: Statt Kakao wird Krieg exportiert
Der Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste lässt die Wirtschaft des Landes kollabieren. Demnächst könnte sich die Krise auf die ganze Region ausweiten
aus Abidjan DOMINIC JOHNSON
Über kurz oder lang wird der Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste ganz Westafrika in die Krise reißen. Davon sind zumindest in der Metropole Abidjan alle überzeugt, die mit den Nachbarländern zu tun haben: Unternehmer, Hilfswerke, Einwanderer. Nur Ivorer scheinen seelenruhig dem Untergang ihres Landes zuzusehen. „Ich bin ausländerfeindlich – na und?“ stand auf Plakaten, die einige der 200.000 Demonstranten am Samstag in Abidjan beim bisher größten Massenaufmarsch regierungstreuer Jugendmilizen trugen.
Dabei ist die Elfenbeinküste vom Ausland abhängig. Dass sie zur drittgrößten Volkswirtschaft Afrikas südlich der Sahara und zum größten Kakaoproduzenten der Welt aufgestiegen ist und dass Abidjan sich zu einer der modernsten Metropolen des Kontinents entwickelt hat, verdankt das Land zweierlei: Investitionen westlicher, vor allem französischer Unternehmen und der Einwanderung aus anderen Staaten Westafrikas. Im Schmelztiegel Westafrikas waren einst Bürger aller Länder der Region willkommen: aus den frankophonen Sahelstaaten Senegal, Mali, Burkina Faso und Niger ebenso wie aus den anglophonen Nachbarn Ghana und Liberia. Heute aber schaden sich die Führer des Landes selbst, indem sie die Gesellschaft mit dem Begriff der ivoirité spalten, nach dem nur Abkömmlinge von Leuten, die nachweislich schon immer auf dem Gebiet der Elfenbeinküste leben, volle Bürgerrechte genießen sollen.
Die Konsequenzen sind dramatisch. 80 Prozent aller ausländischen Unternehmen in der Elfenbeinküste hätten im Prinzip beschlossen, das Land zu verlassen, heißt es vertraulich aus Wirtschaftskreisen; 30 Prozent aller Firmen im Land werden bis Ende November aus Mangel an Geld dichtmachen müssen. Früher versorgte der Hafen von Abidjan halb Westafrika mit Importwaren – heute wachen die Hafenbehörden darüber, dass ja nichts das Regierungsgebiet verlässt. Längst sind Westafrikas Händler dabei, sich von Abidjan auf die Häfen von Ghana, Togo und Benin umzustellen, um Binnenländer wie Burkina Faso und Niger zu versorgen.
„Bis zum 15. November muss etwas passieren, sonst bricht hier alles zusammen“, meint ein französischer Unternehmer in Abidjan. Denn in den kommenden zwei Wochen muss die Kakaoernte der Elfenbeinküste aus den Anbaugebieten im Südwesten des Landes nach Abidjan gelangen, um von dort per Schiff exportiert zu werden. Das setzt voraus, dass die Abnehmerfirmen die Bauern bezahlen können. Aber die unzähligen Milizen im Regierungsgebiet, die auf den Überlandstraßen zuweilen alle paar hundert Meter an Straßensperren nach „Terroristen“ suchen und dabei Wertsachen mitgehen lassen, machen dies unmöglich. Wenn die Elfenbeinküste aber ihre Kakaoeinnahmen verliert, wird sie vom Wirtschaftsmotor zum Hungerleider.
Kein Wunder, dass UN-Agenturen warnen, die Krise der Elfenbeinküste berge noch größere Sprengkraft für Afrika als die der Region um Ruanda und Kongo. „Wir wussten, dass es eine regionale Krise ist, aber wir unterschätzten die Region“, meint Rosa Malango vom UN-Koordinierungsbüro für humanitäre Hilfe in Abidjan. „Dies sind Länder, die Krieg nicht kennen, sie haben eine lange Entwicklung hinter sich. Aber jetzt kann die Mittelklasse keine Waren mehr bewegen, kein Geld mehr von der Bank holen. Es ist nicht nur eine humanitäre Krise, sondern eine sozioökonomische.“
Interne UN-Planungen, die der taz vorliegen, gehen von zehn Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen aus, falls der laufende Versuch von Friedensgesprächen scheitert und der Krieg zwischen Regierungstruppen und den Rebellen im Norden des Landes mit voller Wucht neu aufflammt. Das sind zwei Drittel der Bevölkerung. Selbst im besten Fall – Aushandlung eines Friedensabkommens, das auch eingehalten wird – rechnen die UN-Planer mit über einer Million Vertriebenen. Denn schon längst sind Ausländer dabei, die Elfenbeinküste zu verlassen. „Sie gehen aus Angst, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen“, sagt Astrid van Genderen vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. „Wir sitzen auf einem Vulkan.“
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