: Kopf an Kopf in die alten Zeiten
In Österreichs Wahlkampf stand lange Rechtsblock gegen Linksblock. Inzwischen deutet viel auf die Wiederkehr einer großen ÖVP-SPÖ-Koalition hin
aus Wien RALF LEONHARD
Schüssel oder Gusenbauer? Rot-Schwarz, Schwarz-Rot, Rot-Grün oder doch wieder Schwarz-Blau? Seit Wochen beschäftigen sich Politmagazine und Umfrageinstitute mit Sonntagsfragen, Kanzler-Beliebtheitstests und Spekulationen über Koalitionsvarianten. Sowenig man das Ergebnis der Nationalratswahlen vom kommenden Sonntag vorhersagen kann, zwei Entwicklungen können doch klar festgemacht werden: Jörg Haider spielt politisch keine Rolle mehr und das alte System mit zwei Großparteien feiert fröhliche Urständ.
Was als Lagerwahlkampf – Rechtsblock gegen Linksblock – begonnen hat, wurde zu einem Kanzlerduell, das, je mehr es an verbaler Schärfe zunimmt, auf eine große Koalition nach dem 24. November hinauszulaufen scheint. SPÖ und ÖVP liegen in den jüngsten Umfragen beide knapp unter 40 Prozent, mit leichten Vorteilen für die ÖVP. Grüne und FPÖ umkreisen die 10-Prozent-Marke. Dabei haben die Grünen Chancen, erstmals die FPÖ zu überholen.
Nur die kleinen Parteien haben sich festgelegt: Der Grüne Alexander van der Bellen will nur mit Gusenbauer, die FPÖ, derzeit angeführt von Sozial- und Frauenminister Herbert Haupt, kann sich trotz der in den letzten Wochen erlittenen Kränkungen eine Fortsetzung der Wendekoalition mit Wolfgang Schüssel vorstellen. Alfred Gusenbauer und Wolfgang Schüssel vermeiden hingegen jede Koalitionsansage und fischen eifrig in den Gewässern der möglichen kleinen Partner: Der eine will die Grün-Gegner im eigenen Lager nicht verjagen, der andere will in erster Linie Kanzler bleiben, mit wem, ist ihm offenbar egal, ätzen seine Kritiker. Um den entscheidenden Vorsprung vor der SPÖ herauszuholen, hat er sogar den Freiheitlichen den besten Mann ausgespannt, zumindest den beliebtesten, nämlich Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Trotz einer bescheidenen Erfolgsbilanz trägt dieser gut aussehende Neoliberale sein Image als Mister Nulldefizit erfolgreich vor sich her und hat Schüssel den erhofften Aufschwung in den Umfragen beschert. Erstmals seit 1966 könnten die Christlich-Sozialen stärkste Kraft werden.
Einen echten Absturz konnte Gusenbauer durch seinen forschen Auftritt beim letzten TV-Duell vor einer Woche verhindern. Der Sozialdemokrat ging vor der Livekamera in die Offensive und pendelte Kanzler Schüssels gezielte Tiefschläge gekonnt aus. Selten war so deutlich sichtbar, wie zwei Politiker einander förmlich nicht riechen können. Schüssel verweigerte sogar den abschließenden Handschlag. Eine gemeinsame Regierung wollten die beiden trotzdem nicht ausschließen. Die große Koalition wird von der Industrie, Teilen der Gewerkschaft und von Hans Dichand, Chef der mächtigen Kronen Zeitung, favorisiert. Sie garantiert eine gewisse Stabilität, verhindert aber tiefgehende Reformen, weil jede Partei ihre Klientel schützen will. In der Vergangenheit stand Rot-Schwarz für Stillstand, Postenschacher, Drüberfahren über jede Initiative der Opposition und den zum Verfassungsgesetz erhobenen Verfassungsbruch. Denn die Zweidrittelmehrheit erlaubte es der Regierung, jede nicht verfassungskonforme Reform mit Verfassungsrang auszustatten. Dadurch ist das Grundgesetz inzwischen so unübersichtlich, dass praktisch alle Parteien einen nationalen Verfassungskonvent befürworten.
Entschieden werden die Wahlen voraussichtlich in Wien, wo es eine satte rot-grüne Mehrheit gibt. Deswegen haben ÖVP und FPÖ in den letzten Tagen ihren Wahlkampf auf die Bundeshauptstadt konzentriert. Schüssel lässt seine populären Landeshauptleute zum Händeschütteln antreten. Herbert Haupt versucht noch einmal die Ängste vor der EU-Osterweiterung zu mobilisieren.
Überhaupt nicht in den Wahlkampf passte ein Auftritt Gusenbauers mit dem Industriellen Hannes Androsch, der in den Siebzigerjahren als Bruno Kreiskys Finanzminister das Deficit-Spending populär gemacht hatte. Zwar wolle er nicht mehr für das Finanzressort zur Verfügung stehen, doch seine Warnungen, die schlechte Konjunktur würde schmerzhafte Einschnitte erfordern, blieben vom Kanzlerkandidaten unwidersprochen. So viel Realismus knapp vor der Wahl kann zweierlei heißen: Die SPÖ erhofft sich Zustimmung für ihre plötzliche Ehrlichkeit oder sie ist sich ihres Sieges so sicher, dass sie die Wahrheit schon jetzt sagen kann.
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