taz wird: „Man kann Mauern auch wieder aufbauen“
Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder doch Schwarz-Blau: Wer koaliert nach der Bundestagswahl?
Interview Nadine Conti
taz: Frau Breuer, ist die Brandmauer nun eigentlich gefallen oder nicht?
Johanna Breuer: Die sogenannte Brandmauer soll laut Bundeszentrale für politische Bildung ausschließen, dass eine Regierungskoalition unter Beteiligung der AfD gebildet wird, dass Anträge mit der AfD verabschiedet werden, dass Mehrheiten mit ihr gesucht werden oder dass man sich mit ihren Stimmen in Ämter wählen lässt. Konsequent zu Ende gedacht, ist die Brandmauer nicht letzte Woche gefallen, sondern mit der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen. Aber: Mauern kann man zum Glück auch wieder aufbauen, mit Arbeit, Zeit und Geld.
taz: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es in Deutschland zu einer Koalition aus Union und AfD kommt?
Breuer: Wie wahrscheinlich die ist, kann ich nicht sagen. Die Diskussionen in der Union über die Abgrenzung zur AfD sind derzeit vor allem von internen Streitigkeiten geprägt.
taz: Fest steht ja: Für die gewohnten Lager und gut eingeübten Koalitionen – Rot-Grün hier, Schwarz-Gelb dort – reicht es nicht mehr. Wie kommt das?
taz Salon „Kommt jetzt die Rückschrittskoalition?“ mit Adis Ahmetovic (SPD), Hendrik Hoppenstedt (CDU), Swantje Michaelsen (Grüne) und Johanna Breuer (Politkwissenschaftlerin Leuphana). Dienstag, 11. 2., 19 Uhr, Kulturzentrum Faust, Zur Bettfedernfabrik 3, Hannover, alternativ auch im Livestream unter taz.de/salon
Breuer: Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten von der Dominanz zweier Volksparteien hin zu einem pluralistischen System entwickelt: CDU/CSU und SPD erreichen keine ausreichenden Mehrheiten mehr, um sich mit Hilfe einer kleineren Partei beim Regieren abzuwechseln. Gründe dafür sind nicht nur weniger Stimmen für CDU/CSU und SPD, sondern auch eine ideologische Polarisierung und mehr Wechselwählerinnen und -wähler.
taz: Eine Dreier-Koalition wie die Ampel finden viele Bürger aber schwierig, obwohl das in anderen Ländern gang und gäbe ist.
Breuer: Wir haben uns an diesen Systemwechsel noch nicht gewöhnt, das gilt gleichermaßen für die Zuschauenden wie auch für die Beteiligten in den Koalitionen. Viele Koalitionsstreitigkeiten werden stärker in der Öffentlichkeit ausgetragen. Das Problem ist auch ein Mathematisches: Mit mehr Vetospielern und Vetospielerinnen ist es schwieriger, Entscheidungen zu treffen.
taz: Gleichzeitig sind die Herausforderungen gewaltig, die zu bewältigen sind. Wie soll das mit so wackeligen Mehrheiten funktionieren?
Johanna Breuer
32, ist Politikwissenschaftlerin an der Leuphana-Universität Lüneburg.
Breuer: Es muss ein ständiges Einfordern von Bürgerinnen und Bürgern geben und auch ein Umdenken bei den politischen Eliten, konkreter über Inhalte zu sprechen. Die Komplexität der Herausforderungen muss erklärt werden, das vermisse ich in der öffentlichen Debatte immer sehr. Manche Herausforderungen unserer heutigen Zeit sind einfach unglaublich schwer zu lösen, zum Beispiel der demografische Wandel oder die Veränderungen in der internationalen Zusammenarbeit. Das sind Herausforderungen, die so komplex sind, dass selbst stabilere Mehrheit sich damit schwertun werden. Aber genau das ist dann die inhaltliche Arbeit, um die Brandmauer langfristig wieder aufzubauen.
taz: Und wie stoppt man gleichzeitig den Aufstieg der großen Vereinfacher, also des Rechtspopulismus?
Breuer:Den Aufstieg des Rechtspopulismus stoppt man, in dem man ihm den Einzug in die politischen Eliten verwehrt. Es muss also eine konsequentere Haltung geben, die AfD nicht in Machtpositionen zu lassen. Da kann mir jetzt eine sagen, ah, das ist naiv, das ist ja sowieso schon passiert. Aber das macht die Forderung nicht weniger umsetzungswürdig. Ein Teil des Problems ist aber sicherlich auch eine polarisierte Gesellschaft und damit polarisierende politische Eliten. Doch das, was die Bürgerinnen und Bürger direkt berührt und unzufrieden macht, ist auch der Staat vor Ort. Eine gute Gesellschaft braucht eine funktionierende Staatlichkeit. Die kann mit Mühe und Zeit wieder mehr für die Bürgerinnen und Bürgern leisten, zum Beispiel gut ausgestattete Schulen oder ein besseres Gesundheitssystem etablieren. Dazu braucht es allerdings auch Geld: Es ist sehr wichtig, dass wir eine Reform der Haushaltspolitik in Deutschland in die Wege leiten.
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