deutschen Öffentlichkeit die Spannungen zwischen Washington und Berlin abgehandelt werden. Natürlich gäbe es ein einfaches Mittel, die alte Harmonie herzustellen: die Bereitschaft, den Kurs der Hardliner in Washington brav zu unterstützen, also etwas zu tun, was sogar im US-Kongress nicht mehr geschieht.
Aber wer in Deutschland will das eigentlich? Nicht einmal Edmund Stoiber. Was man dem Bundeskanzler anlasten kann, ist nicht seine klare Position in Sachen Irak, sondern allenfalls, dass diese Position zeitweise, und das unmittelbar vor der Wahl, als deutscher Sonderweg erschien, obwohl sie dies zu keinem Zeitpunkt war. Jetzt kommt es darauf an, eine klare Antwort der Europäer auf die neue Militärdoktrin der USA zu formulieren. Dabei können Schröder und Fischer die Federführung getrost den Franzosen überlassen. Denn die Strategie des „preemptive strike“, des präventiven Zuschlagens, wann und wo immer die Hegemonialmacht dies für angebracht hält, ist für Frankreich niemals annehmbar.
Die Zerwürfnisse des Herbstes 2002 lassen sich durch den Realitätssinn beider Seiten ziemlich rasch überwinden. Bleiben dürfte, dass die Deutschen in Washington nie mehr als die europäischen Musterschüler gelten werden. Das hat nicht nur Nachteile. Es könnte Europa zugute kommen.
Denn im letzten Jahrzehnt war es oft die Bundesrepublik Deutschland, die einer Emanzipation Europas innerhalb der Nato im Wege stand. Der Unilateralismus der kräftigen Ellbogen, der zur Popularität der Bush-Regierung im Innern beiträgt, wird die Europäer zwingen, sich zusammenzuraufen und eigene Positionen gemeinsam zu verfechten. Dabei mit Fingerspitzengefühl – gegenüber Paris wie gegenüber Washington – mitzuwirken, dürfte eine Kernaufgabe der nächsten vier Jahre sein.
Der Terror der Islamisten ist nicht das apokalyptische Tier aus dem Abgrund, sondern die für uns im Westen gefährlichste Form entstaatlichter Gewalt. Wo aber Privatleute das staatliche Gewaltmonopol herausfordern, sind Polizei, Geheimdienste und Justiz gefordert. Das Militär kommt erst ins Spiel, wo die Kräfte der Polizei offenkundig überfordert sind.
Militäraktionen gegen Terroristen sind nur dann zu rechtfertigen, sie sind auch nur so lange produktiv, wie sie als erweiterte Polizeiaktion interpretiert werden können. Die Beseitigung des – mit al-Qaida vielfach verflochtenen – Taliban-Regimes ließ sich noch in diesem Sinn deuten. Tatsächlich haben nicht einmal die anfechtbaren Luftangriffe aus großer Höhe zur Solidarisierung mit den Taliban geführt.
Ein – notwendig asymmetrischer – Krieg gegen den Irak ließe sich aber auch bei großzügigster Auslegung nicht als erweiterte Polizeiaktion gegen Terroristen verstehen. Sogar wenn er nicht zum Sturz prowestlicher arabischer Regierungen führen sollte, müsste er den Groll der meisten Araber und vieler nicht arabischer Muslime gegen den Westen weiter vertiefen. Das aber nährt den Terror.
US-amerikanische Außenpolitik ist in einem Ausmaß, das Europäer sich kaum vorstellen können, ein Reflex der Innenpolitik. Nur innenpolitischer Widerstand könnte Bush vom Krieg abhalten. Aber in der inneramerikanischen Debatte ist es keineswegs gleichgültig, wie die wichtigen Verbündeten votieren. Daher ist Schröders Nein weder unbegründet noch folgenlos.ERHARD EPPLER
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