: Flüchtlingskinder ohne Rechte
Alle vier Jahre wieder: Rot-Grün verspricht, die UN-Kinderkonvention voll anzuerkennen – und belässt es bei der Ankündigung. Schily versteckt sich hinter Bundesrats-Nein
BERLIN taz ■ Dass Rot-Grün die Menschenrechtsgruppen gleich nach der Wahl vergessen hat, kann man nicht behaupten. Als Claudia Roth vor kurzem bei einem ARD-Prominentenquiz 50.000 Euro verdiente, spendete sie ihren Gewinn an „Pro Asyl“. Zur Begründung erklärte die grüne Parteichefin, dies sei eine „ganz tolle Organisation“. Doch was politische Entscheidungen angeht, müssen die Flüchtlingshelfer weiter auf die Einlösung von Versprechungen warten.
So hatten SPD und Grüne vor vier Jahren die Rücknahme des deutschen Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention angekündigt. Geschehen ist nichts. Auch die Hoffnung auf einen neuen Anlauf wurde bereits gedämpft. „Im Moment sehe ich gar keine Route dazu“, sagte die SPD-Politikerin Cornelie Sonntag-Wolgast gestern im WDR-Hörfunk. Wie Innenminister Otto Schily verweist die neue Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses auf das fehlende Einverständnis des Bundesrats. „Jetzt können Sie natürlich fragen, warum müssen die Länder überhaupt mitmachen?“, sagte Sonntag-Wolgast und gab zu: „Formal muss der Bundesrat nicht zustimmen.“ Die Regierung wolle aber nicht im Alleingang handeln, weil es „quer parteipolitisch durch die Reihen“ Bedenken in den Ländern gebe.
Während es die Regierung beim Zuwanderungsgesetz auf einen verfassungsrechtlich umstrittenen Konflikt mit dem Bundesrat ankommen ließ, gibt sie bei der UN-Kinderrechtskonvention freiwillig Kompetenzen ab.
Da helfen auch die Proteste internationaler Organisationen wenig. „Besonders problematisch ist die Situation von unbegleiteten Minderjährigen“, heißt es in einem Bericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef). „Flüchtlingskinder ab 16 Jahren werden asylrechtlich wie Erwachsene behandelt.“ Und das, obwohl die UN den „besonderen Schutz und Beistand des Staates“ für alle Jugendliche unter 18 vorschreibt.
Kohls Vorbehalt bleibt auch unter Rot-Grün
Bei der Ratifizierung der UN-Konvention hatte sich die Kohl-Regierung jedoch 1992 ausbedungen, ungeachtet der UN-Vorschriften eigene Gesetze zu erlassen. Ausdrücklich behielt sich die Regierung vor, bei der Behandlung von Jugendlichen „Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen“.
Die Folgen sind laut Unicef gravierend. Minderjährige Kinder würden „unnötigerweise ins Asylverfahren gedrängt“, Flüchtlinge zwischen 16 und 18 dürften nicht zur Schule gehen und würden nicht jugendgerecht betreut und untergebracht. Auch über die Altersfeststellung der Behörden gibt es immer wieder Klagen von Schutzorganisationen.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Klaus Haupt sagte der taz, eine Rücknahme des deutschen Vorbehalts sei „überfällig“. Die Weigerung der Bundesregierung schwäche „die deutsche Verhandlungsposition in der internationalen Kinderpolitik“. Auch der Kinderbeauftragte der SPD-Fraktion, Rolf Stöckel, droht: „Wenn die Regierung nicht handelt, muss sie vom Parlament gezwungen werden.“
Die Innenausschussvorsitzende Sonntag-Wolgast hat jedoch aus ihrer Zeit als Schilys Staatssekretärin gelernt: „Es gibt zwei Seiten der Medaille.“ Verständnisvoll schilderte sie die Bedenken aus den Bundesländern gegen einen vorbehaltlosen Schutz für Kinder unter 18. Dies könne die Zahl derer erhöhen, die ihre Kinder nach Deutschland schicken „zwecks Geschäften“, „um irgendwie für Unterhalt zu sorgen“ oder „sogar zu dealen“. Diese Bedenken gelte es zu beachten. Unwidersprochen ließ sie dagegen die Aussage des CDU-Abgeordneten Willi Zylajew, der in derselben Radiosendung sagte, die Menschenrechtsgruppen hätten sich als „Speerspitzen von Rot-Grün“ zu Oppositionszeiten „missbrauchen“ lassen.
LUKAS WALLRAFF
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