taz on tour: Unterwegs in Deutschland
Wie wollen wir unsere offene Gesellschaft verteidigen? Bis 2017 geht die taz auf Reisen und diskutiert mit Ihnen vor Ort.
Am 4. September 2016 hat Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Zu normalen Zeiten wäre das Ergebnis im Nordosten für Bürgerinnen und Bürger in Bayern etwa oder in Hessen ein weit entferntes Geschehen geblieben. Aber die Zeiten sind nicht normal.
Plötzlich ist alles nähergerückt. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist als zweitstärkste Kraft in den Schweriner Landtag eingezogen und lag damit noch vor der CDU. Diese Wahl war nur der Auftakt eines Jahres, an dessen Ende im Herbst 2017 erstmals in der Nachkriegsgeschichte eine völkisch-nationale Partei im Bundestag sitzen könnte.
Uns lässt das Gefühl nicht los, dass es bis zur Bundestagswahl um weit mehr geht als nur um turnusmäßige Abstimmungen, bei der ein paar Minister ausgetauscht werden, vielleicht ein Regierungschef – und doch, im Großen und Ganzen, alles beim Alten bleibt. So wie es bislang war in der Merkel-Republik, in der die Gesellschaft einen weitgehend gemeinsamen Grundton zu haben schien. Aber diesen scheint es nicht mehr zu geben. An seine Stelle sind Dissonanzen, Misstöne getreten und ein zuweilen giftiger Lärm. Das Land hat seine demokratisch-liberale Melodie verloren. Wir sehen eine Zeitenwende – die mit der Etablierung einer rechtspopulistischen Partei nicht hinlänglich beschrieben ist.
In Schwerin wurde, im Herbst 2017 im Bund wird darüber entschieden, wohin sich die westliche Demokratie entwickelt. Ähnliches geschieht auch in Österreich, in den USA, in Frankreich. Die demokratischen Bindungskräfte reichen offenbar nicht mehr aus. Es sind der Nachhall der Globalisierung, die Migration, Fluchtbewegungen, die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, die uns jetzt weiter auseinandertreiben.
Wohin steuert meinland?
Wie reagieren die Menschen dieses Landes auf diese Herausforderungen, manche würden sagen: auf diese Zumutungen? Entscheiden sie sich für die weltoffene Zivilgesellschaft, deren positive Werte sich im vergangenen Jahr (nicht allein) am Münchner Hauptbahnhof besichtigen ließen, als Tausende spontan aufstanden, um den Flüchtlingen die Hand zu reichen? Sehen sie in der modernen Vielfalt der Lebensentwürfe einen Gewinn? Oder suchen sie ihr Heil in einem Nationalismus, der Grenzen aufrüsten und die Deutschmark wieder einführen möchte?
Wohin steuert meinland, also das Land, von dem die Kanzlerin sagte „dann ist das nicht mein Land“, wenn wir in Notsituationen kein freundliches Gesicht zeigen dürften? Wohin steuert deinland, Deutschland?
Unter dem Titel „taz.meinland – taz on tour für die offene Gesellschaft“ reisen wir durch die Bundesrepublik und besuchen bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 etwa 50 unterschiedliche Regionen und Städte in Deutschland. Mit anderen Worten: Wir kommen zu Ihnen, wir als taz haben unsere Community nicht zu Gast – wir besuchen Sie, um zu erfahren, was sich von den Berliner Schreibtischen aus nicht erkunden lässt.
Alle Besuchstermine und weitere Infos finden Sie auf www.taz.de/meinland
Viel ist über den AfD-Wähler geschrieben worden. Über seine Verdrängung an die Ränder der öffentlichen Aufmerksamkeit, seine Überforderung mit Lebenswelten der Moderne und die Missachtung seiner kulturellen Randständigkeit. Aber dieser Blick allein führt uns nicht weiter.
Das Gefühl, dass etwas nicht in die richtige Richtung läuft, teilen viele. Hunderttausende etwa gehen in Deutschland gegen die Handelsabkommen TTIP und Ceta auf die Straße. Es ist der Ärger auf die Eliten, über die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, der sie mobilisiert. Das Unbehagen im Land ist größer, als man es im hauptstädtischen Berlin sehen will. Was stimmt nicht mehr? Woher stammt die große Nervosität?
Von Güstrow bis zum Schwarzwald
Wir haben uns entschlossen, die Republik zu besichtigen und nachzuforschen, wo es klemmt. Wir wollen erfahren, woran wir selbst bislang nicht gedacht haben. Aus der Irritation können neue Ideen entstehen, die dringend benötigt werden.
Wir wollen uns nicht mit unserer Ratlosigkeit abfinden und damit, dass sich mehr und mehr Menschen reaktionären und fremdenfeindlichen Parolen zuwenden.
Wir fragen: Was findet sich anderswo in dieser Gesellschaft, wie im Schwarzwald, wo eine Bürgerinitiative Stadtführungen für Flüchtlinge organisierte, oder in der Villa Kunterbündnis in Güstrow, wo sich couragierte Menschen rechtem Hass entgegenstellen?
Wir wollen auch den Idealisten sprechen, der früher gegen AKWs gekämpft hat und heute als Kleinunternehmer noch immer Netzwerke gegen Stuttgart 21 knüpft. Wir möchten mit dem Metzgermeister aus Oberschwaben sprechen, dessen christlichem Herzen die AfD zuwider ist, und mit der Hauptschullehrerin vom Münchner Stadtrand.
Wo im Land finden sich diejenigen, für die es selbstverständlich ist, Menschen in Not zu helfen? Treffen wir Menschen, für die Gleichberechtigung und Toleranz zum Basisset des Miteinanders zählen? Ist das nicht eigentlich eine große Mehrheit?
Wandel durch die Graswurzel
Dieser Suche widmen wir unsere Kampagne „taz.meinland – taz on tour für die offene Gesellschaft“. Wir haben im Herbst mit Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin begonnen. Der Schwerpunkt der Reise durch „meinland“ wird dann 2017 liegen.
Über viele Jahrzehnte hin hat die deutsche demokratische Linke gesellschaftliche Fortschritte durchgesetzt, Frauenrechte oder die gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Und eine konservative Kanzlerin beschloss dann das Ende des Atomzeitalters in Deutschland.
Nun aber muss die offene Gesellschaft verteidigt werden, oder sie ist bald keine mehr. Die taz will für sie streiten. Wenn es darum geht, für Zivilcourage zu werben, müssen die Akteure und Akteurinnen sichtbar werden. Denn gesellschaftlicher Wandel geht von uns und Ihnen aus, von der Graswurzel. Wir wollen Sie sichtbar machen. Um zu erfahren, wo Deutschland auch meinland ist, besuchen wir Menschen. Dort, wo das Gras wurzelt, wo es Aufbrüche zu einem friedlichen Zusammenleben gibt.
Die taz ist einst aus den Initiativen der Zivilgesellschaft entstanden. Wir sehen es als unsere Aufgabe, die Vision einer freien, offenen und emanzipierten Gesellschaft zu verteidigen, in der jeder und jede einen Platz findet. Aus meinland, deinland würde sich dann im besten Sinne eines formen: unserland.
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