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„Die Haltung gegenüber Putin ist verwerflich“

Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen im Europaparlament, fordert in der Tschetschenienfrage Druck der EU auf Russland

taz: Putin fährt nicht nach Kopenhagen, sondern nach Brüssel. Ist das für Sie, Herr Cohn-Bendit, ein tragbarer Kompromiss, oder hat die dänische Präsidentschaft zu sehr nachgegeben?

Daniel Cohn-Bendit: Wichtig ist nicht, wohin er fährt, sondern, worüber man mit ihm spricht. Wenn der Kompromiss bedeutet, dass man den Tagungsort verlegt, ihm aber einige Wahrheiten über unsere Einstellung zum Krieg in Tschetschenien sagt, dann ist es in Ordnung.

Nach dem 11. September sind die Spielräume der EU gegenüber Russland geringer geworden. Worauf sollten die Regierungschefs mindestens bestehen?

Ich wüsste nicht, warum nach dem 11. September die Spielräume geringer sein sollen. Geringer sind sie, weil man sie nicht wahrnimmt.

Hören Sie dazu mal den deutschen Außenminister …

Wir vertreten nicht die Position des deutschen Außenministers, sondern die des Europäischen Parlaments. Wenigstens wir müssen klar Position beziehen. Deshalb haben wir ja darauf bestanden, dass vergangenen Mittwoch in der Debatte mit Solana nicht nur Nahost und Irak, sondern auch Tschetschenien diskutiert wird.

Zählen Sie heute beim EU-Russland-Gipfel auch auf den Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana?

Solana kann sich sehr intelligent winden, man kann ihn aber auch dazu bringen, einiges zu sagen. Aber viel mehr zähle ich hier auf EU-Außenkommissar Chris Patten. Er hat ja auch im Nahen Osten die Kraft, Dinge zu sagen, die andere sich nicht trauen. Er weiß aus der Erfahrung als Gouverneur von Hongkong, was es bedeutet, wenn man totalitären Strömungen nachgibt. Ich erwarte, dass er heute beim Treffen mit Putin die Tschetschenienfrage anspricht.

Wissen Sie bei dieser Forderung eine Mehrheit der EU-Parlamentarier hinter sich, oder ist das nur grüner Konsens?

Als ich den Antrag gestellt habe, die Tagesordnung vergangenen Mittwoch um Tschetschenien zu erweitern, bin ich unterstützt worden von den Liberalen, den Christdemokraten und einem Teil der Sozialdemokraten. Das heißt: Wir haben im Parlament eine breite Mehrheit, die sich dagegen wendet, dass Putin den Antiterrorkampf missbraucht, um das Massaker am tschetschenischen Volk zu rechtfertigen.

Die Grünen organisieren heute Mittag eine Demonstration für die Rechte der Tschetschenen hier in Brüssel. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Putin eine solche Veranstaltung als Provokation empfindet und wieder abreist?

Dann reist er eben ab. Wir dürfen doch nicht die Verteidigung der Menschenrechte den Gemütsschwankungen eines Herrn Putin unterwerfen. Wir europäischen Grünen werden heute Nachmittag in einer Pressekonferenz den Friedensplan von Tschetscheniens Präsidenten Maschadov vorstellen. Er hat ja ein Angebot auf den Tisch gelegt, das die Autonomie Tschetscheniens innerhalb der Russischen Föderation erreichen will. Wir wollen, dass die EU-Chefs Druck auf Putin ausüben, dass er sich das anhört. Das wäre ein Ausweg, eine nichtkriegerische Lösung.

Die Grünen haben sich vehement dagegen ausgesprochen, dass Maschadows Emissär Sakajew von Dänemark an Russland ausgeliefert wird. Bei den EU-Chefs scheint aber die Bereitschaft zu wachsen, in jedem Tschetschenen einen Bundesbruder von Bin Laden zu sehen …

Die Haltung der Regierungschefs gegenüber Putin ist falsch, verwerflich,und sie ist gefährlich. Dagegen mobilisieren wir Grüne eine Mehrheit des Europaparlaments. Ich fordere, dass man Druck auf Dänemark macht, dass Sakajew freigelassen wird.

Das ist doch einfach ungeheuerlich: Bis vor einem Jahr war dieser angebliche Organisator von Terrorakten noch als Unterhändler zwischen Tschetschenen und Russen akzeptiert. Entweder sind die Russen meschugge, oder sie können nur lügen.

INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER

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