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Wir sind die Mehrheit

Mit seinem Buch „Stupid White Men“ und dem Film „Bowling for Columbine“ ist Michael Moore der populärste Satiriker der USA. Er will, dass die Menschen gegen Bush „die Ärsche hochbekommen“

von TOBIAS HERING

„Ich habe es satt: ‚Ich, ich, ich. Survival of the fittest. Fuck everybody!‘ Sind wir wirklich so beschissen?“ Michael Moore hat die Basecap hochgeschoben. Er will die Leute sehen, und er will von ihnen gesehen werden. Er steht vor dem Publikum, das gerade seinen neuen Film „Bowling for Columbine“ auf dem Filmfestival in Chicago gesehen hat.

Die Mischung ist so bunt, dass man Moore glauben möchte, wenn er ruft: „Wir sind keine Sekte, wir sind die Mehrheit. Wir sind die 234 Millionen Amerikaner, die Bush nicht zum Präsidenten wollten.“ Die Leute sind elektrisiert und erschöpft, sie haben gelacht und geweint und gejubelt, als Moore vor die Bühne trat. Der Saal hat die Nestwärme, die vielen am 11. September verloren gegangen war.

„Bowling for Columbine“ ist das Psychogramm eines Amerika, das zwischen Angst und Größenwahn hin und her gerissen ist. Moore spannt einen Bogen von der individuellen Paranoia über den Waffenwahn bis hin zum militärischen Paradigma in der Außenpolitik; und er bringt es auch noch fertig, seinem Publikum das brüllende Lachen zu entlocken, dessentwegen man so gerne ins Kino geht. An den beinahe ekstatischen Reaktionen erkennt man, wie perfekt Michael Moore die Klaviatur aus Emotion und Politik bespielt.

Nachdem es „Bowling for Columbine“ als erster Dokumentarfilm beim Filmfestival in Cannes in den Wettbewerb schaffte, hatte er kürzlich einen furiosen Start in den amerikanischen Kinos. Die Zeit war überreif für den Film und sein Thema. Der Titel verweist auf die Kleinstadt in Colorado, wo 1998 zwei Schüler an ihrer High School ein Massaker angerichtet haben. Seitdem stand „Columbine“ für das Trauma, das die Angstfantasien Amerikas bestimmte, bis der 11. September die Messlatte höher legte. Zwischen Columbine und 9/11 geschah „die feindliche Übernahme des Weißen Hauses durch einen texanischen Analphabeten“, ein Trauma, dem sich Michael Moore in seinem Buch „Stupid White Men“ ausgiebig widmet. Der Verlag wollte das Buch zurückhalten, als George Bush durch den Krieg gegen den Terror gerade zu ungeahnter Popularität gekommen war. „Fähnchen schwenken kann jeder“, erwiderte Moore seinem Verleger damals, „der wahre Patriot ist der, der den Mund aufmacht und Fragen stellt.“

Mittlerweile ist „Stupid White Men“ in den amerikanischen Buchhandlungen der meistverkaufte Nonfiction-Titel dieses Jahres. Kürzlich ist im Piper Verlag die deutsche Übersetzung erschienen. Wer die Genugtuung auf Moores Gesicht sieht, wenn er seine Erfolgsstatistiken referiert, ahnt etwas von dem Widerstand, gegen den er sich durchsetzen musste.

Bei der Veranstaltung in Chicago hat man aber das starke Gefühl: Es tut den Leuten gut, wenn endlich einer aufsteht und die Fragen stellt, die die Politik nicht hören will. Sie brauchen ihn, er macht ihnen Dampf. Er ist ihr Heizer. In Moores nächstem Film wird es um die amerikanischen Verhältnisse nach dem 11. September gehen. Bis 2004 soll er fertig sein. „Damit Bush keine weitere Amtszeit bekommt!“ Die Leute toben. Für einen Abend scheint es, als könne von einem Kino in Chicago die Revolution ausgehen.

Für Michael Moore kam die Initialzündung, als General Motors in seiner Heimatstadt Flint trotz Rekordprofiten tausende von Arbeitsplätzen vernichtete und die Stadt der sozialen Verelendung überließ. Aus der Wut heraus entstand 1989 sein erster Dokumentarfilm „Roger & Me“, der ihn über Nacht berühmt und berüchtigt machte und sogar in Hollywood einen Oscar einbrachte. Michael Moore bekam eine eigene Fernsehshow, „TV Nation“, die brachte ihm bald den Ruf ein, die schärfste Waffe der amerikanischen Linken gegen das politische und ökonomische Establishment zu sein. Seine Auftritte, seine Filme und Bücher sind wütende Ritte über die Stilblüten einer bigotten Mainstreamkultur.

„Auf lange Sicht werden die Dinge besser“, erklärt Michael Moore seinem Publikum. „Wir haben Recht, die anderen haben Unrecht, und wir sind in der Überzahl.“ Die Helden seiner Filme und Bücher sind die „Durchschnittsamerikaner“: Leute mit Schulden und Gewichtsproblemen, denen es trotz allem nicht egal ist, was mit ihren Mitmenschen passiert. Und die es satt haben, von einer „Junta“ beherrscht zu werden, die sich einen Dreck um sie kümmert.

„Sich die Nase zu piercen ist keine politische Aktion. Werdet aktiv, vernetzt euch und übernehmt öffentliche Ämter!“ Michael Moore ist auf hundertachtzig jetzt. In der Bewunderung des Publikums liegt auch die Hoffnung, er möge es schon richten. Aber wer das denkt, hat die Rechnung ohne Michael Moore gemacht. „Es wird Zeit, dass ihr eure Ärsche hochbekommt“, ruft er. „Ich will mich auch mal ausruhen.“ Das Publikum jubelt und lacht. „Ich meine das ernst!“, ruft Moore hinterher.

Aber Spaß und Ernst kommen bei ihm oft im selben Satz vor. Wenn man bei der amerikanischen Buchhandelskette Barnes & Noble nach seinen Büchern fragt, wird man in die Humorabteilung geführt. Eine übliche Rubrizierung. „Leute, die die Dinge beim Namen nennen, heißen ,Komiker‘ “, schrieben die Zeitungen, „und Moore ist unser bester.“

Michael Moore selbst kommt mit der Humorecke ganz gut klar. Das Lachen sei dazu da, den Frust abzulassen, erklärt der Autor und Filmemacher. „Frust lähmt“, weiß er zudem, „und ich will bei den Leuten den Civilcourage-Knopf drücken, denjenigen, auf dem steht: ‚Demokratie ist ein Mitmachspiel!‘ “ Kann man schließlich nicht oft genug betonen, so etwas.

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