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Die sprachliche Vernichtung

DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP

Hätte sie sagen können – fuck! Warum kann ich jewish nicht übersetzen? Welche Selbsterkenntnis

Schuld war allein die Antisemitismus-Kampagne Möllemanns. FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle zur Wahlniederlage

Was ist eigentlich Antisemitismus? Das obige Zitat zum Beispiel, und das ist keineswegs schwer zu erkennen:

Nicht Guido Westerwelle empfindet sich etwa schuldig, da er von der Antisemitismus-Kampagne Möllemanns gierig profitieren wollte und damit den Niedergang der FDP mit betrieben hat; auch Jürgen W. Möllemann scheint nach Ansicht von Westerwelle nicht schuld zu sein, sondern die Antisemitismus-Kampagne. Sie hat der FDP nicht das gebracht, was sie hatte bringen sollen. Das ist der Subtext dieser Aussage. Da legt man sich mit den Juden an, und was kommt dabei für einen heraus?

Ganz ähnlich dachten und sprachen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren viele Deutsche, zwar in anderen Worten, sinngemäß aber war es nahezu dasselbe: Der Nationalsozialismus sei gar nicht mal schlecht gewesen, aber das mit den Juden hätte Adolf Hitler besser lassen sollen.

Wie Guido Westerwelle entdeckten sie auf einmal, dass sie von jemand anderem verführt und dadurch ins Unglück gestürzt worden waren, wobei ihnen ihr Verführer und was sie mitgemacht hatten, bei weitem nicht so schlimm erschien wie die Folgen, die sie selbst danach zu tragen hatten. Die Tat war gegen die Juden gerichtet gewesen, und darum hatte man jetzt den Ärger mit dem eigenen Ansehen in der Weltöffentlichkeit, und den Ärger über das schöne Geld, das man zur Strafe hingeben muss.

„Mitgerissen“, hieß es des Öfteren in der deutschen Presse über Guido Westerwelle und seinen angeblich tragischen Irrtum, Möllemann gefolgt zu sein, ihm geglaubt zu haben. Nicht rechtzeitig gewarnt worden zu sein, behauptet Westerwelle, und diesen aalglatten Politiker, der nur Spaß gemacht haben will, schützt die FDP und beteuert, zurzeit keinen Besseren zu haben. Das stimmt nicht. Es gibt Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

Woran erkennt man Antisemitismus, werden Juden in Deutschland oft gefragt, und ich will gar nicht sagen, dass auch diese Frage antisemitisch ist, aber ich darf es immerhin befürchten, denn die Frage, wenn sie an Juden gerichtet wird, scheint zu unterstellen, dass Antisemiten zwar antisemitisch seien, aber nicht wüssten, was antisemitisch ist.

Ist es zum Beispiel antisemitisch, dass auf deutschen Wandkalendern sowie in deutschen Terminkalendern und Notizbüchern jeweils an den entsprechenden Tagen die jüdischen Feiertage nicht angegeben sind? Ich erfahre beim Blättern durch das Jahr, wann Maria Empfängnis hatte und wann Stefanitag und Buß- und Bettag sind, von Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Weihnachten gar nicht zu reden, sogar Österreichs Nationalfeiertag wird mir angekündigt, aber nicht, wann in Israel der Schoa-Gedenktag ist, und schon gar nicht jüdische Feiertage wie Pessach, Rosch ha-Schana und Jom Kippur. Ich werde es noch erleben, dass mir mein deutscher Terminkalender mitteilt, von wann bis wann diesmal Ramadan stattfindet, und warum auch nicht, zumal die muslimische Gemeinde in Deutschland um ein Vielfaches größer ist, als es die jüdische Gemeinde heute ist und jemals war.

Ist es antisemitisch, dass die allseits bekannten Falk-Pläne deutscher Städte als Symbol für Gotteshäuser nur ein fettgedrucktes Kreuz kennen, nicht aber den Davidstern, und dass derselbe Verlag in Plänen nichtdeutscher Städte, zum Beispiel in dem Pariser Stadtplan (meiner ist von 1972) die Grande Synagogue in der Rue de la Victoire immerhin schon mit einem Stern markiert, allerdings nicht mit dem Davidstern, sondern mit einem falschen, achtzackigen Stern?

Und warum kennzeichnet der Falk-Verlag in seinen Stadtplänen christliche Friedhöfe mit vielen kleinen Kreuzen, jüdische Friedhöfe aber nicht mit Davidsternen, sondern mit vielen kleinen irgendwie amputierten Kreuzen, sodass sie aussehen wie ein L. Ist der Davidstern für den Falk-Verlag noch immer der antisemitisch belegte Judenstern?

Oder haben wir es hier mit Hilflosigkeit zu tun und mit der Furcht, bloß nichts falsch zu machen? Aber was wird aus dieser Furcht, und wohin wächst sich das aus, diese merkwürdige Rücksicht, Vorsicht, Wegsicht?

In einem alternativen Radiosender wurde unlängst ein amerikanischer Prosatext gelesen. Es ging um Sexualität. Gleich am Anfang kamen die Wörter „my jewish mother was always fucking“. Anschließend übersetzte eine Frau den Inhalt sinngemäß. Sie ließ nichts Wesentliches unübersetzt, allein das Wort „jewish“ löschte sie in ihren deutschen Sätzen aus.

Vor dem Hintergrund der Nazizeit heißt „ein Herr Friedman“: eine Unperson, ein Niemand, eine Nummer

Hatte sie Skrupel, als Deutsche jewish mit fucking zusammenzubringen, da es die amerikanisch, jüdische Autorin konnte? Immer dieser Ärger mit dem eigenen historischen Erbe. Einfach übersetzen konnte sie jewish nicht, was nicht antisemitisch sein muss, sondern womöglich geradezu wahrhaftig war in der Berührungsangst als Deutsche mit dem Jüdischen. Jedoch war sie offenbar ungeübt, sich endlich selbst darin zu erkennen. Stattdessen führte sie fort, was der Autor Georges Arthur Goldschmidt „Auslöschung der Auslöschung“ nennt: Nach der Vernichtung von Leib und Leben folgt die sprachliche Vernichtung. Hätte sie im Radio sagen können – fuck! Warum kann ich jewish nicht übersetzen? Was ist mit mir los? – wie gut wäre das gewesen, welche Selbsterkenntnis, befreiend in der Getrenntheit zu den wahren Tätern.

Unzweifelhaft antisemitisch ist, was Möllemann gesagt hat: Kaum jemand habe den Antisemiten in Deutschland mehr Zulauf verschafft „als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner Intoleranz und gehässigen Art“. Spezifisch antisemitisch ist in diesem Satz die Formulierung „und in Deutschland ein Herr Friedman“. Interessant ist, dass gerade diese Passage in den meisten Medien unvollständig zitiert wurde, das „ein“ wurde weggelassen. Die antisemitische Formulierung wurde entschärft. Der Antisemit wurde kollektiv geschützt.

Zu finden ist dieses „ein Herr Soundso“ im Zusammenhang mit Deutschland bereits in antisemitischen Schriften vor 1933: ein Herr Rathenau, ein Herr Feuchtwanger, ein Herr Reinhardt. Zu sagen, da hat ein Herr Meyer für dich angerufen, ist die harmlose, die ursprüngliche Form. Angewandt auf eine bekannte Persönlichkeit, wird daraus Entwürdigung, Entpersonalisierung. In dem antisemitischen Möllemann-Zitat hieß es, „kaum jemand hat“ und so weiter, „als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman“. Ein feiner, ein gravierender Unterschied. Herr Scharon wird hier nicht ein Herr Scharon, er ist der Jude, der in Israel lebt, nicht in Deutschland. Der Jude, der in Deutschland lebt, wird in der Sprache des Antisemiten zu „ein Herr Friedman“. Vor dem Hintergrund der Nazizeit heißt das im Subtext, aus dem Juden können wir Deutsche wieder eine Unperson machen, einen Niemand, eine Nummer.

Guido Westerwelle hatte öffentlich mehrfach Michel Friedman aufgefordert, sich bei Jürgen W. Möllemann zu entschuldigen. Hat sich Guido Westerwelle inzwischen öffentlich bei Michel Friedman entschuldigt?

Fotohinweis:Viola Roggenkamp lebt als freie Publizistin in Hamburg

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