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Westfälische Kenianer in Manhattan

Joyce Chepchumba und Rodgers Rop gewinnen den New York Marathon und sorgen dafür, dass sich ihr vom Detmolder Studienrat Volker Wagner geführtes Trainingscamp im Teutoburger Wald als Topadresse der Laufszene etabliert

NEW YORK taz ■ Eigentlich ist New York keine Stadt für Volker Wagner. Der Mathematiklehrer aus Detmold trägt gerne Pullover mit V-Ausschnitt und Cordhosen, und mit seiner Schultertasche aus Kunstleder wirkt er in der großen Stadt wie ein etwas verschüchterter Tourist aus der Provinz. Am Sonntag jedoch muss sich Volker Wagner gefühlt haben wie ein Börsenmogul von der Wall Street, der gerade einen großen Coup gelandet hat – als König von Manhattan. Denn beim New York Marathon, einem der größten Ereignisse der Stadt und ihr ganzer Stolz, gewannen zwei Athleten, die er trainiert und managt: Die Kenianer Rodgers Rop, nach 2:08,07 Stunden Sieger bei den Männern, und Joyce Chepchumba, Siegerin bei den Frauen (2:25,56), leben beide in Wagners Camp in Detmold.

Das Camp im Teutoburger Wald ist seit langem als Brutstätte für Weltklasseläufer bekannt. Die zweifache New-York-Gewinnerin Tegla Loroupe lebt seit zehn Jahren dort, Joyce Chepchumba, die vor New York je zweimal den London-Marathon sowie den Chicago-Marathon gewann und beim Olympia-Marathon in Sydney Dritte wurde, stieß kurze Zeit später hinzu. Rodgers gehört erst seit zwei Jahren zu der 30 Athleten starken Gruppe – prompt schoss er an die Weltspitze: Im letzten Jahr wurde er Dritter in New York, in diesem Frühjahr gewann er Boston: „Er ist ein aufgehender Stern der Marathonszene“, sagt Volker Wagner, sein Trainer.

Das Geheimnis der westfälischen Kenianer, so Wagner, sei eigentlich gar keines. Der ehemalige Mittelstreckenläufer tut, so erzählt er es zumindest, nichts weiter, als Talenten aus Kenia ein professionelles Umfeld zu bieten. „Viele Marathonläufer“, sagt Wagner, „laufen einfach nur.“ In Detmold hingegen bekämen sie ein strukturiertes Training, eine ausgewogene Mischung aus Ausdauer- und Tempoarbeit. Dazu eine medizinische und physiotherapeutische Rundumbetreuung.

Angefangen hat Wagner 1987 mit zwei Läufern aus Tansania, Freunde Wagners aus dessen aktiver Zeit. Er organisierte ihnen eine günstige Wohnung in Diestelbruch, einem Detmolder Vorort, und beriet sie beim Training und bei der Wettkampfplanung. Das Modell hatte Erfolg und sprach sich herum, Wagner bekam immer mehr Anfragen aus Afrika. „Am Anfang habe ich das noch privat von meinem Lehrergehalt mitfinanziert“, erinnert er sich. Heute sei das Ganze ein kleines Unternehmen – mit fünf Fahrzeugen und Telefonkosten von tausenden von Euro monatlich. „Da muss ich Prozente von den Prämien- und Sponsorengeldern nehmen, sonst geht das nicht mehr“, gibt Wagner zu. Gegen den Verdacht, er habe bei der Betreuung der Afrikaner ein massives finanzielles Eigeninteresse, wehrt sich Wagner jedoch vehement. „Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich meinen Lehrerjob aufgegeben.“ Das hat er jedoch nicht, die Trainingspläne schreibt er zwischen den Mathestunden an seinem Detmolder Gymnasium. „Was ich mache, ist in erster Linie praktische Entwicklungshilfe“, sagt Wagner. „Ich gebe den Läufern die Möglichkeit, nach der Karriere zurück in ihre Heimat zu gehen und dort eine Existenz aufzubauen.“

Als weiteren Beleg für seine Uneigennützigkeit führt der Studienrat ins Feld, dass er auch Läufer aufnehme, die nicht das Zeug zur Weltklasse haben. Als wertvolle Trainingspartner werden diese von den Guten mitfinanziert und können so im Westen auch ein paar Dollar verdienen. Nach dem Doppelsieg in New York werden das wahrscheinlich sogar ein paar Dollar mehr werden: „Der New Yorker Marathon lässt sich besser vermarkten als jeder andere“, sagt Wagner. SEBASTIAN MOLL

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